Blog State of the Union

Sehnsucht nach der Alten Försterei: Irgendwann, irgendwann einmal …

Ich habe gestern noch länger über den Aufruf der meisten deutschen Ultragruppen nachgedacht, die sich gegen Geisterspiele ausgesprochen haben. Mir geht es gar nicht darum, Geisterspiele zu verteidigen. Ich glaube, dass wir uns alle darüber einig sind, dass Fußballspiele ohne Publikum unserer Auffassung von Fußball widersprechen. Was bietet aber der Aufruf sonst? Die Forderungen bestehen darin, sich sachlich mit der aktuellen Lage auseinanderzusetzen, statt den TV-Geldern nachzulaufen, sich der Kriseninstrumente der Wirtschaft zu bedienen, eine Lösung müsse maximal solidarisch sein und es dürfe keine Krisengewinner geben. Außerdem fordern sie eine grundlegende Reform des Profifußballs, der wirtschaftlich nachhaltig und krisensicher sein soll.

Das klingt alles gut. Vor allem klingt es gut, weil es allgemein genug gehalten ist, so dass sich jede Person darunter versammeln kann. Mir aber fehlt der Gegenentwurf. Union hatte vor anderthalb Jahren mal veröffentlicht, wie das aussehen könnte. Die Fanszenen selbst sagen in ihrem Aufruf, die Diskussion darüber „darf nicht nur von Fans und Journalisten geführt werden, sondern ist die zentrale Aufgabe der Verantwortlichen der Clubs und Verbände.“

Das mag richtig sein. Und fehlendes Geld oder eine fehlende Geschäftsgrundlage ist allemal ein guter Anlass, sich selbst zu hinterfragen. Aber was sollen die Clubs in der Zwischenzeit tun? Das ist das, was mir fehlt. Was machen Clubs, die gerade in Zahlungsschwierigkeiten kommen und nicht zufällig bei einem Besitzer unterschlüpfen können?

Da ist auch die Antwort des namentlich nicht genannten Ultras im Spiegel-Interview etwas mau, die lautet: „Im Übrigen wurde das Insolvenzrecht ja deutlich gelockert, die Anmeldung kann nach hinten geschoben, Fördergelder können beantragt werden.“ Es gibt ja keine Fördergelder in dem Sinne für Unternehmen einer solchen Größe, sondern Kredite. Das wäre im Zweifel nicht das, was ich nachhaltig nennen würde. Denn Kredite sind bereits ein Mittel, das aktuell genutzt wird.

Und Insolvenzrecht, wenn die Geschäftsgrundlage bis mindestens 31.8. entzogen wurde? Ich bin mir nicht sicher, ob das reicht und ob das sinnvoll ist. So ein Insolvenzverfahren hat ja nicht nur Sanierung als Option, sondern auch die Stilllegung eines Betriebs. Zumal dann unter Umständen die Führung eines Vereins an einen Insolvenzverwalter abgegeben wird. Kann mir kaum vorstellen, dass das jemand freiwillig anstrebt.

Zusammenfassen lässt sich das vielleicht so: Wir sind gegen Geisterspiele hätten gerne einen anders organisierten Profifußball. Aber wir haben jetzt auch keine zündende Idee, wie das aktuell aussehen könnte.

Ich gehe bei den ersten beiden Punkten mit. Nur hätte ich gerne auch eine positive Alternative (und nein, ich habe sie auch nicht).

Warten auf Union, Meme via 1. FC Union Berlin/Facebook
Warten auf Union, Meme via 1. FC Union Berlin/Facebook

Was passiert sonst noch so in der Coronakrise?

Die Bild (Bezahl-Link) hat sich in der Bundesliga umgehört, wie die Klubs mit Entschädigungen und Rückzahlungen von Karten umgehen. Ich liebe den Satz beim 1. FC Union Berlin:

Union: Laut Klub gab es bisher niemanden, der sein Geld zurück haben will.

Ich bin mir sicher, dass das auch an den niedrigen Eintrittspreisen durch die vielen Stehplätze liegt. Wenn ich wie in Leipzig 40 Euro je Spiel für die ganze Familie ausgeben würde, wäre das finanziell sehr schnell ein Betrag, der sich bemerkbar machen würde. Aber im Prinzip ist das Geld sowieso schon abgeschrieben. Und wenn es finanziell keine Belastung darstellt, ist es schon okay, das Geld nicht zurückzufordern. Zumal immer noch keine endgültige Entscheidung über die Saisonfortsetzung vorliegt.

8 Clubs der 3. Liga fordern den Saisonabbruch und keine Fortführung der Liga. Könnte sein, dass der FC Carl Zeiss Jena, der diese Forderung auch trägt, auch davon profitieren könnte. Schließlich steht der Club schon seit Ewigkeiten auf dem letzten Tabellenrang. Und überhaupt belegen 6 der 8 Vereine die sechs Plätze unten in der Tabelle.

Auch die Regionalliga Nordost ist sich nicht einig, wie es weitergehen soll. Der NOFV sieht eine Mehrheit für eine Fortsetzung der Liga, die bis spätestens 30.6. beendet sein müsse. Der SV Babelsberg widerspricht der Darstellung sagt, eine Mehrheit der Clubs sei für einen Abbruch der Saison (RBB).

Der Eiserne Virus ruft zum Ticketkauf für den eisernen Hilfzug auf

„Unioner, vor einer guten Woche haben wir den Eisernen Hilfszug gestartet. Seither haben sich viele von Euch eingebucht und bringen damit ihre Verbundenheit und Solidarität in dieser Zeit zum Ausdruck. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle bedanken. Selbstverständlich ist der Zug auch weiterhin über unser Buchungssystem buchbar.
Wie bereits zu Beginn angekündigt, seid auch ihr direkt aufgefordert mitzumachen. Viele von Euch kennen bestimmt Unioner, denen es durch Kurzarbeit, Transferleistungen, Alleinerziehend mit Homeoffice oder ähnlichem, schwerer fällt die alltäglichen Herausforderungen zu meistern. Hier soll ein wenig geholfen werden. Nennt uns Personen oder Familien denen man mit einem Einkaufsgutschein oder sonstigem ein wenig weiterhelfen kann. Natürlich sollte eine kurze Begründung in eurer Mail nicht fehlen, die ihr an info@eiserner-virus.de sendet. Grundsätzlich stehen wir jeder Idee offen gegenüber.
Gleichzeitig möchten wir diese Ideen aber auch mit Unionern umsetzen. So sollen diese Gutscheine in erster Linie über inhabergeführte Geschäfte von Unionern organisiert werden. Und auch dafür benötigen wir euch. Nennt uns Geschäfte oder meldet euch, wenn ihr selbst eins habt, einfach bei uns.
Alles bitte an: info@eiserner-virus.de
Wir wissen, dass wir allein die Welt nicht verändern werden. Aber gemeinsam mit Euch können wir sie für einige etwas erträglicher machen!
Vielen Dank an Euch!“

„Irgendwann, irgendwann einmal …“

Fahne: „Irgendwann einmal spielt Union auch international“, Foto: Matze Koch

Gestern im Webradio der Stiftung sprachen Stadionsprecher Christian Arbeit und Erik Lautenschläger (Sänger der Band Prag) mit Moderator Gunnar Leue über Musik im Fußball. Das war sehr unterhaltsam mit den Dreien. Aber vor allem ist mir ein Lied im Kopf geblieben, dass beide eingespielt hatten auf den wirklich tollen Gesang von „Irgendwann, irgendwann einmal …“ Und dieses Lied, das ihr alle im Podcast selbst nachhören könnt, drückt eine so unglaubliche Sehnsucht nach der Alten Försterei aus, dass es mir glatt das Herz zerreißt vor Traurigkeit darüber, nicht dort sein zu dürfen.

Wochenlang zu Hause, man das hält doch keiner aus,
hoffentlich ist das nun bald vorbei.
Keine Angst, wen anzustecken, endlich wieder raus.
Schnapp dir deinen Schal und dann geht’s ab nach Köpenick

Irgendwann, irgendwann einmal
spielt Union auch wieder ganz real,
auch Pokal,
Und dann erbebt die Alte Försterei,
Warten auf Union ist dann vorbei. Endlich vorbei.
Endlich vorbei.

Erik Lautenschläger und Christian Arbeit beim Konzert am 23.12.2018 in Neukölln, Foto: Stefanie Fiebrig
Erik Lautenschläger und Christian Arbeit beim Konzert am 23.12.2018 in Neukölln, Foto: Stefanie Fiebrig

Den Podcast „Wir – Union vereint“ könnt ihr ganz normal mit euren Podcast-Apps abonnieren (einfach auf den Abonnieren-Button klicken), ihr findet ihn im Podcastverzeichnis von Apple oder auch bei Spotify.

Union im Film

Bei AFTV gibt es noch die Doku „Und freitags in die Grüne Hölle“ zu sehen. Neben dieser allgemeinen Jubelphase am Anfang des Films, der die Momente direkt nach dem Drama von Karl-Marx-Stadt 1988 zeigt, habe ich während des ganzen Films ein komisches Gefühl gehabt. Denn der Film zeigt dann, wie nah sich Menschen eigentlich sind und wie wichtig das für sie ist. Da ist wieder dieses Gefühl der Nähe, das mir gerade fehlt. Ich freue mich noch auf die Stadiontourfilme mit Matti und Lopez, die am Wochenende noch bei  AFTV veröffentlicht werden.

Szene aus "Und freitags in die Grüne Hölle" Platzsturm nach Klassenerhalt in Karl-Marx-Stadt 1988
Szene aus „Und freitags in die Grüne Hölle“ Platzsturm nach Klassenerhalt in Karl-Marx-Stadt 1988, Bild: Defa Film

Heute ab 12 Uhr gibt es für eine Woche den wirklich tollen Film „Obst und Gemüse“  im Stream beim RBB über diese Seite zu sehen.

Szene aus "Obst und Gemüse"
Szene aus „Obst und Gemüse“, Foto: Facebook-Seite von Obst & Gemüse

16 Kommentare zu “Sehnsucht nach der Alten Försterei: Irgendwann, irgendwann einmal …

  1. Musiclover

    Ich vermute, bisher hat noch niemand sein Geld zurückverlangt, da die Saison offiziell nur unterbrochen ist. Bei einem Abbruch oder falls doch Geisterspiele stattfinden wird sich das ändern.

  2. „und es dürfe keine Krisengewinner geben.“

    Ja, dann sollte es doch Absteiger geben.

  3. maria draghi

    „und es dürfe keine Krisengewinner geben“

    Nein – hinter diesem Satz sehe ich mich nicht. Das unterschreibe ich nicht; nicht nur weil der Satz weltfremd ist, sondern weil genau darin der positive Aspekt von Krisen liegt – das alte Strukturen aufgebrochen werden und etwas neues entsteht. Das neue gewinnt gegen das alte. Die „Krisengewinner“ – die gibt es sicherlich sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht – sind ja gerade Ausdruck eines angestauten Reform- bzw. Verbesserungsbedarfes. Wenn man keine Krisengewinner zulässt verzichtet man auf die schöpferische Kraft jedes Umbruches. Man sollte also schon etwas genauer hinsehen, wer in einer Krise gewinnt und wer verliert – statt allgemeine Plattitüden zu fabrizieren.

    Und natürlich würden die Ultras einen solchen Satz nie zu Papier bringen, wenn sie selbst die Krisengewinner wären.

  4. Du hast es auf den Punkt gebracht ! Fast alles in dem Aufruf kann man so unterschreiben, für die Zukunft ! In der aktuellen prekären Situation hilft das alles nicht weiter. Und zum Thema Insolvenz darf man auch nicht vergessen, das alle die jetzt darüber nachdenken ihre Profiabteilungen in Kapitalgesellschaften ausgegliedert haben. Für die Eingetragenen Vereine wie Union, Schalke, Freiburg, Düsseldorf u.s.w. dürfte sich das deutlich schwieriger gestalten.

  5. Der Sepp

    Ehrlich gesagt, ist es mir inzwischen total egal geworden, wo der Profifußball in dieser Krise hinsteuern wird. Es ist eben auch „nur“ ein Unterhaltungsprodukt, ja fast ein Luxusartikel. Sollen sie ihre Geisterspiele machen oder auch nicht.

  6. silberhacke

    Der Wunsch nach krisensicherem Fußball ist nachvollziehbar, aber naiv. Besonders, wenn wir uns umsehen und erkennen, wie sehr gerade der Unterhaltungsbereich von der derzeitigen Krise betroffen ist.
    Profisport ohne mediale Beteiligung existiert nicht. Fußball als Profisport stellt eine mediale Programmsparte dar und wird deshalb über die Sendeanstalten finanziert. Bekommen die Sender nicht, was sie bestellt haben, wird die Finanzierung eingestellt. Das betrifft zur Zeit nicht nur Profisportler und ihre Vereine, sondern den Großteil aller Kulturschaffenden, Sänger, Schauspieler, Theater, Filmschaffende, Produktionsfirmen, Beleuchter, Komparsen, Szenographen usw. usf. Hier werden sehr viele Menschen an den Rand ihrer Existenz geführt.
    Will man sich für den Fall einer Krise, wie wir sie gerade erleben, als Verein halbwegs absichern, muss, so beschissen das klingt, die 50+1-Regel fallen. Man wird wohl auch mit den Erfahrungen, die wir gerade machen, fragen dürfen, welchen Wert die Mehrheitsanteile denn haben, sobald die TV-Gelder ausbleiben, und man hoffen muss, dass die Krise vor dem Zusammenbruch des Systems bewältigt ist.
    50+1 ist pure Romantik, wenn man bedenkt, dass es Fernsehgelder sind, die darüber entscheiden, ob du deinen Verein feiern darfst, sobald er im professionellen Segment unterwegs ist.
    Mich ernüchtert dieser Gedanke. Das ist einerseits schmerzhaft, andererseits aber auch heilsam. Er lässt erkennen, was für ein aufgeblasener, perverser Geldzirkus dieser Profifußball ist. Davon geredet haben wir schon lange. Aber nun wissen wir, wie es sich anfühlt.

    EISERN

  7. Nicht von ungefähr ist es in einer Krise einfacher viele Sachen schneller zu verändern als es im Normalfall möglich wäre. Wer erinnert sich noch an die kurzzeitig aufkommende Diskussion zur Schließung vom Flughafen Tegel? Gleiches wird aktuell bei 50+1 gemacht. Dies ist eine Ausnahmesituation und sollte keine kurzfristige sondern eine langfristige Lösung geben. Durch einen Investor hätte man nur eine kurzfristige Lösung. Wenn der Investor aussteigt hätte man die Krise in anderer Form. Also bitte vorsichtig wenn so etwas einfach rausposaunt wird.

  8. Und trotzdem ist es ein…
    „aufgeblasener, perverser Geldzirkus dieser Profifußball“. Das unterschreibe ich!!!

    Und wir 22.000 würden lieber heute als morgen wieder ein Teil davon sein!

    u.n.v.e.u.

  9. @Silberhacke
    Nee, Investoren sind nicht die Lösung des Problems, sondern die Ursache.

  10. Mein Vorschlag ist relativ einfach, ziemlich bieder, und bezieht sich auf ein Kernelement des Grundgesetzes: Eigentum verpflichtet.
    Wer also im Verbund der DFL welches hat muss das grundsätzlich zur Verfügung stellen, um das künstliche Ökosystem Profifußball zu erhalten, und damit auch sich selbst. Das ist auch im starken Eigeninteresse derjenigen, die die restliche Liga für ihr Krösusdasein brauchen.
    Damit wäre ein Saisonabbruch möglich ohne gleichzeitig über die Hälfte der Klubs in die Insolvenz zu schieben. Auch eine Aufstockung der Ligen auf Basis der Tabelle von jetzt oder nach der Hinrunde wäre damit möglich. Das Weiterführen der Saison mit Beendigung bis Ende Juni ist eh unrealistisch.

    Das dumme ist nur, dass Solidarität von den reichen nur als Almosen-fallenlassen verstanden wird.
    Daher wäre es auch denkbar, dass die Fussballkonzerne endlich ihre virtuelle abstiegsbefreite Euro-Privatliga erschaffen und sich damit aus der Verantwortung stehlen.
    Das wäre mir aber noch lieber als ein Szenario im Sinne der meisten Funktionäre wie Watzke, Seifert, Rummenigge et al.

  11. „…denn eines haben wir bis zum Tot: Corona, Corona…..“

  12. Ich weiß, es ist unpopulär und auch nicht mein Wunsch, aber: Hieße krisensicherer Fußball nicht, zumindest in einer Krise wie der jetzigen, vor allem auf TV-Einnahmen zu setzen, statt die Abhängigkeit davon zu monieren? Spiele für das Fernsehen kannst du relativ unkompliziert durchführen – Zuschauereinnahmen, Merchandising und Co hingegen sind viel krisenanfälliger. Außerdem sollten die Verträge (mit Spielern, aber auch anderen Beteiligten in der Branche) zukünftig Krisenszenarien berücksichtigen, um besser abgesichert zu sein – das wäre wohl ein Auftrag an FIFA und DFL.

  13. silberhacke

    könnte schwierig werden, jemandem, der etwas bei dir bestellt, beizubringen, dass er auch zahlen muss, wenn du nicht liefern kannst.
    es gibt nur einen krisensicheren investor, und das ist ein bestattungsunternehmen, und trikots mit kreuzen drauf haben auch was.
    wir werden ewig liegen!

  14. Die Fernsehrechte bringen der DFL knapp 1. Milliarde, kann doch nicht so ein großes Problem sein da mal 100 Milonen in einen Notfall-Fonds einzuzahlen für solche Fälle

  15. haben wirklich so viele unioner verlernt, realistisch zu träumen?;-)

    22.000 in der försterei!? – auf jeden!
    aber nicht mehr im überkommenen, pervers-dümmlichen „high end“ profizirkus, der in wahrheit, der logik des zugrundeliegenden geldsystems folgend – total gecrasht ist!

    und das ist ganz wunderbar.

    nur mut, unioner!
    aufwachen.;-)
    eisern!

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