Blog State of the Union

Warum mir der Fußball egal ist, aber nicht Union

Nach dem Testspiel-Sieg gegen den FC St. Gallen (4:1) geht es in den Medien, die Union beobachten um zwei Fragen: Bekommt Niko Gießelmann nach seinem Treffer wieder mehr Einsatzzeiten auf der linken Außenbahn? Wie sieht die Zukunft von Aljoscha Kemlein aus?

Der Kicker hat beide Fragen in seiner Montagsausgabe thematisiert. Die Berliner Zeitung hat sich dagegen intensiv mit Kemlein beschäftigt. Ich persönlich würde die Personalie Kemlein nicht allzu hoch hängen. Natürlich würde ich mich wie so viele darüber freuen, wenn ein Nachwuchsspieler von Union mal wieder den Durchbruch schaffen würden. Aber wir sollten hier einmal die Füße still halten. Bisher ist Kemlein weder in der Bundesliga regelmäßig im Kader, noch sammelt er überhaupt Einsatzminuten. Ein 45-Minuten-Einsatz im Testspiel während einer Krankheitswelle im Kader macht noch keinen Nachwuchs-Star.

Hier sind die weiteren Spielberichte vom Test gegen St. Gallen:

Die U19 hat den von der Fan- und Mitgliederabteilung organisierten Sendepausen-Cup gewonnen (Vereinsmitteilung). Rund 700 Fans waren in der Halle an der Hämmerlingstraße dabei und dieses Video gibt einen guten Eindruck davon.

Wie ist der Zustand des Fußballs Ende 2022?

Da es bis zum Beginn der Pflichtspiele der Männer bei Union noch eine Weile hin ist und auch bei den Frauen das nächste Pflichtspiel erst am 19. Februar stattfindet (das geht gegen Viktoria und dort entscheidet sich schon, ob es in dieser Saison vielleicht doch noch um Platz 1 gehen kann oder nicht), haben wir etwas Zeit und Raum, uns mit anderen Themen zu beschäftigen.

Vor Beginn der WM in Katar wurde ich im Kollegenkreis gefragt, ob ich die WM schaue. Es galt als ausgemachte Sache, dass ich ja sagen würde. Um so erstaunter war die Runde, als ich meinte, dass es mich nicht interessiert. Erstaunt vor allem, weil ich als Fußballfan gelte. Das ist ein großes Missverständnis aus meiner Sicht: Ich bin Union-Fan. Fußballfan war ich früher einmal. Da habe ich jedes Spiel gesehen, das ich bekommen konnte. Da kannte ich im Prinzip jeden Bundesligaspieler beim Namen und wusste welche herausragenden Spieler bei welchen Top-Clubs in Europa spielen. Jetzt schaue ich weder Bundesliga, noch Partien der Premier League oder der spanischen oder italienischen Liga.

Ein Kollege passte mich extra noch am selben Tag an der Kaffeemaschine ab und fragte ernsthaft interessiert, ob ich wirklich kein WM-Spiel sehen würde. Ich sei doch Fußballfan. Die Diskussion habe ich mit dem gut abgehangenen Spruch „Wir gehen zu Union, nicht zum Fußball“ abgewürgt. Wie soll ich etwas erklären, was ich mir selbst nicht erklären kann. Warum interessiert mich der Fußball insgesamt überhaupt nicht mehr, aber bei Union kann und will ich kein Spiel verpassen?

Kam die Entfremdung durch die Corona-Beschränkungen?

Zuerst dachte ich, dass das möglicherweise Corona-Nachwehen seien. Vielleicht ist die Entfremdung über die zahlreichen Beschränkungen gekommen. Fußball im Fernsehen wirkte doch arg künstlich ohne Zuschauer und, so ehrlich müssen wir schon sein, war auch langweilig anzusehen. Doch ich habe wirklich jede Chance ergriffen, ins Stadion zu gehen. Mir war es egal, wie wenig Leute zugelassen waren. Ich wollte dorthin. Wieder nah dran sein. Auf einem nummerierten Stehplatz stehen und nicht abfeiern nach einem Tor? Egal. Singen nicht erlaubt? Egal. Nur 200 Unionfans im 75.000 Personen fassenden Olympiastadion? Egal. Hauptsache wieder mit Menschen zusammen sein, denen dasselbe wichtig ist wie mir.

Nur 200 Unionfans durften das Pokalspiel gegen Hertha im Januar 2022 sehen, Foto: Matthias Koch

Und das dürfte tatsächlich der Grund sein. Union hat für mich sehr viel damit zu tun, ein Spiel gemeinsam mit anderen im Stadion zu erleben. Und dieses Stadionerlebnis hat kaum noch etwas damit zu tun, was ich erlebe, wenn ich Fußball im TV sehe. Das hat allerdings mit Corona nichts zu tun, sondern hat sich in dieser Zeit erst richtig gezeigt, als wir alle nicht mehr ins Stadion gehen durften. Aber ehrlicherweise hat die Entwicklung schon viel eher begonnen. Irgendwann habe ich aufgehört, Europacup und Bundesliga zu verfolgen. Ich habe immer nur die Liga verfolgt, in der Union spielte. Und selbst das dann immer mehr nur mit Blick auf Union. Wie die anderen Spiele in Unions Spielklasse abliefen? Irgendwie egal.

Als ich einmal im Doppelpass zu Gast war, um über Union zu sprechen, wurde ich gefragt, was ich davon halten würde, dass David Alaba bei Bayern auf einer anderen Position gespielt habe. Die Situation war für mich wie eine mündliche Leistungskontrolle in der Schule, bei der ein Thema geprüft wird, von dem ich noch nie im Leben gehört hatte. Mir wurde echt heiß und kalt in dem Moment. Ich glaube, dass ich ganz ehrlich gesagt hatte, dass ich keine Ahnung davon habe. Aus Höflichkeit habe ich verschwiegen, dass es mich auch nicht interessierte.

Keine TV-Abos mehr? Kein Problem

Jahrelang habe ich Fußball live zu Hause gesehen. Sky-Abo, na klar. Dazn auch. Die Preiserhöhung bei Dazn und die Erkenntnis, dass ich nur noch sehr wenig zielgerichtet Fußball schaue, hatte mich die Abos kündigen lassen im Sommer. Es war ein Experiment. Eine Kollegin hatte dasselbe gemacht. Wir haben beide gemeint, dass der Saisonbeginn darüber entscheiden würde, ob wir das durchhalten. Sie hat am ersten Spieltag ihr Abo wiederhergestellt. Ich nicht. Und ich muss sagen, dass es mir schwerer gefallen ist, mit Rauchen aufzuhören als mich von Sky und Dazn zu trennen. Spiele im Stadion und Relive bei AFTV sorgen dafür, dass ich Union immer verfolgen kann.

Trainer Urs Fischer und Präsident Dirk Zingler bei Dazn oder Sky: Union bekommt viel Geld durch die TV-Verträge, Fotos: Matthias Koch
Trainer Urs Fischer und Präsident Dirk Zingler bei Dazn oder Sky: Union bekommt viel Geld durch die TV-Verträge, Fotos: Matthias Koch

Wenn ich etwas gelernt habe in diesem furchtbaren Jahr 2022, dann dass ich mich jederzeit von Dingen trennen kann, die mich nicht mehr interessieren oder mir nicht gut tun. Es gibt wirklich keinen Grund, etwas aus Gewohnheit weiterzumachen. Ich habe auch vor einigen Wochen alle meine Tweets bei Twitter gelöscht und benutze den Account nicht mehr. Dabei habe ich die Plattform mal sehr gemocht und sie war fast 15 Jahre Teil meines Medien-Alltags. Aber sie war ehrlich gesagt schon kein guter Ort mehr, bevor sie verkauft wurde.

Da stellt sich natürlich die hypothetische Frage, was passieren muss, damit ich mich von Union trenne. Ich möchte die Frage gar nicht konkret beantworten. Vielleicht nur soweit: Sollte es mal soweit sein, dass ich nicht mehr gerne zu Union gehe, dann komme ich nicht mehr.

Warum stören uns Dinge beim Männerfußball, woanders aber nicht?

Eine viel größere Frage, die ich mir stelle: Warum stört mich nur die Entwicklung beim Männerfußball? Die Investoren, die scheinheiligen Verbandsrepräsentanten, die Korruption, all das stört und nervt. Aber eben nur beim Männerfußball. Warum stören ich mich so wenig an Investoren im Frauenfußball? Viktoria Berlin schreibt sich seine eigene Geschichte. Egal, ob die stimmt oder nicht. Beifall allenthalben dafür. Zuletzt im Guardian. Und ich kann das nachvollziehen. Female Empowerment als Teil der Geschichte ist in einem nahezu rein männerdominierten Bereich wie dem Fußball schon ein Alleinstellungsmerkmal. Dass es damit am Ende nicht so weit her ist und doch ein Mann das Team trainiert, stört die Geschichte nicht. Und mich ganz ehrlich auch nicht.

Ohne Investorinnen, aber dafür mit einer Trainerin: Union will mit Ailien Poese den Aufstieg des Frauenteams angehen, Foto: Matthias Koch

Mich stört weder Wolfsburg, noch Leverkusen, Hoffenheim oder Rasenballsport im Frauenfußball. Es stört mich auch nicht, wenn sich Hertha möglicherweise in die Regionalliga einkauft. Hier sehe ich eher, dass es dem Wettbewerb an sich gut tut, wenn mehr Geld in den Betrieb kommt. Wenn die Spielerinnen vielleicht besser (oder überhaupt) bezahlt werden.

Ist das scheinheilig und verlogen von mir, dass mich Dinge beim Männerfußball abnerven, die ich im Frauenfußball akzeptiere? Ja. Einschränken möchte ich aber, dass ich auch hier eher nur Union verfolge. Viktoria und Türkiyemspor nehme ich aus dem Augenwinkel wahr. Bundesliga oder Zweite Liga? Keine Ahnung. Champions League? Ist mir bei den Frauen genauso egal wie bei den Männern.

Es ist übrigens natürlich noch so, dass ich ein Streaming-Abo für Sport habe. Nämlich für Darts*. Und das ist gemessen an den Maßstäben, die wir an den Männerfußball anlegen, die absolute Hölle. Die Professional Darts Corporation (PDC), die die Wettbewerbe organisiert, ist kein Verband, sondern ein Unternehmen. Und das Unternehmen greift mal eben fix ein, wenn es um die Besetzung der Turniere geht. Wenn sich mit Fallon Sherrock eine der bekanntesten Spielerinnen nicht für die Weltmeisterschaft qualifiziert, wird eben eine Woche vor der WM-Auslosung noch einmal die Qualifikationsregel so geändert, dass sie doch daran teilnehmen kann.

Wenn die PDC einen Wettbewerb attraktiver fürs TV machen will, dann ändert sie wenige Wochen vorher komplett das Format. Und wenn sie in einem Markt expandieren will, dann verlegt sie Wettbewerbe verstärkt dorthin. Und gehe ich trotzdem zur Darts Premier League, wenn sie in Berlin einen Spieltag stattfinden lässt? Natürlich. Denn erstens ist es perfekte Unterhaltung und ist spannend. Und zweitens macht die PDC nie einen Hehl daraus, dass sie alles dafür tut, gut Geld zu verdienen und die Spieler daran durch hohe Preisgelder zu beteiligen. Sie tanzt nicht wie die Fußballverbände auf zwei Hochzeiten. Die singen das Hohelied auf die Amateure und gerieren sich als gemeinnützige Vereine (mit Steuervergünstigungen) und wollen gleichzeitig mit den Profis kassieren. Ein Spagat, der nicht zu schaffen ist.

„Darts never lets you down“

Vor Kurzem sagte einer der Kommentatoren von Sky Sports England während eines Darts-Turniers in Wolverhampton in Bezug auf die Begeisterung, die den Spielern dort entgegenschlug: „Darts never lets you down.“ Darts lässt dich nicht fallen. Er meinte das in Bezug auf den lokalen Fußballclub, der schon erfolgreichere Zeiten erlebt hatte. Die Wanderers stehen aktuell auf dem letzten Platz der Premier League.

Der Satz geistert seitdem in meinem Kopf herum. Warum lässt Darts dich nicht fallen? Weil man wie bei der Leichtathletik oder beim Boxen eben die Sportart mag und nicht einen bestimmten Spieler. Ich habe Darts wegen der epischen Auseinandersetzungen zwischen Phil Taylor und Raymond van Barneveld angefangen zu sehen. Ich sehe es immer noch gerne, obwohl der eine schon in Rente ist und der andere vor Kurzem aus der Rente wieder zurückgekehrt ist.

Die Gemeinschaft hält uns zusammen

Aber mit dem Argument funktioniert das im Fußball auch. Wer Messi-Fan ist, dem ist doch egal, wo er gerade spielt. Und wenn er nicht mehr da ist, wartet schon Mbappé. Fußball lässt dich auch nicht fallen. Wer dich fallen lässt, ist dein Fußballclub. Denn die wissen, dass du nicht weggehen kannst. Dein Fußballclub lässt dich fallen durch sportliche Miseren. Dein Fußballclub lässt dich fallen durch peinliche Funktionäre. Dein Fußballclub lässt dich fallen durch peinliche Profis. Dein Fußballclub lässt dich fallen durch Fans, die Dinge machen, mit denen du nichts zu tun haben willst. Aber du lässt ihn nicht fallen. Warum? Meine Antwort darauf benötigt nur ein Wort: Gemeinschaft. Oder etwas moderner ausgedrückt: Community.

Es ist diese Gemeinschaft von Leuten, denen dasselbe wichtig ist, die dasselbe erlebt haben (Elfmeterschießen in Osnabrück, Pokalhalbfinale gegen Gladbach, Relegation gegen Stuttgart, Stadionbau, Bluten für Union, und so weiter). Das ist der Grund, warum wir Union immer verfolgen. Egal, wie erfolgreich oder erfolglos das Team ist. Egal, ob Max Kruse oder Petar Divic spielen. Egal, ob Urs Fischer an der Seitenlinie steht oder Mirko Votava. Egal, ob 1000 oder 20.000 bei einem Spiel sind. Der erste Spieltag einer neuen Saison wird sich immer wie der erste Schultag nach den Sommerferien anfühlen, an dem wir endlich wieder normale Leute treffen. Leute, die verstehen, was wir meinen, wenn wir sagen: Wir gehen zu Union und nicht zum Fußball.

Für normale Fußballfans ist das Sven Michel, ein Stürmer. Für Unionfans ist das dagegen Sven Michel, einer von zwei Truthähnen, Foto: Sebastian Räppold / Matthias Koch

*statt meines Darts-Beispiels könnt ihr euch auch gerne damit beschäftigen, warum manche das NFL-Spiel in München toll fanden, obwohl sie dasselbe bei ihrem Fußballclub (ein Liga-Spiel in einem anderen Land beispielsweise) nicht sehen wollen.

30 Kommentare zu “Warum mir der Fußball egal ist, aber nicht Union

  1. Matti Nikolaus Berndt

    Danke. Ein wunderbarer Text. Eisern Matti

  2. Das Konstrukt ist immer und überall scheiße, selbst bei Extrem-Sackhüpfen, oder was die sich sonst noch ausdenken …

  3. Mich kotzt auch das Aushebeln von 50+1 im Fußball der Frauen an! VEB Wolfsburg kann sich in Serie den DFB-Pokal holen und Tradition wie in Potsdam bei Turbine geht baden.
    Ich muss bei jedem Sport für oder gegen jemanden sein, insofern gucke ich DartsWM teilweise, aber kein Wintersport

  4. Toller Text, interessante Gedanken.
    Meiner Meinung nach kann dich auch Dart, NFL oder sonst etwas fallen lassen. Ich würde das mit einer guten Serie vergleichen. Mal sehen ob sie mir nach Staffel 8 auch noch gefällt? Oder es ist so, wie es mit Tennis gewesen sein muss. Irgendwann zieht man weiter.
    Fußball ist dann vielleicht so etwas wie eine Soap*. Jeden Tag eine Folge und man merkt erst viel später, dass man es langweilig findet. Nach einem (Corona-)Urlaub beispielsweise.
    Union ist mehr als Fußball. Union ist Gemeinschaft. Das sieht man ja auch daran, dass Veranstaltungen außerhalb der Spiele gut angenommen werden. Aber auch der Spielbetrieb hat einen entscheidenden Vorteil. Er gibt die Termine und damit die Treffen der Gruppe vor. So gehen Verbindungen nicht verloren.

    Thema Frauenfußball. Empowerment, mehr Geld und bessere Bedingungen für die Akteure. Gut. Allerdings geht der Frauenfußball den ungesunden kommerziellen Weg ohne irgendeinen romantischen Widerstand. Die Chancen sind hoch, dass es ein Entertainmentaustauschprodukt wird. Eine Serie.

    *weichgespült, flacher Handlungsstrang, unendlich viele Folgen und schlechte Schauspieler :D

  5. […] dort schreibenden (und sprechenden) Menschen sehr schätze. Und so empfehle ich auch die heutige „State of the Union“, in der Sebastian Fiebrig sich mit der Frage beschäftigt, wie man als Fan momentan in diesem […]

  6. Besser hätte man es nicht beschreiben können. Das Sehverhalten, Union ,ich dachte das mir es alleine so geht,oder so halte!
    Danke und ja, es wurde nicht gegendert und jeder fühlte sich bestimmt angesprochen.

  7. Jürgen Gräf

    Entschuldigung, aber ich glaube ich muß etwas Wasser in den Wein schütten. So sehr ich auch vieles vom Gesagten mitgehe; ich glaube wir romantisieren uns wieder sehr. Wir sind mittlerweile doch selbst ein Teil des Unterhaltungsunternehmens Fußball. Keiner redet mehr vom „Urlaub in der ersten Liga“ sondern davon das wir uns dauerhaft dort etablieren wollen. Selbst der Europacup-Platz ist schon fast ein normales Ziel. Glaubt wirklich noch jemand, wir währen das kleine gallische Dorf, das sich tapfer gegen die Großen im Haifischbecken Bundesliga behauptet? Sicher sind wir keiner von den ganz Großen und von dem „Verein“ aus Markleeberg“ unterscheiden wir uns glücklicherweise doch sehr. Aber wir sind ,und werden inZukunft noch mehr, Teil des kommerzialisierten Fußballs. Oder glaubt jemand ersthaft Sheraldo Becker oder Robin Knoche spielen in der Alten Försterei weil die Luft in der Wuhlheide so gesund ist? Man sehe sich nur mal die Personalkosten im Jahresetat an und überschlage was beim Einzelnen im Schnitt so hängenbleibt; wobei die Nachwuchsspieler sicher nicht die Großverdiener sind. Ich denke das man außerhalb der Union-Blase nur noch den Kopf schüttelt über unsere Selbstwahrnehmung.

    • So ähnlich geht es mir auch. Ich will mit dem „großen“ Profifußball eigentlich nichts zu tun haben. Aber Union ist ein wesentlicher Teil davon geworden.

    • Senfbeilage

      Habt ihr geglaubt, dass ein Karim Benyamina bei uns gespielt hat, weil die Luft in der Wuhlheide so gesund ist? Wir waren selbst in der 3. oder 4. Liga Teil des kommerzialisierten Fußballs. Sonst müssten wir uns abmelden, neu anfangen und die Spieler von uns zahlen Mitgliedsbeiträge dafür, dass sie bei uns spielen dürfen. Es geht doch darum, was macht man aus dem Zirkus alles mit und was nicht? Hoffentlich bald beim Thema E-Sport zu sehen, dass wir weiterhin nicht alles mitmachen, was für uns nichts mit dem Fußball zu tun hat, wie wir ihn uns vorstellen. Das wir sportliche Ambitionen haben, Spieler bei uns ein marktgerechtes Gehalt bekommen und uns sportlich nicht freiwillig verzwergen hat für mich nichts damit zu tun, dass wir uns den negativen Aspekten des kommerzialisierten Fußballs unterwerfen. Man kann da auch gerne Zinglers Einwürfe zu verwenden, der ja sagt, dass wir mit unserem sportlichen Erfolg viel mehr unsere Idee des Fußballs einbringen können und uns viel mehr Augenhöhe begegnet wird.

    • Natürlich ist Union als Bundesligamannschaft auch gezwungen sich da zu behaupten. Das ist der ganze Sinn des Profisports. Es geht auch nicht um ein paradoxes Ziel im Sinne von „kommerzfreier Profifussball“, wer das so behauptet hat den Konflikt wohl nicht ganz verstanden.

      Es macht einen erheblichen Unterschied mit welcher Haltung man als Fan mitmacht und mitmachen kann, und vor allem mit was man alles zwangsbeglückt oder auch verschont wird. Das kann der Verein nämlich beeinflussen. Und das macht Union ausgezeichnet im Vergleich zu vielen anderen Clubs.

      Wesentlich ist meiner Meinung nach aber wie man sich mit dem Dilemma von „kommerziellem Zwang“ und „nostalgischer Verklärung“ verhält und wie der Verein seine Fanbasis einbindet bzw die auch miteinander können.

      Wer nie woanders als in der AF Fussball geguckt hat, ausser vll mal im Unioner-Auswärtsblock, kann gar nicht ahnen wie unfassbar nervig-peinlich-stimmungstötend diese ganzen Jingles und Werbung und Kisscams usw. sind, plus eine Sofortbeschallung direkt nach Abpfiff um jede authentische Regung im Publikum im Keim zu ersticken und zu lenken. Auch die Kommunikation und Bindung zwischen Verein und organisierter Fanszene und den Fangruppen untereinander ist bei Union aussergewöhnlich. Und die AF bietet als Stehplatzstadion eine ganz andere Basis als in fast allen anderen „Arenen“, was sich wesentlich auf das Fanverhalten und die Fanbasis auswirkt.

      Fan einer Profimannschaft zu sein ist immer ambivalent, so man sich nicht als reiner Konsument versteht oder kein Problem hat, dazu gemacht zu werden. Das ist ein dauernde Auseinandersetzung. So macht man das eben mit der wichtigsten Nebensache der Welt ;-)

      Ich kann Sebastians Gedanken also sehr gut verstehen. Die WM hab ich auch nicht geschaut. Aber das Sky Abo hab ich noch nicht gekündigt, nur das von DAZN… ;-)

    • Makranstädt muss es heißen, nicht Markleeberg

    • Maria Draghi

      Guter Beitrag. Selbstbeweihräucherung, Wagenburgmentalität und teilweise schon in den Personenkult abrutschende Verhaltensweisen nehmen bei uns wachsenden, m.E. inzwischen zu großen Raum ein, ja, scheinen für manche sogar selbstverständlich geworden zu sein. Aber auch für uns gelten die Gesetze der Schwerkraft und leider können auch wir nicht übers Wasser gehen.

    • Senfbeilage

      @Maria Draghi…ich würde behaupten die Wagenburgmentalität hat uns zunächst da hingebracht wo wir gerade sind und lässt uns aktuell auch dort wo wir sind, ohne die ganz großen Kröten schlucken zu müssen, an denen man erstickt. Wer weiß welche Leute mittlerweile bei uns mitreden wollen würden und denken Ansprüche zu haben, die aber auch eine ganz andere Vorstellung von unserem Verein mitbringen. Da hilft die Wagenburgmentalität, um geschlossen als Verein gegen Bestrebungen entgegenzutreten oder sich von außen was überstülpen zu lassen. Da nehme ich aktuell auch weiterhin in Kauf, dass es natürlich trotzdem zu Situationen kommt in denen ich mir mehr Kommunikation und Transparenz wünschen würde. Die Demokratie bspw. ist ja auch aktuell das beste politische System, aber beileibe nicht perfekt.

    • Maria Draghi

      Was die Vergangenheit betrifft hast du sicher ein Stück weit Recht. Man muss aber aufpassen, dass negative Entwicklungen in der Zukunft nicht überhand nehmen und eigentlich nur deshalb akzeptiert werden, weil sportlicher Erfolg derzeit da ist. Sportlicher Erfolg ist bekanntlich flüchtig, und wenn in Zeiten des Misserfolgs sich zu viel Dreck unterm Sofa angesammelt hat wird das ganze schnell zur Zerreißprobe.

      Unabhängig davon bin ich nicht der Meinung, dass Selbstbeweihräucherung und Personenkult jemand erfolgreicher machen. Diese beiden Dinge sind nur für die Optik wichtig, aber nicht fürs Tagesgeschäft-
      .

    • Senfbeilage

      Hab das auch auf die Wagenburgmentalität bezogen. Bei den Themen Personenkult und Selbstbeweihräucherung sehe ich eher, dass das Themen von uns sind als der Vereinsführung.

  8. Ich wehre mich immer dagegen als Unionfan bezeichnet zu werden. Ich bin Unioner. Wenn dann nach dem Unterschied gefragt wird stelle ich dann die Gegenfrage ob derjenige Deutschlandfan oder Deutscher ist.

    • oh, ich bin Deutscher (nur aus Versehen, da kann ja keiner was für) aber wahrlich kein Deutschlandfan. Das ist in meinen Augen das doppelte Gegenteil meiner Beziehung zu Union ;-)

  9. Musiclover

    Beim extrem wichtigen Heimspiel gegen Viktoria könnten wir zeigen, was Union ausmacht. Leider ist es aktuell parallel zum Heimspiel gegen Schalke angesetzt. Es wäre schön, wenn dieses Topspiel auf den Sonnabend und in die Alte Försterei verlegt werden könnte, dazu eine Liveübertragung bei Sport1 und 5000 Unioner im Stadion. So könnte man den Frauenfußball bei Union auf eine neue Stufe heben und Berlin noch mal zeigen, was bei Union möglich ist.

  10. Eine eher persönliche Frage an Sebastian, die ich gerne auch mal in einem persönlichem Gespräch beantwortet bekommen wollen würde:
    Wie lange kann sich Union denn sich von dem entziehen, was dich vom Fußball entfernt hat? Ihr nehmt an einem Wettbewerb teil, der sich seit Jahren von den Fans entfernt. Das wird ja nicht besser werden.
    Ansonsten lese ich immer gerne, wenn es um persönliche Empfindungen geht.

    • @nedfuller Das ist eine sehr gute Frage. Und ich kann dir sagen, dass wir diese vor dem Aufstieg in die Bundesliga sehr ausführlich, aber nicht bis zum Ende erörtert haben. Ändert Union die Bundesliga oder die Bundesliga Union? Das war die auf das Wesentliche reduzierte Frage. Ich kann das nicht beantworten. Es ist mir schlicht nicht klar, wie viel Einfluss Union wirklich hat. Denn die Diplomatie innerhalb der Verbände betreibt Union sehr geräuschlos. Aber ein Beispiel hat mir gezeigt, dass sich zumindest an Unions Position erinnert wird. Im Zuge der ersten Europapokalteilnahme nach dem Aufstieg und aufgrund der verschiedenen Coronamaßnahmen hatte Union auch in Betracht gezogen im Stadion an der Alten Försterei Sitzplätze einzubauen, wenn es sowieso eine Beschränkung der Zuschauerzahl geben sollte. Da wurde viel mit der Uefa diskutiert und versucht die Verbandsvorgaben bis zur Unkenntlichkeit zu dehnen. Als dank der jahrelangen Arbeit der Football Supporters Europe die Uefa in dieser Saison überraschend kurzfristig die Beobachtungsphase für Stehplätze verkündete, tat sie das nicht nur mit einem Union-Foto, sondern meldete sich auch gleich bei Union mit der Bemerkung (ich paraphrasiere): Jetzt dürft ihr bei euch im Stadion spielen. Das macht ihr doch jetzt auch, oder?
      So einfach war das für Union nicht, die wochenlang alles für das Olympiastadion vorbereitet hatten. Aber es gab da auch kein Zurück. Union ist also durchaus für bestimmte Positionen bekannt.
      Zurück zu deiner Frage: Ich habe Befürchtungen, was passieren könnte, wenn die personelle Kontinuität, die Union seit gut 15-20 Jahren hat, einmal vorbei ist. Wieviel dieser uns in Fleisch und Blut übergegangenen Einigkeit bei der Ausrichtung des Vereins gibt es dann noch zwischen Fans und Offiziellen? Wie können wir sicherstellen, dass wirklich nur Unionerinnen und Unioner den Verein führen? Ich glaube, dass das die Sollbruchstelle sein könnte. Wir hatten vor über 20 Jahren einen Präsidenten, der Union nach Mitte in ein Stadion verpflanzen wollte. Heute ein unglaublicher Vorgang. Damals klappte es zum Glück aufgrund von Unions notorischer Finanzschwäche nicht. Manchmal ist es eben auch gut, keine Mittel zur Gestaltung zu haben :)

  11. …wie er einfach jedes Mal damit flext, dass er unter den 200 im Oly war…
    ;oP

  12. Herr Zingler betont doch immer wieder das unser Verein für Leistungssport steht. Und er zum Ziel hat das der Leistungssport bei Union so erfolgreich wie möglich ist. Damit sagen wir doch zu 90% der Kommerzialisierung im Fußballgeschäft auch ja. Freundschaften pflegen könnte man auch bei nem Segelverein oder nem Brettspiel. Offensichtlich geht es auch darum von anderen sichtbar und erfolgreich zu sein.

    • @Bernd Ich sage es mal so: Wir leben alle in irgendwelchen Widersprüchen. Und als Anhänger eines Clubs im Profifußball der Männer sind diese besonders groß.

  13. Mein „Gott“ Sebastian, man kann sich selbst aber auch etwas zu sehr zum Nabel der Welt machen …
    Aber nur zu, hat auch irgendwie etwas Erheiterndes.

  14. @Seb: Sehe gerade die Merkel Doku, ist ja in Templin aufgewachsen. So wie im Film bei Paris der Eiffelturm, London der Big Ben gezeigt wird … ist es in Templin die Altstadt, wo ein Mann mit dem Rollator unterwegs ist ;)))

    • @moin Rollatoren sind auf dem Altstadtpflaster eine besondere Herausforderung. Kann mir vorstellen, dass das für Filmschaffende deshalb ein besonderes Sujet ist :)

  15. Zu dieser Diskussion kann ich nur empfehlen das Buch von Oliver Ruhnert zu lesen.
    Es ist so, dass wenn man in der 1. BL spielt auch gewissen Zwängen unterliegt. aber ich bin der Meinung, dass Union alles richtig macht, weil wir nicht alles mitmachen.

  16. Man kann ja SKY und DAZN kritisieren, aber was wäre mit unserem Verein passiert, wenn am Beginn von Corona im März 2020 bei einem Etat von 76 Millionen €, die TV-Gelder von 32 Millionen € gefehlt hätten? Die Etablierten Vereine hätten die Mindereinnahmen durch Corona überstanden, wir auch? Und ich war froh zumindest im TV meine „Fußballgötter“ zu sehen, auch wenn wir auf drastische Art und Weise erkennen mussten, dass Fußball ohne Fans nicht geht.

  17. Danke für diesen nachdenklichen Text und die Gedankenanstöße. Ich glaube da findet sich der ein oder andere wieder.

  18. Kann ich nur zustimmen. Außer Union interessiert mich wirklich nicht mehr viel beim Fußball. Dieser unausgeglichene / unfaire nationale Wettbewerb ist so langweilig.
    Champions League treten Jahr für Jahr die gleichen Mannschaften ab dem Achtelfinale gegeneinander an.
    Wer Freude daran empfindet, soll es natürlich weiterhin konsumieren. Die WM habe ich auch ohne ein Spiel zu sehen gut ausgehalten und habe es zu keiner Sekunde vermisst.
    Wie du es beim Dart empfindest, empfinde ich bei der NFL. Jeden Sonntag freue mich, wenn es die Familie & Zeit zulässt, auf die NFL Spiele. Spannender/ ausgeglichener Wettbewerb, faire Verteilung und klare Kommunikation in der Vermarktung / Verteilung. Ob dieses Gefühl für den Fußball auch nochmal zurückkehrt? ich befürchte nicht.
    Ich freue mich auf die kommenden Union Spiele & weitere spannende NFL Seasons.

    Liebe Grüße und rutscht gut rein

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