Blog State of the Union

Ich werde am ersten Spieltag erst weinen, danach schweigen und dann eskalieren

Erinnert ihr euch noch, wie wir alle das letzte Mal im Stadion geheult haben nach dem Relegationsspiel gegen Stuttgart? Weil alle Gefühle, die mit dem Aufstieg kamen, einfach zu viel waren? So ging es mir gestern morgen, als ich mit der U-Bahn zur Arbeit fuhr und mir dieses Video des RBB von der Abholung der Banner für die Ehrung der verstorbenen Unionerinnen und Unioner am ersten Spieltag angeschaut habe.

Das ist so bewegend, dass ich eigentlich ganz froh bin, dass wir gegen Rasenballsport danach erst einmal 15 Minuten die Klappe halten. Denn ich glaube, dass wir im Zweifel alle mit ganz schön brüchiger Stimme und verheulten Gesichtern supporten würden. Das wird emotional ganz schön krass werden: Erst weinen. Dann Schweigen. Und ab der 16. Minute eskalieren.

Spätestens das zweite Statement vom Wuhlesyndikat hat mich von der Protestaktion überzeugt. Darin vor allem der letzte Absatz:

Union und seine Fanszene haben in der Vergangenheit viele Kämpfe bestritten. Gegen die Insolvenz 1997, auf der Fandemo 2002, gegen die Lizenzauflagen des DFB 2004, gegen den Senat um das Stadion 2008, auf der 2. Fandemo 2010, gegen das Sicherheitskonzept der DFL 2012 und zuletzt gegen RB Leipzig. Wir haben nicht alle Kämpfe gewonnen, aber wir haben auch nie aufgegeben. Wir werden am Sonntag, einem so wichtigen Tag für den 1.FC Union Berlin, das tun, was wir immer getan haben: Haltung bewahren. Wir werden unseren Protest 15 Minuten lang durchziehen. Wir werden es auch im nächsten Jahr tun und wir werden es in 10 Jahren tun, wenn es nötig ist! Bei Union haben wir stets kontrovers Meinungen diskutiert und es werden auch immer andere Meinungen akzeptiert. Das ist ebenfalls ein Teil unseres Werteverständnisses. Wir sind keine Ultraszene, die Ihre Ansichten und Meinungen anderen aufzwingt. Aber wir werben für unsere Ansichten und wir werben dafür, wie so oft in unserer Geschichte, gemeinsam zu handeln und gemeinsam ein starkes Bild abzugeben. Sowohl in den ersten 15 Minuten als auch in den 75 anschließenden Minuten dieses für uns einmaligen Moments, in denen wir unsere Mannschaft und unseren Verein aus voller Kraft wie gewohnt unterstützen werden.

Was noch passiert ist: Die Aktion „Endlich dabei“ mit den Bannern verstorbener Unionfans, die sich unglaublich natürlich und unionig anfühlt, sorgt in einer Phase, in der es sehr viel bundesweites und europaweites Interesse an Union gibt, für noch mehr Aufmerksamkeit … Ich meine, selbst Gary Lineker mit seinen 7,3 Millionen Followern auf Twitter hat das gepostet. Verdammt nochmal GARY LINEKER.

Retweet von Gary Lineker
Retweet von Gary Lineker, Twitter: Gary Lineker

Aber bei aller Aufmerksamkeit, die auch englische Boulevardmedien wie die Daily Mail (natürlich einseitig) über Union berichten lässt: Es geht dabei natürlich nicht um mediale Reichweite, sondern um eine Herzensangelegenheit.

Oliver Ruhnert erklärte im ZDF Morgenmagazin noch einmal, dass „Kultklub“ kein Ziel von Union sei, sondern der Erhalt von Werten, für die man steht. Und ehrlich gesagt finde ich es schon bedenklich, wenn man sich für eine bestimmte Art des Stadionerlebnis entscheidet, das mit „Fußball pur“ eigentlich sehr klar umrissen ist, schon als „Kultklub“ gilt. Es steht ja allen anderen Vereinen frei, das Stadionerlebnis auch den Anhängern anzupassen und daraus keine Formatradio-Show mit den größten Hits der 80er, 90er und 00er Jahre machen zu lassen.

Union erklären. Keine Ahnung, wie es euch bei der Arbeit geht. Aber ich habe das Gefühl, dass viel erklärt werden muss und es gerade ein großes Bedürfnis gibt, Union zu erklären. Das ist fast, als hätte der Verein jahrelang unter einem Stein gelegen und es hätte ein Berichterstattungsverbot für die Zweite Liga gegeben. Das treibt manche Blüte wie diese hier (ich konnte allerdings nicht endgültig verifizieren, dass das wirklich so erschienen ist):

Ich habe gestern im Fever Pit’ch Podcast dem ehemaligen Sportbild-Sportjournalisten Pit Gottschalk ein paar Fragen zu Union beantwortet. Die Ausgangslage war die, dass er überhaupt nicht verstehen kann, wieso man am ersten Bundesliga-Spieltag gegen Rasenballsport protestiert. Zudem, wenn diese Proteste den Klub Rasenballsport Leipzig nicht verhindert hätten und Union doch auch einen umstrittenen Sponsor hätte. Und natürlich fragte er noch, was das mit dem „Ossi-Gehabe“ zu tun hätte, was der Tagesspiegel in einem Rant geschrieben hatte. Was ich ihm alles auf diese Thesen und Meinungen geantwortet habe, könnt ihr ab Minute 19:42 anhören.

Bleiben wir kurz bei bei den Podcasts: Da gibt es momentan ebenfalls eine kleine Flut, die es zu sortieren gilt. Der neue Union-Podcast Alte Podcasterei meldet sich mit seiner zweiten Episode und diskutiert nicht nur einen missglückten Groundhoppingausflug nach Rumänien und Spatengänge im Wald, sondern auch den Stimmungsboykott gegen Leipzig und das Pokalspiel. Ich mag das sehr, weil es ein bisschen so ist, als ob ich einem Kneipengespräch von Kumpels zuhöre, die sich einmal die Woche treffen.

Der Podcast „Union am Ball“, den Steffi aus unserem Team mit Radioeins-Moderator MC Lücke macht, hat gestern einen ersten Trailer veröffentlicht. Und Marvin Friedrich wurde für den Phrasendrescher-Podcast interviewt. Und wer nicht genug von Christian Beeck und Axel Kruse bekommen kann, bekommt bei Inforadio jede Woche eine neue Podcast-Episode mit den beiden. Hier die Ankündigung des RBB dazu.

Zum Sport

Gespielt wird ja beim 1. FC Union auch noch. Und vor so einer Partie gibt es die Pressekonferenz, die heute um 12.30 Uhr live auf AFTV übertragen wird. Wird sicher ein bisschen voller als sonst …

Inhaltlich dürfte es vor allem um die Zusammensetzung der Innenverteidigung gehen, in der Marvin Friedrich nach der Pokalsperre spielberechtigt ist und Neven Subotic sich als fit zurückgemeldet hat. Keven Schlotterbeck, der gegen Halberstadt spielte, will natürlich auch ran. Dieses Thema haben sich heute Kurier/Berliner Zeitung geschnappt und auch die Bild etwas, in dem sie über ein bisschen über Melissa Friedrich berichtet, die in der Bundesliga für Leverkusen spielt. Torsten Mattuschka schaut in der Bild/BZ positiv auf die neue Saison und sieht nur den großen Kader als mögliches Problem.

Für die Morgenpost ist Reporter Dominik Bardow von der Alten Försterei bis zum Olympiastadion gelaufen, um ein bisschen über das Union- und Hertha-Gefühl in Berlin zu lernen. Dabei hat er ein paar Leute getroffen wie Annette, die wir als „Fußballförsterin“ kennen oder Henry vom Hertha-Podcast Damenwahl.

Der Tagesspiegel bringt einen Klassiker: Die ironische Saison-Vorschau.

Mitgliederzahlen

Die Morgenpost hat ihr Projekt von vor 4 Jahren aktualisiert und die Mitglieder von Hertha und Union nach Postleitzahlen sortiert und geschaut, in welchem Kiez mehr Unioner oder Herthaner leben. Diese Karte ist immer spannend und es macht Spaß, sich da durchzuklicken. Wir lernen vor allem, dass Union mit Stand 31.07.2019 (das ist der Stichtag der Daten) 29.043 Mitglieder hatte. Die Zahl soll mittlerweile die 30.000 durchbrochen haben.

Am meisten Spaß hat mir der Vergleich mit der alten Karte (die ist nämlich hier noch online) gemacht, auf der Union 2015 nämlich noch 11.907 Mitglieder hatte … Aber nicht nur die Mitgliederzahl von Union (und auch von Hertha) ist gewachsen in den vergangenen 4 Jahren. Auch die Einwohnerzahl Berlins. In meinem Postleitzahlenbereich (ich weiß nicht, ob der Zuschnitt zwischenzeitlich geändert wurde) leben nun fast 3000 Menschen mehr als vor 4 Jahren.

Union hat noch einen Test für die Länderspielpause vereinbart. Es geht gegen den Chemnitzer FC. Da haben manche aufgestöhnt aufgrund der vielen teils unerträglichen Ereignisse rund um den Fußballverein. Das kann ich nachvollziehen. Aber ich finde, dass ein Verein nicht ausgegrenzt werden darf, wenn er in einer solchen Situation ist, in der er finanziell immer noch auf Kippe steht und es durchaus auch darum geht, welche Gruppe diesen Verein dominiert. Es ist schließlich nicht so, dass der komplette Klub inklusive allen Angestellten plötzlich Teil der Chemnitzer Neonazi-Szene ist. Unstrittig ist aber auch, dass Teile dieser Szene auch Köpfe der Chemnitzer Fanszene sind.

Und zum Schluss noch der Hinweis auf das Tippsiel Twitterförsterei und Twitterförsterei 2:

 

15 Kommentare zu “Ich werde am ersten Spieltag erst weinen, danach schweigen und dann eskalieren

  1. Nanana Herr Ruhnert, die Sponsorendebatte ist sicher nicht schon unter den Teppich gekehrt. Für mich ist es immer noch unbegreiflich, wie man sich auf diesen Deal einlassen konnte. Aroundtown steht in keiner Weise für unsere Werte. Sicherlich geht es um die Finanzierung der ersten Bundesligasaison, aber ist es nicht genau das, was uns nicht besser, als andere Vereine macht? Und da wollen wir jetzt die Moralkeule schwingen und gegen Rasenball Leipzig unsere Werte demonstrieren?
    Wenn sollten die Werte der Fans ihren Ausdruck bekommen und der geht eben klar gegen solche Konstrukte. Vielleicht sollte man aber mal in der eigenen Doppelmoral überlegen, dass auch bei uns nicht alles sinnhaft verläuft. Der Verein hat sich in meinen Augen für Verdrängung, steigende Mieten und Gentrifizierung mit dem Sponsoring von Aroundtown positioniert. Das Schweigen am ersten Spieltag muss meiner Meinung nach ebenfalls unserem neuen Hauptsponsor gelten, wenn wir unsere Werte standhaft und konsequent vertreten wollen.

  2. Bin von der Protestaktion mittlerweile auch überzeugt. Zusätzlich zum zweiten WS Statement hat gestern auch das Berlinderby Blog nochmal ein kurzes aber treffendes Fazit veröffentlicht ala „Damit solche Aufstiege auch in 10-20 Jahren noch möglich sind und gefeiert werden können“

    https://berlinderby.blogspot.com/2019/08/nochmal-zu-fuschl-am-see.html

  3. Sehr schöner Text, Daumen hoch ! Bleibt nur zu hoffen das jetzt auch die Kritiker des Protestes ihre persönlichen Befindlichkeiten zurückstellen und die Sache nicht noch torpedieren.
    Wenn Ihr schon auf das Testspiel gegen Chemnitz eingeht wäre es schön gewesen vielleicht noch eins, zwei Sätze zu den aktuellen Entwicklungen beim CFC e.V. bzw. der GmbH zu schreiben, weil es da ja auch durchaus Parallelen zum Protest gegen die Dosen aus Leipzig gibt, Stichwort 50+1.

  4. Danke @Jens für den Link zum BerlinDerby-Blog

    Das dort geschriebene bringt es sehr gut auf den Punkt, worum es bei dem Protest geht.
    Ich für mich habe eine Entscheidung für Sonntag getroffen. Und wie soll ich sagen, jetzt ist dieses vorfreudige Kribbeln da. :-) Kann es kaum noch erwarten die Stufen zum Stadion hochzugehen. Wie Sebastian schrieb, es wird eine emotionale Achterbahn.

  5. Fischbulette

    Nach dem 2. Statement des Wuhlesyndikats bin ich nach anfänglich großen Zweifeln nun doch von der Wichtigkeit und Richtigkeit des Schweigeprotests überzeugt. Auch die Aktion zum Gedenken an verstorbene Unioner ist großartig und wird viele Fans bundesweit beeindrucken.
    Das wird heftig am Sonntag!!!

  6. Udo Muszynski

    Hut ab! Sehr souverän im Interview mit dem Fever Pit’ch Podcast. Und überhaupt: Danke für den täglichen Blog!

  7. Schön, dass die die an der Testverlosung teilgenommen haben, jetzt gesperrt sind. Obwohl vorgestern eine Email kam, es war alles nur ein Test.

  8. @andreas: kannst du mir Infos liefern zum CFC? Fande die Schritte zum Thema Frahn konsequent allerdings im Rahmen der Insolvenz hatte es einen kleinen Beigeschmack.

  9. @Tobi: war die Teilnahme an der Testverlosung denn Zufall oder wurden diejenigen vorher vom Zeughaus kontaktiert, um einen Test durchzuführen ?

  10. @andreas aber warum sollten wir das tun? Wir sind ein Fanblog. Wir haben Befindlichkeiten und Meinungen, soviele wie wir Leute sind. Mal finden wir Vereinsentscheidungen gut, mal nicht. Ein Fanblog ist exakt dafür da, das dann jeweils aufzuschreiben und zu veröffentlichen. Als wir aroundtown kritisch beäugt haben, wurde uns übrigens genau das Gegenteil dessen vorgeworfen, was Du angemerkt hast. Ich glaube, wir lassen einfach alles genau so wie es ist.

  11. Union sollte beim Testspiel gegen den CFC sehr deutlich herausstellen, dass man den Verein(!) im Aufbau gerne unterstützt und genau deswegen auch deren militante Naziszene bekämpfen und raussschmeissen muss.

    Von wegen gesellschaftlicher Verantwortung und Werte, und Fussball pur und so. Ganz ironiefrei.

  12. @Philipp, naja es geht wohl hauptsächlich darum das der Insolvenzverwalter mit allen möglichen Winkelzügen versucht auf der Mitgliederversammlung Personen aus der ausgegliederten GmbH in den Vereinsgremien unterzubringen und die vorgeschriebene Stimmenmehrheit des Vereins (50+1) zu unterlaufen. Scheinbar vermuten einige wohl das da nach dem Vorbild „Brause Leipzig“ ein ähnlich Konstrukt zusammengebastelt werden soll. Diverse Fanclubs haben wohl auch deswegen zum Boykott des heutigen Spiels aufgerufen.

  13. Sportanwalt

    Deine Grafiken sind für mich wie Unfallhergangsbeschreibungen von @LostinNippes.

  14. dank @ Tim!

    ein wichtiger beitrag.
    ich stimme inhaltlich nicht total zu, aber genau darum geht es nicht.
    ich wünsche mir (wieder) mehr von solch sachlich-kritischem denken in bezug auf unseren glorreichen FCU – viel mehr!

    zunehmend habe ich den eindruck, es wird zuviel durchgewunken und abgenickt nach dem motto:
    der zweck heiligt die mittel.

    ich wünsche mir eine sich wieder stärker ausprägende widerborstigkeit / unangepasstheit der unioner auch „nach innen“; mir scheint, manches wird zu rasch mit bisweilen recht klebriger „konsenzcreme“ überzogen.

    auch unsere klubgeschichte lehrt uns:
    u.n.v. – wachsam bleiben!
    meist werden besonders schwere fehler im zuge einer scheinbar besonders erfolgreich verlaufenden ära begangen.

    mir ist derzeit kein unionisches „medium“ außer TeVe bekannt, welches auch die richtig heißen eisen anfässt…und sei es auch nur, diese mindestens erst einmal zu benennen…
    das ist so verdammt wichtig!
    dank dafür und weiter so!

  15. Danke Mo für die Worte.
    Mittlerweile habe ich auch das Gefühl, dass ich fast alleine mit meiner Sichtweise dastehe. Ich glaube, dass die Vorfreude auf die großen Vereine aus dem Oberhaus einiges überspielt haben. Auch bei mir wird es morgen Abend wieder hoch und runter gehen mit meinen Gefühlen, dafür haben wir das auch viel zu sehr verdient.
    Dennoch bleibe ich absolut bei meinen Worten. Mein Protest in den ersten Minuten gilt auch unserem Hauptsponsor.

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