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Rafal Gikiewicz: Wie die „polnische Gurke“ Manuel Neuer herausfordert

Dortmund, kennen wir schon … Bei den Bundesliga-Experten im Spiegel habe ich noch geschrieben:

Auswärts im Westfalenstadion bei Borussia Dortmund. Das gilt sicher als Highlight. Aber ehrlich gesagt empfinde ich nach zwei Pokalauftritten von Union 2016 und 2018 die Stimmung dort als etwas überbewertet. Und außerdem hat Union noch nie in 90 Minuten gegen den BVB verloren. Håland? Noch nie gehört.

Und doch habe ich mich am Freitag entschieden, spontan nach Dortmund zu fahren und das kleine Kind auf seine erste richtige Auswärtsfahrt mitzunehmen (Leipzig ist aus familiären Gründen für mich eher eine Art Heimat). Mal sehen, ob das Kind sich verbal wieder so benimmt wie der Hashtag, den Christopher Lenz auf Instagram benutzt: #auswärtssindwirasozial

Die Bild schreibt vor dem Spiel von einem Interview mit Rafal Gikiewicz mit der polnischen Sport-Tageszeitung Przeglad Sportowy, in dem Unions Torhüter über seinen im Sommer auslaufenden Vertrag sagt:

Es sind jetzt zwei entscheidende Monate für mich. Bis Ende März muss ich eine Entscheidung treffen, ob ich bleibe oder ob ich Union nach der Saison verlasse. Ich weiß, es wird keine einfache Entscheidung.

Torhüter Rafal Gikiewicz kommt auf den Platz
Torhüter Rafal Gikiewicz wirkt ganz ruhig, wenn er auf den Platz kommt, Foto: Stefanie Fiebrig

Die Fakten sind klar: Rafal Gikiewiczs Vertrag endet im Sommer. Laut Fifa-Regularien darf er ein halbes Jahr vorher (also seit 1. Januar) frei verhandeln. Er hat keinen Manager (vorher war es Maikel Stevens), sondern vertritt sich mittlerweile selbst. Im März wird Polens Nationalmannschaft das Aufgebot für die Europameisterschaft bekanntgeben und Unions Keeper hofft trotz Nichtnominierung im Herbst auf eine Nomminierung. Seine Leistung und mentale Stabilität sprechen für ihn. Andererseits ist Polen auf der Torhüterposition außergewöhnlich stark besetzt. Union hat laut Interview im Dezember bereits ein Vertrags-Angebot abgegeben.

Was gibt es also zu entscheiden? Laut Zeitung sagte Gikiewicz: „Ich muss entscheiden, ob es besser ist, mit einem vollen Sack Geld in eine schwächere Liga zu gehen oder zu einem stärkeren Klub mit weniger Geld oder doch bei Union zu bleiben.“

Ich habe mir das komplette Interview in Przeglad Sportowy (mit Google Translate) durchgelesen und würde sagen, dass wir unsere Hoffnungen auf einen Verbleib eher in der unteren Regalschublade ablegen sollten. Denn einerseits ist Union in einer schlechten Verhandlungsposition (rein sportlich müsste der Verein schon mit der Bundesliga winken, kann das aber sicher erst nach dem 34. Spieltag tun) und andererseits such Rafal Gikiewicz immer die Herausforderung. Anders, und das wird im Gespräch klar, kann er nicht existieren. Er will ständig Neues auch beim Torwarttraining erleben und sich beweisen.

Deshalb wundert seine Aussage nicht, die er am Ende des Interviews tätigt: „Wenn Sie meiner Fußballer-Karriere folgen, werden Sie eine Regel bemerken. Ich war zwei Jahre in Jagiellonia, zwei in Schlesien, zwei bei Eintracht Braunschweig, zwei in Freiburg, im Juni werden zwei Jahre bei Union vergangen sein …“

Rafal Gikiewicz ist alles, aber garantiert kein stiller Torhüter, Foto: Matze Koch

Ist das der einzige interessante Part am Interview? Nein. Denn da sind so manche Perlen drin. Zum Beispiel, wenn Rafal Gikiewicz erzählt, dass er akzeptieren kann, wenn er nicht für die Nationalmannschaft nominiert wird, weil er nicht gut genug ist. Aber es nicht tut, wenn gesagt würde, er sei mit 32 Jahren zu alt.

Wir kennen den Torhüter durch seine Paraden und durch seine extrovertierte Art. Im Gespräch sagte er: „Der Union-Trainer sagte mir: Einen Gikiewicz in der Mannschaft, der den Druck besiegt, nimmt er auf sich und den braucht er. Aber drei oder vier wären ihm zu viel. Ein Wahnsinniger im Team ist optimal. Denn wenn acht Spieler nicht an den Erfolg glauben und Gikiewicz im nächsten Interview wieder sagt, dass wir auf jeden Fall die Klasse halten werden, ist es gut für die ganze Gruppe. Ein Verrückter, der an unmögliche Dinge glaubt, kann den Rest mitziehen.“ Das ist der eine Wert. Er betont auch weiterhin, und ich bin da voll bei ihm, dass Union im Prinzip mit 6 Punkten zu wenig aus der Hinrunde gegangen ist.

Rafal Gikiewicz hält den Elfmeter von Davy Klaassen (l., Werder Bremen), Foto: Matze Koch

Doch Gikiewicz ist kein Maskottchen, sondern auch sportlich wichtig. Im Interview erzählt er wirklich spannend von seinen langen Bällen und wie er sich hinsichtlich Präzision und Spielaufbau in dem Bereich massiv verbessert hat unter Urs Fischer. Und wie beeindruckt er ist, wenn bei der Spielanalyse er als Torhüter in Szenen auftaucht, was im traditionellen Fußball eher nicht der Fall ist.

Erinnern wir uns daran, wie wir wohl alle Rafal Gikiewicz für bekloppt gehalten haben, als er im vergangenen Sommer als Ziel ausgegeben hat 8 Mal in der Bundesliga zu null zu spielen. Und jetzt hat er das nach 19 Spielen schon 5 Mal geschafft. Oder wie der Keeper selbst sagt:

Dies ist meine erste Saison in der Bundesliga und das ist für mich der Mount Everest. Manuel Neuer hatte vorige Saison zehn Spiele ohne Gegentor und ich Gikiewicz, eine Gurke aus Polen, will fast genau so viel erreichen.

Rafal Gikiewicz bejubelt seinen eigenen Tor-Erfolg in der Zweiten Liga, Foto: Stefanie Fiebrig

Rafal Gikiewicz will mehr. Für ihn wäre der Klassenerhalt in der Bundesliga Mit union die Krönung des Aufstiegs. Aber, und diese Frage fällt uns als Fans dieses Vereins natürlich schwer, was kann Union ihm danach sportlich bieten? Noch einen Klassenerhalt vielleicht. Mehr Bundesligaspiele. Das ist für jemanden, dem wir es ohne Probleme abnehmen, dass er wirklich seine Leistungsgrenze kennenlernen möchte, vielleicht zu wenig. Es gibt noch die Aspekte Familie (weshalb er unter anderem auf keinen Fall im Winter wechseln wollte, damit das Schuljahr seines Sohnes nicht gefährdet ist) und natürlich Gehalt. Aber wie sehr Union da mit anderen Märchenanbietern mithalten kann, wissen wir spätestens seit diesem Wintertransferfenster.

Lasst uns im Augenblick leben, heute und in den kommenden Spielen geht es um den Klassenerhalt. Und lasst uns froh sein, dass Rafal Gikiewicz seinen Anteil dazu beiträgt, weil es auch Teil seiner Mission ist.

Es ist wahr, neben einem Premier-League-Verein wollte mich auch ein Verein aus der Türkei holen. Aber beide Angebote waren für dieses Transferfenster. Ich habe gesagt, dass ich die Mission nicht auf halbem Weg beende. Nach dem Aufstieg war ich der König von Berlin. Ich werde noch mehr sein, wenn wir als Team den Klassenerhalt schaffen.

Rafal Gikiewicz wehrt mit einer eleganten Flugshow einen Ball ab, Foto: Stefanie Fiebrig
Rafal Gikiewicz wehrt mit einer eleganten Flugshow einen Ball ab, Foto: Stefanie Fiebrig

Noch einmal: Lest das Interview in Przeglad Sportowy (mit Google Translate). Ich wäre jedenfalls nicht sauer, wenn der Keeper nach dieser Saison woanders spielt. Allerdings würde ich mich sehr freuen, bliebe er bei Union. Denn was man ihm vielleicht mal stecken sollte: Er könnte hier eine Legende werden. So wie Wolfgang Matthies. Das ist mehr wert, als ein imaginärer Königstitel und ein Status, den man nirgendwo erlangt, wenn man immer nur zwei Jahre bleibt.

Matthias Sammer scheitert 1986 an Union-Torhüter Wolfgang Matthies beim 4:3 von Union im FDGB-Pokal gegen Dynamo Dresden.
Matthias Sammer scheitert 1986 an Union-Torhüter Wolfgang Matthies beim 4:3 von Union im FDGB-Pokal gegen Dynamo Dresden. Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1986-0507-054 / Häßler, Ulrich / CC-BY-SA 3.0

Vor dem Spiel in Dortmund treiben diese Themen die anderen Berliner Medien um:

Morgenpost schreibt vom freien Verkauf von Derbykarten

Die Morgenpost schreibt, dass Hertha nun die bisher zurückgehaltenen Blöcke über dem Gästeblock (links vom Marathontor, wenn man auf das Spielfeld schaut) in den freien Verkauf geben würde. Ich glaube das nicht und hielte das aus Sicherheitsgründen auch für absoluten Quatsch. Hertha sagt selbst sehr deutlich: „Ein Hinweis noch: Nach wie vor gibt es die Karten nur für Mitglieder, Dauerkarteninhaber folgen dann ab dem 4. Februar.“

Union auf der Sportbusiness-Kongress

Auf dem SpoBis war unter anderem Unions Finanzgeschäftsführer Thomas Stäpke (auch für Marketing verantwortlich), doch interessanter war der Auftritt von Andrew Wallis von Unions Sponsor Aroundtown. Unser Leser und Hörer Holger war vor Ort und berichtet Folgendes:

Andrew Wallis zeigte sich insgesamt sehr zufriedenen mit dem Sponsoring-Engagement von Aroundtown, hielt sich jedoch bei der Bewertung merklich zurück. Weder könne er zum jetzigen frühen Zeitpunkt seit dem Einstieg als Hauptsponsor schon ein Zwischenfazit ziehen, noch könne er schon konkrete Erfolge einer etwaigen stärkeren Aktivierung privater Anleger bestätigen.

Er betonte erneut, wie sehr ihm Union persönlich als Fan am Herz liege und dass Aroundtown bzw. die Rechtsvorgänger-Gesellschaft bereits seit etlichen Jahren als Sponsor insbesondere im Jugendbereich bei Union aktiv sei.

Außerdem sei er sehr froh, dass Aroundtown den Einstieg drei Wochen vor der beginnenden Diskussion um den Berliner Mietendeckel verkündet habe, sonst hätte es noch viel größere Diskussionen gegeben.

Auf die Frage, wie es zusammen passe, dass ein Unternehmen wie Aroundtown einen „links orientierten Verein“ unterstütze antwortete er, dass er diese vermeintliche Ausrichtung persönlich nicht spüre und er Union als Club wahrnehme, der seine sportlichen Ziele erreichen möchte und das sehr erfolgreich mache, was der Aufstieg gezeigt habe und was hoffentlich auch mit dem Klassenerhalt bestätigt werde.

Andrew Wallis, stellvertretender Vorstandsvorsitzender (Deputy CEO) des Union-Hauptsponsors Aroundtown am 24.06. 2019, Foto: Matze Koch

Die Frage, ob sich Aroundtown auch vorstellen könne, den Berliner Breitensport zu fördern, verneinte er mit dem Nachsatz, dass man die Entwicklungen erst einmal abwarte. Noch eindeutiger fiel sein Nein auf die Frage aus, ob die Unternehmensgruppe sich in irgendeiner Form am Stadionausbau beteilige. Dies sei nicht der Fall. Dies liege im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich von Union und werde auch so bleiben, es sei denn, Union käme mit der Bitte um Unterstützung. Dann könne man darüber nachdenken. Er sei froh, dass das so klar getrennt sei.

Außerdem habe ich noch zwei Fakten mitgenommen, die mir so nicht klar waren: der Sponsoringvertrag gilt noch bis zum Ende der Saison 2021/22 und er wünscht sich, dass man sich auf eine Verlängerung einigen werde. Im Rahmen der bevorstehenden Fusion mit der TLG, welche die Gruppe zum viertgrößten Immobilienunternehmen Europas werden lässt, wird es auch zu einem neuen Unternehmensnamen kommen, der sich zwingend auch auf das Sponsoring auswirken werde. Den neuen Namen betrachtet er wie den Einstieg von Adidas, den er in diesem Zusammenhang erwähnte, als weitere Chance für sein Unternehmen und Union.

Immer Unioner

Lennard Maloney wechselt als Leihspieler zum Drittligisten Chemnitzer FC (Vereinsmitteilung).

Bei Jan Glinker haben sich die Probleme mit der fehlenden Freigabe durch Wacker Nordhausen erledigt. Ob Cottbus nun noch zusätzlich Geld an die insolventen Thüringer gezahlt, ist nicht bekannt. Aber auf jeden Fall ist der Torhüter nun spielberechtigt.

Und sonst so?

Vor dem Spiel in Dortmund gibt es natürlich eine Betrachtung von außen auf Union. Dieses Mal vom WDR. Auch wenn der Autor des Beitrags aus Berlin kommt. Hört rein, es ist ganz unterhaltsam.

Auch die Zeit (in der Papier-Ausgabe oder für Abonnenten) hat ein Stück über Union veröffentlicht. Ich lese es nachher auf der Fahrt und gehe vielleicht morgen noch einmal separat darauf ein.

Und Lok Leipzig muss nach den rassistischen Beleidigungen im Spiel gegen Hertha BSC eine Geldstrafe von 3000 Euro bezahlen (Sportbuzzer).

10 Kommentare zu “Rafal Gikiewicz: Wie die „polnische Gurke“ Manuel Neuer herausfordert

  1. Der Guido aus Pasewalk

    Danke für die sehr ausführliche Darstellung und die saubere Recherche. Rafa? ist schon ein Juwel und ein Vorbild. Wir sollten diese Saison mit ihm und die Spiele genießen. Und das werden wir auch.

  2. Eiserner Uwe

    Gikie klar machen, daß er sich bei Union unsterblich machen kann, sich ein bleibendes Denkmal setzen kann!!!!
    Der Bericht des WDR unbedingt hörenswert. EISERN ?

  3. „links orientierten Verein“ …

    Sind wir nicht, sondern ganz normale Menschen die sich nicht so leicht verbiegen lassen.

  4. Musiclover

    Bei den Hertha-Karten irrst du. Block 18-20 ist rechts vom Marathontor und nicht über dem Gästeblock.

  5. @musiclover Wie ich schrieb, meine ich mit Blick auf das Spielfeld. Und da sind die Blöcke 18-20 links vom Marathontor. Der Gästeblock ist bei voller Auslastung auf beiden Seiten des Marathontors. Ober- und Unterring auf der rechten Seite. Auf der linken Seite Teile des Unterrings. So ergibt es sich, dass die Blöcke 18-20 über dem Gästeblock liegen.

  6. Musiclover

    Blick auf das Spielfeld ist ja relativ. ;) Vom Gästeblock aus gesehen hast du natürlich recht. Von der Haupttribüne und dem Rest des Stadions aus ist das eher rechts. Das die andere Seite des Marathontors offiziell als Gästeblock geführt wird ist mir neu. Ich stand da zwar auch schon bei einem Derby, allerdings habe ich die Karte damals über Hertha gekauft. Wird der Gästeblock nicht sonst eher in Richtung der Haupt erweitert, bei Bedarf?

  7. Haland sollte Giki im Spielertunnel besser nicht begegnen. Ich musste sehr über die Aussage im Interview schmunzeln:

    „Wenn ich ihm im Spielertunnel in die Augen schaue, glaube ich, dass er sich erschrecken wird, nicht ich.“ ?

    Alles Liebe, Dein Giki ?

  8. Kann den WDR-Bericht nicht empfehlen: Nur altbekanntes. Zudem mit inhaltlichen Fehlern: Zur Choreo Stadtderby: „Das Union-Maskottchen enthauptet eine Medusa“ (?!). Zu Mattuschka: „.Er ist noch immer sowas wie ein Botschafter Unions. Wenn auch kein offizieller.“ Naja.

  9. Ein schöner Beitrag vom WDR. Allerdings ist Tusche „offizieller Botschafter“ des Vereins. Der Titel wurde ihm bei der letzten Mitgliederversammlung verliehen.

  10. […] artikuliert wird man nicht verhindern können (der Tagesspiegel, leider nicht online, dröselt das Interview von vor einer Woche in Przeglad Sportowy noch einmal […]

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