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Es kommt nicht darauf an, wo du herkommst, sondern wo du bist

Simon Hedlund lächelt, streckt seinen Arm nach hinten über das Sofa aus und schlägt die Beine übereinander. Er sinkt in die Kissen als wären sie Treibsand. Neben ihm sitzt Sebastian Andersson, den Rücken deutlich gerader haltend, etwas nach vorn gelehnt und mit seinen Knien eng aneinander. Es ist ein kleines Sofa. Ihre Beine berühren sich nicht, aber fast. Andersson trägt Straßenklamotten, Hedlund einen Trainingsanzug. Beide lächeln weiter. Ob sie es wirklich sind oder nicht: Aber immerhin erscheinen Unions Schweden entspannt, zufrieden und so, als hätten sie Spaß. „Wetter wie in England“, sagt Hedlund. Und er hat recht damit. Es liegt eine Feuchtigkeit in der Luft, die die Trainingseinheit gerade eben sehr viel angenehmer gemacht hat.

Simon Hedlund nach seiner Verpflichtung durch Union 2016, Foto: Matze Koch

Andersson erscheint erwachsener. Er ist in der Tat zwei Jahre älter. Dass er außerdem Vater zweier Kinder ist, zeigt sich an seinen Augenringen und an seinen Späßen, die so trocken wie eine Wüste sind. Er ist witziger als Hedlund. Aber Hedlund ist frecher und redet mehr. Zumindest, wenn er erst einmal warm geworden ist.

Die beiden kennen sich seit Jahren, wenigstens als Gegenspieler. Es ist unverkennbar, dass sie sich mögen. Sie lachen gegenseitig über ihre Witze, können sich aufziehen, ohne dass es angestrengt oder angespannt wirkt, fühlen sich sichtlich wohl in der Gesellschaft des anderen. Sie haben sich zusammen am Brandenburger Tor angeschaut, wie Schweden im WM-Viertelfinale gegen England verlor. Bis ihnen die Horden von England-Fans zu viel wurden, die sich aufplusterten wie Frösche in der Paarungszeit und endlos ihren Refrain “Football’s coming home” krächzten (und bis Englands zweites Tor den Schweden jeden Wind aus den Segeln nahm).

Doch sonst kommen sie nicht dazu, Dinge miteinander zu unternehmen, noch nicht jedenfalls. Schließlich ist Andersson gerade erst nach Berlin gekommen. Ihre Frauen haben sich bisher nicht mal kennen gelernt. Sie warten darauf, dass ihre Familien zueinander finden.

Sebastian Andersson nach seinem Treffer beim 4:1 gegen St. Pauli, Foto: Stefanie Fiebrig

Glücklich sind die beiden auch deshalb, weil sie in dieser Saison – beide – schon Tore gemacht haben. Ein paar Wochen bevor wir uns treffen, beim Pokalspiel in Jena, stand es spät in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit 2-2 als Union einen Elfmeter zugesprochen bekam.

Andersson hatte eine Woche zuvor mit dem Ausgleich gegen Köln schon sein erstes Tor für Union gemacht, und das erste Tor an diesem Nachmittag mit einem Kopfball erzielt, der so einfach war, dass es schwerer gewesen wäre, nicht zu treffen (auch wenn jeder Stürmer bestätigen wird, dass das die schwierigsten Chancen sind). Also fragte Simon, ob er den Elfmeter schießen könne. Er setzt scherzhaft eine weinerlich verzweifelt flehende Miene auf, als er ihre Unterhaltung nacherzählt: „Ach Sebastian, darf ich bitte bitte den Elfer schießen?“

„Und dann hat er mich schießen lassen …“ Hedlund macht eine Pause, die der unweigerlich folgenden Pointe mehr Gewicht geben soll: „… aber es hat eine Weile gedauert.“

Simon Hedlund schießt den Elfmeter beim 4:2 in Jena; Foto: Tobi/unveu.de

Andersson antwortet trocken auf die Frage, ob ihm das schon öfter passiert sei: „Nein, normalerweise bin ich es, der nach Elfmetern fragt.“ Auch wenn das wahrscheinlich nicht stimmt. Ihm hat es nie an Toren gefehlt.

Aber zumindest für Hedlund war es nicht das erste Mal. Gegen Karlsruhe überließ ihm vor ein paar Jahren Sebastian Polter einen Strafstoß, der nach allen Regeln Polter zugestanden hätte. Hedlund ist weitaus schmaler als Andersson, und seine Beine sind so viel dünner als Polters. Dafür ist sein Gesicht engelhafter als das der meisten anderen. Vielleicht bringt er in diesen groß gewachsenen Stürmern, die es ohnehin gewohnt sind, sich für Ihre Mitspieler ins Zeug zu legen, einen Beschützerinstinkt hervor. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht dachten sie nur, dass es das Beste für die Mannschaft wäre, Hedlund diese Momente zu überlassen.

Und Hedlund wollte ihre Hilfe wirklich. Er ist ein ausgezeichneter Fußballer, ein sehr moderner linker Flügelspieler. Aber er brauchte trotzdem ein Tor. Denn Hedlund weiß, dass er einfach selbst zu selten Tore macht, auch wenn er ständig rennt und kämpft, mit seinen Läufen unablässig Verteidiger aus ihrer Ordnung zieht und damit Räume und Gelegenheiten für jemanden wie Polter oder Andersson schafft.

Er gibt das unumwunden zu, auch wenn es ihn sichtlich schmerzt, es zu sagen.

Simon Hedlund auf der Bank beim Auswärtsspiel in Würzburg im September 2016, Foto: Matze Koch

Denn Simon Hedlund hat in einer Saison nie mehr Tore gemacht als die sechs, die ihm in seiner letzten Saison in Schweden für Elfsborg und 2016/17 unter Jens Keller für Union gelangen. „Das ist einfach etwas, an dem ich arbeiten muss“, sagt er in dem Wissen, dass er diese Dinge nicht erzwingen kann.

Deshalb war er aufrichtig dankbar für den Gefallen, den ihm jeweils Polter und Andersson taten. Denn nichts macht das Toreschießen einfacher, als es schon getan zu haben. Man kommt in Schwung. Selbstvertrauen wächst wie Bakterien in einer Petrischale, Torkonten wie Zellen, die sich unter dem Mikroskop teilen. Bälle fliegen an Torhütern vorbei, die vormals in deren Arme gerollt wären. Hedlund machte in Jena später sein zweites und Unions viertes Tor, zwanzig Minuten vor Schluss. Das ist der Lauf der Welt. Er traf damals auch eine Woche nach dem Karlsruhe-Spiel gegen 1860.

Sein Elfmeter gegen Carl Zeiss war nicht ganz ein Panenka, aber fast. Er wartete, bis der Torwart sich nur ein kleines bisschen nach rechts bewegte, um dann den Ball locker auf der anderen Seite an ihm vorbei zu schieben. Das sieht einfach aus, wenn es gelingt – aber fürchterlich, wenn es schief geht. Wenn sich der Keeper nicht darauf einlässt, und sich nicht bewegt. „Naja, ich hab ihn angeschaut und versucht, so cool zu bleiben wie möglich, und alles so zu machen wie im Training.“

Gerade das ist aber nicht so einfach wenn man unter echten Druck steht: vom Publikum, von Mitspielern, und – vor allem – von sich selbst.

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So much love in a picture, football and a kiss to my love ????

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Andersson und Hedlund standen sich zum ersten Mal gegenüber, als Djurgårdens IF in der höchsten schwedischen Liga, der Allsvenskan, 2014/15 auswärts gegen Elfsborg gewann. In dieser Paarung spielten sie in den folgenden zwei Saisons gegeneinander, bevor sie ein letztes Mal in Schweden aufeinander trafen, nachdem Andersson zu IFK Norrköping gewechselt war. Hedlund fühlt sich sofort in einen Moment dieses letzten Spiels der beiden in Schweden zurückversetzt, als er darauf angesprochen wird:

„Ich hab ein Tor gemacht in dem Spiel“, wendet er sich an Andersson, „weißt du noch?“ Andersson kratzt sich für einen Moment am Kopf, weil er sich sofort an das Spiel erinnert und das nicht sein kann. Es war das letzte Spiel in der Amtszeit des jetzigen Nationaltrainers Janne Andersson. Und es ging auf jeden Fall 0:0 aus. Er muss das Ergebnis nicht erst nachschauen.

“Nein, ich habe getroffen, aber der Schiedsrichter hat es nicht gegeben. Der Ball ging an den Pfosten und dann rein. Ich flog nach dem Kopfball nach vorne, so dass ich genau auf der Torlinie saß, nachdem ich den Kopfball abgegeben hatte. Und ich habe gesehen, dass er drin war. Weißt du noch?” Plötzlich ist Andersson da. Hedlund hat recht. Er lächelt, denn es war eigentlich ein reguläres Tor, wenn auch ein verrücktes. Hedlund stand in einem spitzen Winkel zum Tor, und der Ball landete am Innenpfosten wie bei einer direkt verwandelten Ecke. Andersson erinnert sich an die Dreistigkeit seines jungen Gegenspielers und er lacht erneut, während Hedlund die Geschichte des nicht gegebenen Tores zu Ende erzählt. “Ich habe mir den Ball geschnappt und ihn direkt auf den Schiedsrichterassistenten geschossen.” Dafür sah er Gelb.

Sebastian Andersson und im Hintergrund Simon Hedlund beim 4:1 gegen St. Pauli, Foto: Stefanie Fiebrig

Und dann sind sie für einen Moment zusammen dort, zwar auf verschiedenen Seiten der Geschichte, doch sie genießen den Augenblick. Sie reden einfach über die Dinge, die ihre Lebensläufe beeinflusst haben. Es ist nicht kompliziert. Sie sind einfach zwei Jungs, die über ein Spiel reden, in dem sie gegeneinander gespielt haben, vor langer Zeit, in einem anderen Land. Aber es ist eine schöne Art, Zeit zu verbringen. Und es ist schön, Teil davon zu sein. Sie wirken völlig gelassen, lassen ihre Schultern entspannt sinken. Sie könnten das stundenlang machen.

Es hilft natürlich, dass sie sich nicht damit herumschlagen müssen, sich in einer Sprache zu unterhalten, mit der sie sich noch schwer tun. Man könnte jedem von ihnen einen Ball zuwerfen und sie könnten an jedem Ort der Welt Menschen in ihren Bann ziehen. Leute würden zuschauen, mit offenen Mündern vor Staunen darüber, wie sie das Spiel auf dem Feld beherrschen. Ganz so als würde ein Löwen-Dompteur plötzlich auf einer Dinner-Party auftauchen und seine Tricks zeigen. Aber wenn sie versuchen, ihre Gedanken auf Deutsch in Worte zu fassen, ist das oft anstrengend und lähmend. Ihr Selbstvertrauen verschwindet dann in den Äther. Puff. Einfach so.

Andersson sagt, es falle ihm leichter Deutsch zu verstehen, während Hedlund besser auf Deutsch reden kann – und beide beherrschen die Sprache besser als sie zugeben wollen, aber auf dem Platz sprechen sie trotzdem Schwedisch. Oder Englisch – wenn sie sich über den Lärm hinweg überhaupt hören können. Es ist manchmal hilfreich, eine ‘geheime’ Sprache zu haben. Etwa wenn sie sich über eine Standardsituation austauschen. Aber sie planen es nicht.

Doch als Hedlund Andersson fragte, ob er den Elfmeter übernehmen dürfe, tat er das auf Schwedisch. Es ergab sich einfach so, ganz natürlich. Simon ist froh, diese Möglichkeit zu haben.

Hedlund begann mit seinem Deutsch-Unterricht als er im Sommer 2016 zu Union kam. Aber er hasste es, Grammatik zu lernen. Der Gedanke, auch nur ein weiteres Verb konjugieren zu müssen, blieb ihm wie ein Hühnerknochen im Hals stecken. Und er hat es seitdem nicht geschafft, den Unterricht wieder aufzunehmen. Sowohl Hedlund als auch Andersson entschieden sich stattdessen dazu, die Sprache nebenbei zu lernen. Die Ohren offen zu halten und so viele Fragen wie möglich zu stellen. Durch Osmose zu lernen ist sicherlich besser, als ewig auf diese endlosen Listen von Verben zu starren. Oder zu versuchen, erst die Regeln auswendig zu lernen und dann die Ausnahmen von den Regeln.

Simon Hedlund verschenkt sein Trikot nach dem Spiel, Foto: Stefanie Fiebrig

Wenn man schon alle Mühe aufbringt, auf dem Fußballplatz Dinge zu tun, die die allermeisten nicht zu tun imstande sind, wie soll man dann noch den Enthusiasmus aufbringen, um Dinge außerhalb des Spiels zu lernen? Als Andersson gegen Aue seinen Einstand bei Union gab, war das zäh. Er sah aus wie der einsamste Mensch auf diesem Planeten. Dort vorne im Sturm, zehn Meter vor einem Mittelfeld, das sich mühte, Verbindung zu seinem Angreifer herzustellen. Das im Kreis lief. Sich bemühte, den Kampf nicht aufzugeben. “Ja, das war schwer. Aber ich wusste, dass ich weiter kämpfen muss.” Sagt Andersson und zieht dabei eine Grimasse. Immerhin war das ein Kampf, den er gewöhnt war. Ein Kampf, den er in- und auswendig kannte, und den er entsprechend seinen eigenen Vorstellungen nach gewinnen konnte.

Denn auf dem Platz, für diese neunzig Minuten, spielt es keine Rolle, welche Sprache du sprichst. Und An der Alten Försterei versteht man eh kaum ein Wort, sagen sie.

Steven Skrzybski hat mir einmal die Verbindung zwischen sich selbst und Christopher Trimmel auf Unions rechter Seite beschrieben: “Es ist fast telepathisch”, beschrieb er eine Beziehung, die sie beim Training in endloser Wiederholung geformt und auf den Plätzen der Zweiten Liga immer weiter verfeinert haben. Es spielte keine Rolle, dass Hedlund und sein früherer Mitspieler Kristian Pedersen – die Pendants zu Stevie und Trimbo auf der linken Seite – beide Schwedisch sprachen. “Zusammen zu spielen und zu trainieren reicht”, meint Andersson. Die Worte, die dabei fallen, sind unwichtig: “Man muss nicht groß nachdenken. Nur im Spiel sein.”

Aber im normalen Leben müssen sie sich durchaus verständigen. Das macht uns Menschen schließlich aus. Zlatan Ibrahimovic, den beide ohne zu zögern als den größten schwedischen Fußballer aller Zeiten anerkennen, erzählt in seiner Biographie von der Einsamkeit, die er nach seiner Ankunft in Amsterdam gefühlt hat. Er schlief auf Maxwells Sofa um weniger allein zu sein. Nicht, dass er sich einen echten Moment der Schwäche je zugestehen würde, er ist dafür zu sehr Macho. Aber es gibt diesen Moment doch. Und Urs Fischer unterstrich das, als er darüber sprach, dass die Neuverpflichtung Julian Ryerson das skandinavische Kontingent verstärken könne. Er wisse nicht, in welcher Sprache die Skandinavier miteinander sprächen, sagte er mit seinem Schweizer Akzent und klang dabei, als fiele es auch ihm schwer, verstanden zu werden.

Und es macht ihm nichts aus: “So lange sie sich überhaupt verständigen.”

Dass es eine Verwandtschaft zwischen Schwedisch, Norwegisch und Dänisch gibt, bedeutet dass sie sicher besser auf neue Lebenswelten einstellen können als Briten. Die Liverpooler Stürmer Legende Ian Rush hat Fragen nach seiner kurzen Zeit bei Juventus mit dem legendären Satz beantwortet: “Es hat sich angefühlt wie im Ausland.”

Aber wir ziehen uns alle in Klischees zurück, auch wenn wir wissen, dass sie gefährlich sein können. Sie geben uns ein Gefühl von Ordnung und eine Entschuldigung für unsere Unfähigkeit, fremde Sprachen zu lernen. Sie machen es einfach, die Welt zu verstehen. Andersson war verblüfft als er von dem Chaos beim BER in Schönefeld hörte. Sie hielten Deutschland beide für das Land der Pünktlichkeit und Ordnung.

Sebastian Anderssons erstes Spiel für Union am 1. Juli 2018 gegen Carl Zeiss Jena

Aber es war immer so. Bei der Beschreibung des WM-Halbfinales zwischen Schweden und Deutschland im Jahr 1958 konnte Brian Glanville, der Urvater des englischen Fußballjournalismus, es nicht verhindern, dass seine englische Weltanschauung in seinem Bericht durch schien: „Das Spiel in Göteborg bot eine außergewöhnliche Studie in Nationalismus, da der ungebremste Chauvinismus der Schweden selbst den der Deutschen in den Schatten stellte …“ Nils Liedholm hatte Fritz Walter in einem brutalen Zweikampf beinahe in zwei Hälften zerteilt – einem Zweikampf, für den Glanville Rot gegeben hätte und durch den Fritz Walter verletzt nicht mehr richtig weiterspielen konnte.

Andersson lächelt, als er diese Geschichte das erste Mal hört. Er weiß natürlich alles über Fritz Walter. Das Stadion in Kaiserslautern ist nach ihm benannt. Andersson erzielte dort bei seinem Debüt einen Hattrick. Er wusste aber nicht, dass Walter im WM-Halbfinale von einem Schweden niedergestreckt wurde.

Andersson fand es in Kaiserslautern schwer, aber das Team spielte auch das gesamte letzte Jahr furchtbar. „Es war sehr negativ“, sagt er nur. Die Fans waren kein Problem, er konnte immer ohne Belästigung durch die Stadt gehen. Aber seine Erzählungen erwecken den Eindruck eines Klubs, der mit sich nicht im Reinen ist. Der unter dem Gewicht seiner eigenen Erwartungen zerbricht, voll von Spielern, die nur an sich selbst denken und die Andersson aus Höflichkeit nie beim Namen nennen würde.

Es ist aber auch eine kleine Stadt. “Es passt mir besser hier.”

In Berlin wird man gerne mal übersehen. Vor allem als Spieler von Union. Hedlund hatte es schwer in seiner letzten Saison daheim in Elfsborg. Er wurde beim Kaffeetrinken von Fans belagert, die wissen wollten, warum er nicht die ganze Zeit trainierte. In Mitte kann er durch die Straßen gehen, ohne einmal angesprochen zu werden.

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Amor vincit omnia??

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Während Anderssons Familie bei ihm ist und ebenso wie er lernt, sich an das neue Leben in der Stadt anzupassen, ist Simons Frau noch immer in Schweden. Er fliegt zurück, wenn er kann, aber ich schließe daraus, dass es die Dinge nicht einfacher macht. Er geht nicht in Clubs, und er lacht, wenn er sagt: „Du findest mich da, wo die Touristen sind.“ Es wäre leicht, eine gewisse Traurigkeit in dieser Aussage zu sehen. Denn egal, wie verwöhnt und gefeiert du bist, es ist schwierig, als junger Mensch seinen Alltag in einem fremden Land zu leben.

Hedlund und Andersson haben es leicht, leichter als die meisten, aber sie sind keine Übermenschen. Wenn sie keine Teamkollegen hätten, auf die sie sich verlassen können, oder eine schreiende, brüllende Menge, sind sie genauso zerbrechlich wie alle anderen. Denn selbst für den sichersten Menschen auf der Welt kann es niederschmetternd sein, wenn einem die einfachsten Worte fehlen. Es kann alles zurück auf Anfang werfen. Du fühlst dich dumm. Du fühlst dich fehl am Platz.

Ich hatte darum gebeten, sie gemeinsam zu interviewen, weil ich annahm, dass sie Freunde sein müssen, weil sie aus demselben Land kommen. Aber es wäre falsch, sie wirklich Freunde zu nennen. Dafür hatten sie noch keine Zeit. Manchmal ist es das Wichtigste auf der Welt, jemanden neben dir zu haben. Jemand, der dich versteht. Jemand, der über deine Witze lachen kann. Jemand, der sich an ein Spiel erinnert, das vor langer Zeit gegeneinander gespielt wurde. Jemand, der deine Sprache spricht.

Jemanden, den du vielleicht sogar fragen kannst, ob er dich den Elfmeter ausführen lässt, weil du ein Tor gerade gut gebrauchen kannst.

Sebastian Andersson beim Pokalspiel in Jena am 19.08.2018, Foto: Tobi/unveu.de

Andersson hat nicht mit meiner letzten Frage gerechnet. Er hat sie zunächst nicht einmal richtig verstanden – in keiner Sprache. Denn sie drehte sich um ein UFO.

Am 18. Mai 1946 stieß Gösta Carlsson auf einer Waldlichtung in der Nähe seiner und Anderssons Heimatstadt Ängelholm in Westschweden auf eine fliegende Untertasse. Sie schien aus einem Stück irgendeines Materials zu bestehen und hatte eine seltsame Lichtquelle, die aus der Spitze herausragte. Er schätzte, dass die Untertasse etwa 15 Meter Durchmesser hatte und mehrere Figuren in weißen Anzügen arbeiteten stumm in ihrer Nähe. Er näherte sich, wurde aber von einer der Figuren gestoppt. Sie sprach nicht, sondern benutzte das internationale Signal einer flachen Handfläche: „Stopp!“. Er tat wie ihm geheißen und floh bald darauf von dem beunruhigenden Ort.

Carlsson wurde fabelhaft reich in den Jahren nach diesem Vorfall. Er war von einem gelben Staub bedeckt nach Hause gekommen, stellte aber erleichtert fest, dass das nur Blütenstaub war. Die Episode inspirierte ihn, wie er später sagte, diese Pollen in anti-allergenen Medikamenten zu verarbeiten. Er vergaß seine kurze Begegnung nie und behauptete, ihr alles zu verdanken. Also ließ er 1963 ein Denkmal an der Stelle errichten, an der sie ihm widerfahren war. Fünf Jahre, nachdem Schweden dank seines ungebremsten Chauvinismus’ das WM-Finale erreicht hatte.

Das Ufo-Denkmal Ängelholm, Foto: ShwSie at English Wikipedia (CC BY 3.0)

Das Denkmal steht noch heute da und hat mit seinem ausgefallenen Charme eine merkwürdige Berühmtheit erlangt. Ein Meisterwerk aus Stein und Messing im Wald versteckt, erschlossen von mächtigen Balken, die den Fußweg sichern, und umgeben von Zehntausenden dünnen, gewundenen Birken, die drohend darüber ragen.

Niemand glaubt Carlsson seine Geschichte, denn sie ist offensichtlich Unsinn. Aber Anderssons Vater hat ihm einmal das Denkmal gezeigt, als Sebastian noch ein Kind war, und ihm gesagt, sie sei echt. Dass wirklich eine fliegende Untertasse hier gelandet sei.

“Ich habe ihm geglaubt. Ich hatte ernsthaft Angst dorthin zu gehen. Ich weiß nicht, warum er mir das erzählt hat … Ich muss sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein.”

Nun, ich glaube, dass ich weiß, warum Anderssons Vater ihm die Geschichte als wahr erzählte. Weil es lustig ist, und Eltern sich gerne mit solchen harmlosen Späßen über ihre Kinder lustig machen. Und wenn sie erwachsen werden, entwickeln sie dann vielleicht auch einen Sinn für Humor. Wie Andersson.

Hedlund lacht fassungslos darüber, dass Außerirdische, die weit genug entwickelt sind, in interstellaren Reisen riesige Entfernungen zu überwinden, ausgerechnet in einem Birkenwald vier Kilometer außerhalb eines Ortes angekommen sein sollen, an dem nie jemand war. Denn es hat wirklich nie jemand einen Grund, nach Ängelholm zu kommen. Der Wald ist zum Niederknien schön. Aber trotzdem rangiert der Ort ziemlich weit unten auf den Listen, die Menschen sehen sollen, bevor sie sterben.

Aber Andersson hat auch darauf eine schlagfertige Antwort: Die Außerirdischen benötigten Ersatzteile. “Ja. Es ist halt ein Hafen für Metalle.”

Sie lachen wieder, lauthals. Glücklich. Und wir alle gehen unserer Wege, und werden dann wieder eine fremde Sprache sprechen, mit der wir uns immer schwer tun werden, egal, wie lange wir üben. Aber ich finde Trost wenn ich an eine der großen Hip-Hop-Weisheiten denke, die im Fußball wirklich stimmt: Es kommt nicht darauf an, wo du herkommst, sondern wo du bist.

Simon Hedlund jubelt nach seinem Tor zum 1:0 gegen Nürnberg im August 2017, Foto: Matthias Koch

Der zuerst auf Englisch erschienene Text von Jacob Sweetman wurde übersetzt von Robert Schmidl, Hans-Martin Sprenger und Daniel Roßbach.

3 Kommentare zu “Es kommt nicht darauf an, wo du herkommst, sondern wo du bist

  1. Danke für diesen wieder einmal wunderschönen Text.

Kommentare sind geschlossen.