Blog State of the Union

Ein wildes Spiel gegen Wolfsburg und ein lahmes Interview im Sportstudio

Oliver Ruhnert musste gestern Abend im Aktuellen Sportstudio noch nicht einmal seine Teflon-Eigenschaften auspacken, als Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein ihn zum Thema Europapokal-Ambitionen des 1. FC Union befragte. „Ich lasse sie dann mal vom Haken“, sagte sie dann nach einer gefühlten halben Stunde unergiebigen und unkreativen Nachfragens, für das sogar eine Insta-Story-Umfrage herhalten musste.

Es gibt wirklich Gesprächspartner, die sehr gut allumfassend zu vielen Themen sprechen können und Oliver Ruhnert gehört zweifellos dazu. Aber dann sollte man weder ihn noch uns mit Belanglosigkeiten quälen und ihn wie in der Schuleingangsphase Eigenschaften auf einem Flipchart zuordnen lassen, die ein neuer Spieler bei Union erfüllen muss. Stattdessen wäre die Frage, wie Union solche massiven Umbrüche organisiert wie in den vergangenen zwei, drei Jahren interessanter gewesen.

Oder das Gespräch da vertiefen sollen, wo es darum geht, dass Jugendliche und Amateure seit Anfang November nicht trainieren oder gar spielen dürfen, was vielleicht der echte Grund dafür ist, dass der erst 16-jährige Malick Sanogo bei den Profis mittrainiert. Oder man hätte mal die ganze fragwürdige Reform des Nachwuchsfußballs des DFB thematisieren können, die Oliver Ruhnert erst vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung massiv kritisiert hatte.

Das war jedenfalls Zeitverschwendung gestern Abend im ZDF. Für uns vor dem Stream und sicher auch für Oliver Ruhnert, der leider im Studio vor Ort sein musste. Eigentlich erfuhren wir nur, dass weder Kasper Junker noch Sven Michel ein Thema für Union seien (Kicker).

Wolfsburg zeigt, wie man gegen Union spielen muss

Schon allein das 2:2 gegen den VfL Wolfsburg hatte eigentlich genug Gesprächsstoff. Da muss beispielsweise erst nach gut einer Viertelstunde Sheraldo Becker sein Eistee gereicht worden sein, der ihm das Zielen leichter macht. Denn anfangs schoss er am leeren Tor vorbei. Oder anders gesagt: Die schwierigen Dinger macht er rein.

Wolfsburg hatte beim Gastspiel an der Alten Försterei gezeigt, wie man Union in dieser Saison bespielen muss. Mit viel Direktspiel und Tempo nämlich. So dass die Mannschaft von Urs Fischer nicht in die Zweikämpfe kommt. Eigentlich war es ein Witz, dass ausgerechnet eine Standardsituation, nämlich eine Ecke zum Tor für Wolfsburg führte. Weil Christopher Lenz nicht in das Kopfballduell kam beziehungsweise er kein Timing dafür hatte.

Wout Weghorst spricht wie Tim Walter

Die besseren Gelegenheiten der Wolfsburger machte in letzter Konsequenz Andreas Luthe zunichte, wenn sie nicht schon vorher abgefangen wurden. Unions Keeper zeigte dabei vor allem Qualitäten im eins gegen eins, die vorher nicht so zum Tragen kamen, weil Unions Defensive selten dem Gegner die Optionen dafür gab. Und das eine oder andere Mal bewahrte tatsächlich nur ein klug abgefangener Ball Union vor mehr solchen Situationen.

Szenen, wie sie Union mag: Sebastian Griesbeck im direkten Duell mit Xaver Schlager, Foto: Matze Koch

Es war ein Spiel, dass Union vor allem im Nahkampf führen wollte, aber Wolfsburg versuchte sich dem zu entziehen. Beides gelang keinem Team über die gesamte Spieldauer. Und Union zeigte dem VfL, was passiert, wenn man sich auf Duelle in Zweikämpfen mit Union einlässt. Was nach dem Spiel Wout Weghorst in bester Tim-Walter-Manier davon sprechen ließ, er würde lieber schönen Fußball spielen als so. Und als er erzählte, wie er gerne Fußball spielte, merkte man klar, was in der Beschreibung fehlte: Gegenspieler.

Warum wurde das 3:1 für Union nicht gegeben?

Aber es gibt dann doch zwei Situationen, über die wir sprechen müssen. Und dort war leider das Schiedsrichter-Team in der Hauptrolle. Zum einen das nicht gegebene Tor zum 3:1, bei dem Patrick Ittrich ein Foul von Taiwo Awoniyi gesehen haben will. Ich weiß, dass es da verschiedene Meinungen gibt, aber der Ball kommt zu Awoniyi und VfL-Keeper Koen Casteels, weshalb ich da kein Sperren ohne Ball erkennen kann. Zumal der Torhüter im Zweikampf mit beiden Händen den Union-Stürmer niederringt.

Koen Casteels versucht an Taiwo Awoniyi beim nicht gegebenen Tor zum 3:1 vorbeizukommen, Foto: Matze Koch

Ich kann nachvollziehen, dass man hier auch der Ansicht des Referees sein kann. Vor allem, wenn man davon ausgeht, dass ein nicht gegebenes Tor weniger aufregt, als ein zweifelhaft gegebener Treffer. Aber ich kann hier meine Union-Brille nicht abnehmen und frage mich, wie sich Awoniyi denn hätte regelkonform verhalten sollen? Indem er Platz macht? Das wird doch nirgendwo auf dem Feld so gehandhabt, wenn ein Ball auf zwei gegnerische Spieler zukommt und Sonderrechte für Keeper im 5-Meter-Raum gibt es nicht.

Schiedsrichter-Podcast Collinas Erben zur Szene beim 3:1, Screenshot via Twitter
Schiedsrichter-Podcast Collinas Erben zur Szene beim 3:1, Screenshot via Twitter

Handspiel oder nicht?

Das Handspiel von Marcus Ingvartsen hingegen ist wohl regelkonform. Hier war allerdings witzig, dass niemand das gefordert hat und nur die Videoassistenten dieses Handspiel entdeckten. Das heißt natürlich nicht, dass man es nicht geben dürfte. Eher könnte Marcus Ingvartsen mal schauen, wie Robert Andrich diesen Ball zu blocken versucht. Denn der hält die Arme auch beim Blocken hinter dem Körper. Schade für Ingvartsen, der ansonsten ein hervorragendes Spiel mit tollen Assists gezeigt hat.

Bei Robert Andrich hoffe ich im übrigen, dass vielleicht irgendwann mal bei Beobachtern der Groschen fällt, dass er nicht nur ein Zerstörer, sondern ein ganz hervorragender Spieler ist, der Situationen blitzschnell erkennen und kreieren kann, wie in Bremen vor dem 2:0. Oder der auch wirklich gefühlvolle Freistöße schießen kann. So wie in diesem Spiel vor dem 2:1. Bei der Szene, die zum Freistoß und der Roten Karte für Maximilian Arnold geführt hat, hätte ich mir tatsächlich gewünscht, dass Awoniyi eher durchzieht, statt zu Boden zu gehen. Aber ich kann auch in zig Zeitlupen nicht auflösen, ob er nicht doch unten getroffen wird.

Eine wilde Partie

Einsamer Jubel in die Kamera nach Sheraldo Beckers Tor zum 1:1, Foto: Matze Koch

Die Partie war wild und ich bin ganz froh, dass Union sich in den letzten 20 Minuten etwas beruhigt hat und nicht zwangsläufig auf das 3:2 gegangen ist. Denn auf solche Räume hatte Wolfsburg sehr gelauert. Der Gegner zog allerdings auch ein hervorragendes Unterzahlspiel auf, das Urs Fischers Mannschaft einiges an Konzentration und Kondition abgefordert hat. Ich mache es kurz: Es war ein wirklich sehr gutes Bundesligaspiel, in dem beide Mannschaften ihre Pläne ändern und sich anpassen mussten, aber auch beide immer einen Plan hatten, wie sie Tore erzielen wollen. Das Ergebnis passte am Ende. Und Union dürfte wissen, dass ihnen sowohl gegen Leverkusen als auch gegen Leipzig ähnliche Spiele bevorstehen.

Stand jetzt: 15 Punkte Abstand zum Relegationsplatz. Und die Erkenntnis, dass wenn über die Top-6-Teams in der Bundesliga gesprochen wird, Union aktuell dabei ist. Da brauchte ich gestern Abend einen kurzen Moment, um das im Nachgang des Sieges von Dortmund über Rasenballsport zu kapieren, als bei Sky davon gesprochen wurde, dass nur der BVB von den Top-6-Teams dieses Wochenende gewinnen konnte.

Hier sind die Berichte der Berliner Medien zum Spiel:

Wir sprechen heute Abend um 20 Uhr im Podcast über das 2:2 gegen Wolfsburg. Ihr könnt live dabei sein im Stream und auch mitdiskutieren im Chat.

14 Kommentare zu “Ein wildes Spiel gegen Wolfsburg und ein lahmes Interview im Sportstudio

  1. Danke für die Erläuterung zum nicht gegebenen 3:1. Ich bin ebenfalls der Ansicht, dass Awoniyi sich nicht wegzaubern kann und es ein normaler Zweikampf ist. Eher dürfte es am Ende ein Foul von Casteels sein.
    Bei Ingvartsen zeigt sich der Irrsinn der Regel. Er kommt aus einer Gegenbewegung und springt seitlich rein Dabei ist der Arm in einer normalen körperlichen Haltung. Anstich dagegen kommt frontal und hat die Option seine Hände nach hinten zu nehmen. Regelkonforme Auslegung aber mit menschlichen Möglichkeiten nicht zu verhindern außer er springt gar nicht rein

  2. Stefan Mehmke

    Danke für die Bewertung des Sportstudio-Interviews. Ich saß da auch, staunte und dachte, das kann doch wohl nicht wahr sein… „Man merkt, sie sind Politiker und geschult. Das merkt man.“ oder so ähnlich merkte die Dame an. Kann ich nur zurückgeben: „Sie sind Journalistin. Und geschult. Das merkt man aber nicht.“

  3. Weder in den Medien, oder in eurem Blog, wird über die strittigen Szenen im Wolfsburger Strafraum berichtet. Der Schiedsrichter und Köln haben mich zum wiederholten Mal nicht überzeugt. Bei zwei Szenen (rote Karte und Handelfmeter) ist Köln sehr wach/schnell und trifft aus meiner Sicht auch die richtigen Entscheidungen im Zusammenspiel mit dem Schiedsrichter. In den zuvor erwähnten zwei Szenen, scheint Köln zu schlafen und der Schiedsrichter pfeift bei der zweiten Szene kurz vor der Halbzeitpause relativ schnell zur Pause. Beim nicht gegebenen 3:1, war die Resonanz (nicht nur Unioner) bei allen gleich (reguläres Tor). Grundsätzlich ist das 2:2 aber ein gerechtes Ergebnis mit der Erkenntnis, dass der Schiedsrichter und Köln mitgespielt haben. DANKE an alle, für eine jetzt schon sensationelle Hinrunde!!!
    EISERN

    • @bunkinho

      „Und der eigentlich fällige Elfmeterpfiff, als Xaver Schlager gegen Ingvartsen für Tokio 2021 geeignete Qualitäten als medaillenverdächtiger Ringkämpfer unter Beweis stellte, blieb aus.“

      ich fand schon, dass in einem Medium zumindest eine der strittigen Szenen thematisert wurde. Kuckst du hier: https://www.berliner-kurier.de/union/union-wob-li.131259

  4. Danke für die exakte Herausarbeitung dessen, was in einem Tweet nur angerissen werden kann. Ich war selten mal so gespannt auf ein TV-Interview zum Fußball und dem ganzen Rest – und selten Mal so bodenlos enttäuscht.

    Oliver Ruhnerts Antworten gaben x-mal die Vorlage zu einem fundierte Gespräch. Hat aber auch nichts genutzt. Muss also bald mal euer Podcast liefern!

    ??????

    • Hervorragende Einordnung des gestrigen Union-Tages. Danke.

  5. Weghorst möchte schönen Fußball spielen? Was macht er dann in Wolfsburg? Oder warum trat er dann Hübner auf den Fuß um gelb zu bekommen?

    Wenn Fußballer reden…

  6. „Ruhnert, der leider im Studio vor Ort sein musste…“
    Warum musste und leider? Ist er unter Androhung von Folter gezwungen worden da hinzugehen? Man weiss doch seit Jahren hinlänglich, was von Frau Müller-Reichsparteitag zu erwarten ist – oder eben nicht. Da könnte er ja auch verzichten. Wär doch auch mal ein Statement.
    Oder er könnte -was geschickte Gesprächspartner auch durchaus schaffen- sich das Wort nehmen und das Interview für’s Loswerden von Aspekten nutzen, die ihm wichtig sind.

    • @uli49 Ich meinte lediglich die Zeitverschwendung, dafür extra ins Studio zu müssen, nachdem er am Nachmittag noch das Spiel im Stadion gesehen hatte. Zuschalten ist weniger zeitaufwendig.

  7. @uli49 genau!…
    grundsätzlich stelle ich aber auch fest, das Union für viele im Geschäft noch erklärungsbedürftig ist.
    Das fängt häufig mit geographischer Verortung an und hört mit Verwunderung darüber auf, das der Trainer ein Schweizer ist. Dazu kommt unterschwelliges Erstaunen darüber, dass ja doch Fußball gespielt wird…
    Die Wolfsburger wussten genau wo sie waren und haben einen starken Gruß aus der ersten Liga abgegeben… hoffentlich ist der angekommen…eisern.

  8. @Sebastian
    Die technischen Möglichkeiten sind mir schon bewusst. Ich meinte es grundsätzlich. Man weiss worauf man sich einlässt. Da kann man es machen oder lassen. Oder man ist eben doch so scharf auf den Auftritt und jettet dafür nach Mainz. Selbst wenn es Fr. Müller H. Ist. Die und die Folgen muss man dann wissentlich in kauf nehmen

    • @uli49 Ich sehe schon: Du meinst das eher grundsätzlich. Kann ich verstehen. Aber ich würde diesen Weg nicht gehen wollen. Es ist schließlich eine Möglichkeit, den 1. FC Union bundesweit einem Publikum zu zeigen. Also jenseits aller Bayern-Dortmund-Diskussionen. Mir ging es eher um die verpasste Gelegenheit in diesem Gespräch. Einen Schaden hat Union ja nicht genommen. Es war einfach nur harmlos.

  9. Maria Draghi

    Schon skurril, wenn Journalisten, die selbst seit Jahren nicht nachbohren, anderen vorwerfen, nicht nachzubohren, auch wenn Letzteres absolut berechtigt ist.

  10. Chrissy M.

    Eine sehr schöne und vor allem „treffende“ Zusammenfassung. Ja, schade, dass das eine Tor nicht gegeben wurde und 2 Dinger nicht ins Tor wollten. Aber das Spiel war aus beider Mannschaften-Sicht „ekelig“ wie Urs Fischer so gerne sagt und so ziemlich guuuuut unsere Jungs beschreibt und der Traum-Lupfer von Andrich – mann, was war der schöööööön mit anzusehen; ich hätte gerne mehr davon ;-)
    Das Ergebnis ist mehr als zufriedenstellend und das mit den Händen „hinter den Rücken“ oder in manch heikles Situation dann doch auch wieder lieber nicht… Union arbeitet daran und ein Team ist ein Team und unseres ein echt starkes, auf das man und frau STOLZ sein kann. Und derzeit auf Platz 5 zu stehen, ist irgendwie cool und gerechtfertigt, aber nicht wegen Europa oder Co., sondern einfach das Ergebnis von Zusammenhalt und dem Ziel (Klassenerhalt) im Auge der Mannschaft. Danke, macht weiter so (wenn wir Fans schon nicht Euch im Stadion begleiten können, gebt Ihr uns dafür ein sehr schönes Fernsehprogramm) :-)
    U.N.V.E.U.

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