Blog State of the Union

Eine Testspiel-Niederlage mit Erkenntnissen und einige offene Fragen bei Union

Der 1. FC Union Berlin verliert 1:2 gegen Holstein Kiel und damit den zweiten Test. Das Ergebnis ist allerdings tatsächlich eher zweitrangig, denn dafür war es ein Testspiel noch vor dem Trainingslager. Es ging nicht darum, eine potenzielle Startelf für die Bundesliga zu sehen. Aber ein paar Erkenntnisse können wir schon mitnehmen und schauen, ob sich bei den Testspielen in der nächsten Woche (am 28. Juli gegen Pafos FC und am 29. Juli gegen Udinese Calcio) in der Richtung schon etwas bewegt.

Anzeigetafel mit neuer Optik und einer ungewohnten Minutenzahl, Foto: Matthias Koch

Analyse: Defensive Stabilität und Abspielfehler im Fokus

Die von Urs-Fischer-Teams bekannte defensive Stabilität haben wir in dem doch sehr ungewohnten Spiel-Format mit 4 Vierteln à 30 Minuten nicht gesehen. Und damit meine ich gar nicht das erste Gegentor, bei dem Frederick Rönnow irgendwie mit dem Fuß im Rasen hängenbleibt, als der Rückpass von Josip Juranovic bei ihm ankommt und er ihn deswegen durchlässt. Das kann passieren.

Ich meine damit tatsächlich Abspielfehler in Zonen, in denen das nicht passieren darf und die Teams mit einer besseren Durchschlagskraft in der Offensive als Kiel sicher genutzt hätten. Denn in solchen Fällen stand Union eben nicht in einer geordneten Defensive. Dazu hatte Urs Fischers Team in den wenigen Phasen, in denen Kiel hoch stand, einige Probleme beim Herausspielen.

Das bereitet mir insgesamt keine großen Kopfschmerzen, weil das kein Test unter Wettkampfbedingungen war. Sonst hätte wohl beispielsweise Aaronson (ich glaube, dass er es war) wohl kaum in der 3. Minute den Kopf runtergenommen, um einen Freistoß von Kiel ins Toraus durchzulassen, obwohl zu seiner Überraschung ein Kieler hinter ihm den Ball noch erreichen konnte. Daraus resultierte wohl eine der größten Chancen Kiels aus dem Spiel heraus, wenn wir vom zweiten Tor mal absehen.

Offensivspiel: Dribblings, Flanken und wenig Torschüsse

Offensiv war ich hin und hergerissen. Teilweise gute Dribblings vorne im Angriffsdrittel. Etwas, das Union als Mittel in der Vergangenheit etwas fehlte. Die Anschlussaktionen an die Dribblings waren allerdings nicht so gut, dass daraus wirklich viel entstand. Stattdessen drängte sich in den ersten beiden Dritteln etwas der Eindruck auf, als sei das Offensivspiel etwas zu sehr auf Jerome Roussillon zugeschnitten. Ball auf Jerome, Flanke und dann hoffentlich Torabschluss.

Das war etwas durchsichtig und veränderte sich mit der Zeit als dann teilweise David Fofana sich auf links ebenso anbot und entweder Roussillon von außerhalb des Strafraums flankte oder Fofana nach einem Dribbling von innerhalb des Strafraums den Ball hineingab. Allein der Torabschluss war ein großes Thema. Denn der fehlte etwas. Mögliche Schüsse aus der zweiten Reihe wurden nicht abgegeben.

Mannschaftswechsel: Neue Dynamik im dritten Viertel

Sheraldo Becker nicht nur durch das Elfmetertor mit auffälliger Leistung, Foto: Matthias Koch

Das änderte sich im dritten Viertel, in dem Urs Fischer fast die gesamte Mannschaft durchwechselte. Mit Sheraldo Becker, Janik Haberer, Aissa Laidouni und Jordan Siebatcheu kam zunächst eine Wucht herein, bei der ich dachte, dass Kiel dem wohl wenig entgegenzusetzen hat. Aber das war dann doch nur auf wenige Minuten zum Beginn des dritten Viertels beschränkt. Abschlüsse, auch aus der zweiten Reihe wurden aber konsequenter gesucht. Aber der Erfolg stellte sich trotz teilweise bester Chancen (der Kopfball von Jordan!) nicht ein.

Was mir insgesamt gut gefallen hat, war das Direktspiel. Teilweise über mehrere Stationen wurde der Ball so weitergespielt, dass Kiel das Verschieben schwer fiel. Das ist natürlich fehleranfälliger (Stichwort Ballverluste bei Pässen) und verlangt mehr von den Spielern. Auch das Herumspielen um den gegnerischen Strafraum war gut, auch wenn nicht immer eine Lösung gefunden wurde. Insgesamt war ich von Kiel ein wenig enttäuscht und hatte mir mehr Konterspiel erwartet. Sie hatten schon wirklich sehr wenige Offensivaktionen. Ob das alleine am Fehlen von Steven Skrzybski (Rippenprellung) lag, vermag ich nicht einzuschätzen.

Steven Skrzybski konnte nicht mitspielen, sich aber mit seinem früheren Teamkollegen Michael Parensen unterhalten, Foto: Matthias Koch Steven Skrzybski konnte nicht mitspielen, sich aber mit seinem früheren Teamkollegen Michael Parensen unterhalten, Foto: Matthias Koch

Was steht im Trainingslager an?

Für das Trainingslager steht sicher auf dem Programm, dass wieder die gesamte Mannschaft, die Urs-Fischer-Prinzipien verinnerlicht: solidarisches Verteidigen, hohe Laufbereitschaft, Zweikampfstärke.

Ich vermute, dass möglicherweise Timing auch ein Thema sein wird. Wann im Spiel sehen wir die oben angesprochenen offensiven Elemente, die eher für etwas mehr Ballbesitz sprechen? Wann hilft der lange präzise Ball und das Tempo für Tiefenläufe? Und vor allem: Welche Kombination von Spielern kann als Mannschaft diese Anforderungen am besten auf dem Platz umsetzen?

Transfer-Fragen: Offene Positionen und Pantovic im Fokus

Die üblichen Transferfragen bleiben auch diese Woche noch unbeantwortet: Bleiben Sheraldo Becker und Danilho Doekhi bei Union? Geht Union mit Paul Jaeckel und Dominique Heintz als Innenverteidiger 4 und 5 in die Saison? Passiert noch etwas bei den Torhütern? Und wer kommt noch als Linksverteidiger?

Und was ist eigentlich mit Milos Pantovic? Bei ihm dachte ich, dass er sich nach einer für ihn enttäuschenden Saison bei Union wohl einen neuen Verein suchen wird. Nun wunderte sich der Offensivspieler bei Sport1 darüber, dass er bei zwei Testspielen nicht zum Einsatz kam. Das sind zumindest keine Zeichen, nach denen ich glaube, dass er noch lange in Union-Diensten bleiben wird.

Ungeplanter Schiedsrichterwechsel: Unionfan im Einsatz

Unionfan Gunnar Mielenz sprang nach 30 Minuten als Linienrichter ein, Foto: Matthias Koch

Abseits von den Erkenntnissen des Spiels gab es mit der Verletzung von Schiedsrichter Max Burda nach dem ersten Viertel eine ungeplante Verlängerung der geplanten kurzen Pause. Ich habe es live im Stadion noch nicht erlebt, dass per Durchsage ein Schiedsrichter mit mindestens Regionalliga-Erfahrung gesucht wird. Doch mit Gunnar Mielenz vom Friedrichshagener SV gab es tatsächlich jemanden, der einspringen konnte. Bei AFTV (ab Minute 3:10 bei den Stimmen zum Spiel) erzählt er, wie es für ihn war.

Ich ziehe auf jeden Fall meinen Hut vor dem Einsatz. Denn das ist eine klasse Leistung, da ohne große Erwärmung 90 Minuten die Seitenlinie hoch und runterzulaufen. Und das bei höherem Tempo als man es aus dem eigenen Fußball-Alltag als Schiedsrichter in der Berlin-Liga gewohnt ist.

Gunnar Mielenz leistete einen ungeplanten Einsatz an der Außenlinie, Bild: Friedrichshagener SV auf Instagram Gunnar Mielenz leistete einen ungeplanten Einsatz an der Außenlinie, Bild: Friedrichshagener SV auf Instagram

Testspiel-Stimmung: Schmaler Grat zwischen Begeisterung und Ballermann

Vielleicht noch ein paar Bemerkungen zur Stimmung beim Testspiel. Ich bin hingegangen, weil ich mir bei einem Testkick einen eigenen Eindruck von den neuen Spielern machen wollte. Andere gehen hin, um wieder Freunde zu treffen. Es gibt da tausend Beweggründe. Irritiert hat mich aber schon, dass wohl nicht nur Union mietfrei in einigen Herthaköpfen zu wohnen scheint, sondern das auch umgekehrt zutrifft. Anders kann ich mir nicht erklären, weshalb man bei einem Heimspiel von Union gegen Kiel rufen muss: „Zweite Liga: Hertha ist dabei!“ Ich empfand das als peinlich. Ich gehe zu Union, weil ich Union gut finde.

Nicht peinlich, sondern als geradezu unsportlich empfand ich die die Auf-die-Fresse-Rufe als einem Kieler Spieler ein von der Querlatte abgeprallter Ball mitten ins Gesicht flog. Die Rufe waren in einem über die Maßen fairen Spiel mit nur sehr wenigen Fouls sowieso schon fehl am Platz. Aber einem Spieler bei einer unverschuldeten Verletzung auch noch so etwas zuzurufen hat aus meiner Sicht nichts mit rauher Stimmung im Stadion zu tun. Das ist immer noch Sport und keine Wrestling-Show.

Ich habe mich sowieso gefragt, ob ich nur sehr entspannt bin beim Testspiel oder andere sehr verbissen waren. Mein Eindruck war, dass manche einfach etwas Gas geben wollten. Das hatte aus meinem Blickwinkel dann etwas mehr mit Ballermann oder Junggesellenabschied zu tun als mit Union. Mal ernsthaft: Bierdusche nach einem Elfmetertor in einem Testspiel …

Bier im Stadion: Alkoholfreie Alternative verfügbar

Apropos Bier: Mir war gar nicht bewusst, dass man im Stadion mittlerweile auch alkoholfreies Bier kaufen kann, wenn man das möchte. Der Wagen in der Mitte hinter Sektor 3 und einer im Biergarten bei Sektor 2 schenken das aus. Eine gute Alternative für diejenigen, die mit Auto unterwegs sind oder aus anderen Gründen keinen Alkohol trinken wollen.

Lucas Tousart wurde im Übrigen genauso empfangen wie alle Unionspieler. Mit Fußballgott.

Wurde freundlich empfangen: Lucas Tousart, Foto: Matthias Koch

Die Berichte der Berliner Medien zum Testspiel gegen Kiel:

Wechsel des Hauptsponsors: Von WeFox zu Paramount

Nachdem nun feststeht, dass es bei Union einen Wechsel des Hauptsponsors von WeFox zu Paramount gibt (Kurier schreibt, dass der Deal 6 Millionen Euro pro Jahr bringt, die Bild schreibt von 5 Millionen Euro), kann nun Tempo bei der Präsentation der restlichen Trikots für die neue Saison gemacht werden. Wer bereits ein neues Trikot mit altem Sponsoraufdruck gekauft hat, kann das bis 30. September umtauschen.

Der Grund für den Wechsel auf der Brust der Unionspieler wird in der Vereinsmitteilung nicht erwähnt. Dort steht nur: „Der bisherige Hauptsponsor wefox bleibt auch weiterhin Partner des 1. FC Union Berlin. Bereits seit 2018 ist das Berliner Insurtech-Unternehmen mit Union verbunden.“

Seit 2022 ist Wefox Hauptsponsor von Union und hätte es laut Vertrag bis 2025 sein sollen (Vereinsmitteilung vom März 2022). Die News aus dem Unternehmen waren in diesem Jahr eher negativ: Angestellte wurden gekündigt (Süddeutsche Zeitung, Bezahlartikel), die Tagesschau beschrieb wie Geld des sanktionierten russischen Oligarchen Roman Abramowitsch bei Wefox gelandet sein könnte, die Versicherungssparte von Wefox legte die Unternehmenszahlen verspätet vor (Handelsblatt), im Vorstand wurde umstrukturiert (Versicherungsjournal). All diese News lassen zumindest die Frage entstehen, ob sich Wefox das Sponsoring bei Union noch leisten konnte und wollte.

Union-Frauen: Trainingslager und Sieg gegen Pogon Stettin

Bereits heute fährt das Team von Ailien Poese ins Trainingslager nach Aschheim bei München. Neben den starken Verpflichtungen hatte die Mannschaft mit einer sportlichen Nachricht aufhorchen lassen. Am Donnerstag gewannen die Unionerinnen mit 2:1 bei Pogon Stettin, immerhin Erstligist in Polen. Der Tagesspiegel bietet einen Text dazu.

Highlight im Trainingslager wird sicher das Testspiel gegen den 1. FC Nürnberg, die gerade in die Bundesliga aufgestiegen sind.

4 Kommentare zu “Eine Testspiel-Niederlage mit Erkenntnissen und einige offene Fragen bei Union

  1. Jan Arlt

    Habe das Spiel urlaubsbedingt nur via AFTV verfolgen können. Deshalb nur:
    @Fredie: kann passieren, Fußballgott!
    @HerthazweiteLiga: genauso peinlich wie „Scheiß Union“ beim BFC vs Hahohe
    @Emotionen beim Testspiel: Luckenwalde war zu ruhig, Rapid eine gute Referenz, Kiel zu überdreht.
    „Auch im Erfolg, die eigenen Werte nicht vergessen!“
    Eisern!

  2. Vollpfosten

    Peinlich, ja! So ist das, wenn reine Erfolgsfans, und als solche muss man viele nunmal bezeichnen, signifikant werden…

  3. ich empfand bei dem Spiel das erste Viertel als druckvoll. Drei der Neuzugänge, Forfana, Aaronson und Tousard habe ich als auffällig gesehen. bei Tousard fiel die offensive Ausrichtung auf, er hat sich ständig angeboten, war immer einen Schritt weiter vorn, häufig gut positioniert in den Schnittstellen. ich hoffe, dass diese Individualität erhalten bleibt, neue Elemente ins Spiel bringt und nicht vom altbekannten „langen Ball nach vorn“ Prinzip vereinnahmt wird.
    stimmungsmäßig fand ich es gegen Wien etwas besser, nicht so agro. habe einige Leute gestern gesehen, die deutlich einen zu viel über den Durst getrunken haben.

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