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Rafal Gikiewicz: „Wir haben besser als Hertha gespielt. Hertha hatte keinen Plan“

Wenn wir die letzten Tage nach dem Berliner Derby mal mit ein etwas Abstand betrachten, nehmen wir sicher einiges mit, was abseits von Regelbrüchen vor, während und nach dem Spiel und dem aus meiner Sicht kriminellen Abschießen von Leuchtspurgeschossen auf Menschen aus dem Gästeblock durchaus neu ist. Es fängt mit der Aufmerksamkeit an, mit der so ein Spiel betrachtet wird. Das haben wir mit einer positiven Erzählung beim 3:1 über Dortmund erlebt und nun mit einem für Union negativen Narrativ nach dem Derby-Sieg über Hertha (ich singe übrigens bei der Arbeit immer noch „Stadtmeister, Stadtmeister, Berlins Nummer 1“ vor mich hin). Für mich stellt sich ein bisschen die Frage: Wie geht man eigentlich damit um?

Medienberichterstattung nach dem Berliner Derby
Medienberichterstattung nach dem Berliner Derby, Foto via @rudelbildung

Für mich beim Textilvergehen hatte ich das relativ zügig noch vor Saisonstart beantwortet, als mir einige Leute aus dem Hertha-Lager ein bisschen sehr viel Zuneigung auf Twitter entgegengebracht haben und nach der Beobachtung rund um die mediale Diskussion über Unions Hauptsponsor. Ich bin nicht hauptberuflich Community Manager und ich hatte keine Lust, das hier an dieser Stelle oder woanders die Diskussionskultur entgleitet. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, hier keine Polemik mehr zu zu schreiben. Einfach weil ich nicht  so tun kann, als ob ich hier nur für mich schreibe. Ich sage trotzdem weiter hier, was mir gefällt oder nicht gefällt. Nur versuche ich dann nicht noch flach mit dem Stammtisch drüberzubrettern, wie ich das vielleicht mit einem Absatz noch in dem Text zum Hertha-Wunsch Berliner Derby am 9. November gemacht habe, als ich schrieb:

Meinetwegen kann Hertha seine Erstklassigkeit im Zeichensetzen gerne für sich behalten, weiter am Mittelkreis knien und sich für die damit gewonnene internationale Reichweite selbst auf die Schulter klopfen. Aber Union sollen sie da raushalten. Wir brauchen kein Spiel an einem besonderen Tag, damit die Partie Bedeutung erlangt. Dafür reicht ein Ergebnis.

Ich habe keine Lust, irgendeine Empörungskultur zu befeuern, die soziale Medien natürlich im Innersten antreibt. Ich brauche nicht dafür sorgen, dass viele Leute auf meine Beiträge klicken. Denn ich verdiene mit Textilvergehen kein Geld. Dafür habe ich einen Hauptberuf.

Wie und wo diskutieren wir bei Union mit bald 35.000 Mitgliedern?

Aber ich kann auch nichts dafür, wenn andere Medien Textilvergehen zitieren. Das ist deren Recht. Und wenn sie dadurch meinetwegen auf Themen aufmerksam werden, ist das halt so. Wäre es besser, wir würden diese Themen nicht diskutieren? Oder mit bald 35.000 Vereinsmitgliedern hinter verschlossenen Türen?

Oder betreten wir mal philosophischen Boden: Hat ein Ereignis, wenn niemand darüber spricht, vielleicht auch nicht stattgefunden? Können wir dann beruhigt weitermachen? Ich fand es beispielsweise spannend zu sehen, wie über das eine Banner diskutiert wurde, das im Berliner Derby gezeigt wurde. Das zeigte ein breites Spektrum an Meinungen, die teilweise sehr intensiv diskutiert wurden. Und das ist doch gut, wenn Menschen miteinander diskutieren.

Das bedeutet aus meiner Sicht nicht, dass danach eine Meinung gewonnen hat. Es geht darum, den eigenen Horizont mal zu erweitern und zu bemerken, dass es andere Sichtweisen gibt. Welche Schlüsse man daraus zieht, ist eine andere Sache. Ich werde niemanden auf der Waldseite vorschreiben, wie die Texte auf den Plakaten zu gestalten sind. Ich glaube aber, das allen klar geworden ist, dass man in der Bundesliga bei einem Top-Spiel am Samstag Abend keine Botschaft zeigen kann, die nur von Leuten gesehen wird, an die sie adressiert war.

Die viel diskutierte Tapete auf der Waldseite
Die viel diskutierte Tapete auf der Waldseite, Foto via @markseibert

Eine für mich spannende Frage: Wie gestaltet der 1. FC Union demnächst solche Diskussionen? Oder kann er das angesichts der Menge der Mitglieder vielleicht nicht mehr? Eine Maßnahme haben wir gesehen: Dirk Zingler schreibt einen Brief an die Mitglieder. Das ist für mich aber vor allem erst einmal ein Beitrag des Präsidenten. Der speist sich sicher aus vielen Nachrichten und Mitteilungen, die Dirk Zingler bekommen hat. Darauf kann es direkte Antworten geben, die Dirk Zingler sicher bekommt. Aber davon bekommen wir als Fans und Mitglieder nichts mit. Oder es gibt öffentliche Antworten wie diese hier.

Gestern war Fantreffen. ist das vielleicht ein Ort dafür? Ich habe meine Zweifel, weil das voraussetzt, das zur gleichen Zeit alle an einem Ort sind. An sich erst einmal nicht schlecht, aber es schließt halt auch viele aus. Einerseits durch Ort und Zeit des Fantreffens und andererseits durch die (nachvollziehbare) Regel: Wir reden nicht öffentlich über das Fantreffen.

Das Unionforum hatte der Verein aus ebenfalls nachvollziehbaren Gründen (Haftung für die Inhalte) schon vor langer Zeit aus der eigenen Verantwortung gegeben. Ich finde so etwas prinzipiell nicht schlecht, aber Diskussionen benötige halt Moderation, sonnst landet man schnell in Nebensächlichkeiten. Facebook, etc. kommen aus meiner Sicht nicht in Frage, weil man selbst die Plattform betreibe sollte, auf der so etwas stattfindet, denn sonst kommt noch noch ein Dritter mit eigenen Regeln hinzu.

Ihr merkt, wenn ich selbst eine gute Idee hätte, würde ich sie schon längst gesagt haben. Ich halte aber Diskussionen für wichtig. Sie sorgen dafür, dass wir unsere Werte immer wieder mit der Realität abgleichen und gegebenenfalls unsere Regeln anpassen oder beibehalten, weil wir sie für gut und tauglich halten. Manche Diskussionen können wir nicht öffentlich führen, aber aus meiner Sicht gilt das eher für einen kleinen Teil der Themen.

Rafal Gikiewicz im Pressegespräch

Der Staub, den das Berliner Derby aufgewirbelt hat, legt sich langsam, er ist aber noch ordentlich in der Luft. So war gestern Rafal Gikiewicz beim Pressegespräch. Auch wenn er nicht alleine die Maskierten zurück auf ihre Plätze geschickt hat, so ist dieses Bild doch vielen im Gedächtnis geblieben und ich verstehe, dass er dazu befragt wird und das entsprechende Zitat dann via Quote Card von allen Medien verbreitet wird.

Allerdings hat der Union-Torhüter noch viel mehr gesagt und das ist aus meiner sehr union-zentrierten Sicht viel stärker. Der Kurier hat dankenswerter Weise die Zitate sehr ausführlich dokumentiert. So nahm Rafal Gikiewicz Bezug auf ein Zitat von Hertha-Trainer Ante Covic, der sinngemäß ein Selbstverständnis forderte, dass Hertha alle sechs Punkte gegen Union holen muss. Dazu sagte Gikiewicz: „Hertha meinte vorher: Union ist Aufsteiger, gegen die holen wir sechs Punkte. Jetzt haben die schon mal minus drei.“ Das illustriert sehr gut, wie viel dieser Sieg auch der Mannschaft wert war.

Union-Torhüter Rafal Gikiewicz im Pressegspräch.
Union-Torhüter Rafal Gikiewicz im Pressegspräch. Foto: Matze Koch

Und noch eine andere Sache sagte er über das Spiel: „Wir haben besser als Hertha gespielt. Hertha hatte keinen Plan, das ist meine Meinung. Die wussten nicht, was sie gegen uns machen sollen. Wir haben auch nicht überragend gespielt, aber wir hatten sie im Griff und insgesamt mehr aufs Tor geschossen.“ Das zeigt ein bisschen die Entwicklung, die  Urs Fischers Team in den Wochen seit Bundesligastart genommen hat.

Es gelingt immer mehr, andere Mannschaften vor Probleme zu stellen. Bayern hatte auch keinen Plan gegen Union, aber durch sehr hohe individuelle Klasse zwei Tore geschossen. Die vielen Chancen für den Meister  kamen erst, als Union geöffnet hat und mehr Risiko gegangen ist. Mich stimmt das tatsächlich sehr positiv. Auch wenn Union weiter stark davon abhängig ist, effizient seine wenigen Tormöglichkeiten zu nutzen.

Hier alle Berliner Medienberichte über das Pressegespräch mit Rafal Gikiewicz:

Im Tagesspiegel wurde Sig Zelt interviewt, der nicht nur als Fan bei Union organisiert ist, sondern auch bundesweit in Fanbelangen aktiv ist. Er spricht über den Konsens, dass Pyro niemals die Hand verlassen darf, weil sie dann auf jeden Fall nicht mehr kontrolliert werden kann. In diesem Zusammenhang hat die Aktion des Gästeblocks auch die Diskussion um kontrolliertes Abbrennen von Pyro sehr stark zurückgeworfen, da überhaupt nicht zwischen Geschossen und Fackeln differenziert. Vom unhaltbaren Zusammenhang Pyro=Gewalt mal ganz abgesehen.

Mal was ganz anderes gibt es beim Blick aus der Schweiz: Nämlich eine Home-Story über Urs Fischer. Der Trainer wurde tatsächlich zu Hause besucht. So etwas kennen wir medial fast gar nicht mehr bei Union. Und Jacob Sweetman hat (auf Englisch) einen fabelhaften Text über Sebastian Polter geschrieben.

Die Hertha-Perspektive

Wer sich ein bisschen für die Hertha-Perspektive interessiert, dem sei gerne mal ein Blick zu immerhertha empfohlen, dem Hertha-Blog der Morgenpost. Ich finde, dass da gerade in den Kommentaren manch Aspekt lauert, der wenig beachtet wird bisher. So zum Beispiel der Verdacht, dass bestimmte Gruppen in der Ostkurve vielleicht dominanter geworden sind, weil nach der äußerst fragwürdigen Polizei-Aktion in Dortmund vor fast zwei Jahren eine große Anzahl von Ultras mit Stadionverboten belegt wurde. Es gibt auch die Derby-Folge „Berliner Stillstands-Club“ des Hertha-Podcasts Damenwahl.

Christopher Trimmel freut sich über Nominierung

Und zum Schluss noch eine gute Nachricht: Christopher Trimmel wurde erneut für die Nationalmannschaft nominiert! Gratulation!


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8 Kommentare zu “Rafal Gikiewicz: „Wir haben besser als Hertha gespielt. Hertha hatte keinen Plan“

  1. Der Austausch von 32.000 Mitgliedern ist tatsächlich ein Problem, aber wie in jedem Verein gibt es die aktiven und passiven Mitglieder.
    Kommunikationsplattformen sind dafür sicher eine gute Lösung und im Unionforum geht es schon sehr gesittet und strukturiert zu. Die Forumsteilnehmer organisieren sich selbst und fangen Freidrehende ganz schnell ein. Eine solche Verantwortung muss nicht delegiert werden, außer beim Löschen und Sichern von strafbaren Inhalten – was ja dann auch geschieht, soweit ich im Bilde bin.
    Ich finde auch, der Vorstand soll sich nur um seine Kernaufgaben kümmern, kann Dinge wie die Stiftung für gesellschaftliches Engagement auslagern und den Mitgliedern die Rahmenbedingungen, wie die MV, zur Selbstorganistion stellen.

  2. @Sebastian – Danke für den Text, vor allem deine Einleitung!
    Ich gehörte ja zu denen, die euch direkt vorgeworfen haben, der negativen Presse die Vorlagen zu liefern und so Union zu schaden. Entschuldigung dafür!
    Es bleibt wichtig, Unbequemes anzusprechen.

    • @fux Danke für deine Worte. Ich habe ein dickes Fell und nehme wirklich wenig krumm. Und ich finde schon, dass in der Emotion gerne einiges drüber gehen kann.

  3. „Ich glaube aber, das allen klar geworden ist, dass man in der Bundesliga bei einem Top-Spiel am Samstag Abend keine Botschaft zeigen kann, die nur von Leuten gesehen wird, an die sie adressiert war.“

    Bei anderen Gelegenheiten könnte man es also zeigen?
    Wer legt das fest, dass man das nicht kann? Eine Botschaft zu zeigen, noch dazu sehr offensichtlich codiert in lyrischer wie optischer Form, ist rein faktisch eben kein Problem. Wenn jemand ein Geburtstags-Spruchband hochhält an einen bestimmten Adressaten, ist das doch auch an sich erstmal kein Problem, oder? Es wird erst dazu gemacht, wenn ich es in irgendeiner Form auf mich beziehe oder mit einem anderen, eben negativen, Blickwinkel rangehe, der nicht der Blickwinkel des Verfassers ist. Über die anderen beiden Spruchbänder des Abends redet bspw. so gut wie gar keiner (ausser Steffi im Podcast direkt nach dem Spiel) und die sind ganz genauso an jemand bestimmten adressiert gewesen und werden offenbar auch genau so angenommen.

    • @karus Du missverstehst mich. Du kannst zeigen, was du willst. Und ich schreibe niemanden vor, das zu lassen oder es zu tun. Es findet aber zweifellos in der Öffentlichkeit statt. Das bedeutet, dass man auch einkalkulieren muss, dass Tapeten anders verstanden oder in einem anderen (von den Verfassern vielleicht nicht beabsichtigten) Kontext gesehen werden können. Entspinnt sich daraus eine Diskussion, kann man die nicht beenden, indem man sagt, die Botschaft sei nur für eine bestimmte Gruppe gewesen. Oder besser gesagt: Man kann das versuchen, aber dann findet die Diskussion trotzdem statt. Das ist eben Öffentlichkeit.

  4. Ich bin sehr froh, dass bei euch eine im Großen und Ganzen zivilisierte Diskussionskultur herrscht. Danke an alle dafür.

  5. @Karus ich glaube, ich habe das noch irgendwo anders geschrieben: Es ist klar, dass die Sachen an einen bestimmten Adressaten gerichtet sind, und selbstverständlich kann erstmal ganz grundsätzlich jeder jedem alles sagen. Es ist aber auch so, dass die Tapeten eine enorme Reichweite haben, einerseits bedingt durch die reine Zuschauerzahl im Stadion, andererseits dadurch, dass sie im Moment des Hochhebens praktisch schon das Stadion und damit auch ihren Kontext verlassen: über twitter, instagram, facebook etc. Das ist ein bißchen wie mit dem Videobeweis – it can not be unseen. Ich habe beispielsweise kein einziges meiner Fotos dieser Banner veröffentlicht, und zwar bewusst nicht. Ich habe sie auch nicht auf Twitter getragen (nicht, dass es mir nicht trotzdem vorgeworfen wäre), und trotzdem sind die eben da. Ich glaube nicht, dass sich das aufhalten lässt. Mit der Tatsache muss man umgehen.

  6. Sportanwalt

    „Es bleibt wichtig, Unbequemes aus- und anzusprechen.“

    Satz des Tages. Danke.

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