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Urs Fischer und elf TV-Kameras

Als ich zum letzten Mal hier war – es kommt einem vor, als sei es eine Ewigkeit her –, zur Pressekonferenz vor den ersten Relegationsspiel gegen Stuttgart, wirkte Unions Trainer Urs Fischer ein wenig nervös. Eine Falte in seiner Wange zuckte ein wenig. Eine Kleinigkeit, aber eine, die man gerade so wahrnehmen kann wenn man genau genug hinschaut. Und die man versteht, wenn man etwas über Fischer liest. Er ist jemand, der besessen davon ist zu gewinnen, und er wusste, dass dieses Hinspiel die Aufstiegsspiele vorentscheiden würde.

1. FC Union Pressekonferenz
Elf Kameras und viele Journalist*innen bei der Pressekonferenz, Photo: Matze Koch

Aber jetzt, vor dem Spiel gegen Leipzig, wirkt Urs Fischer viel entspannter. Er redet ausführlich über seine Spieler, über die technischen Unterschiede zwischen den Sebastians Andersson und Polter, und lobt dabei beide in hohen Tönen. Er spricht darüber, wie hart die Mannschaft gearbeitet hat, wie gut sich die neuen Spieler einfügen, wie man den Gegner beobachtet hat. Er ist locker, leicht zugänglich und lächelt viel. Er sieht aus, als habe er Spaß daran, Witze über die vielen neuen Gesichter in der Pressekonferenz zu machen.

Die Bundesliga: So voll war es hier noch nie

Denn so voll war es hier wirklich noch nie. Elf TV Kameras stehen hinten im Raum und filmen Urs Fischer.

Der sagt, der Unterschied zwischen den Spielen gegen Halberstadt und Leipzig sei gar nicht so groß, es ist am Ende ja nur ein Fußballspiel. Und nur daran möchte er denken, an nichts anderes. Es ist alles eigentlich ganz einfach.

Doch dann wird Fischer nach dem geplanten stummen Protest gefragt, der in den ersten 15 Minuten am Sonntag stattfinden wird. Die Frage kommt gegen Ende der Runde, von einem der Plätze hinten im Raum wo die Kameras stehen, und nervt Fischer sichtlich. Er hat gerade 20 Minuten damit verbracht, zu erklären, dass die anstehende Partie für ihn nur noch ein Fußballspiel ist. Er hatte sogar in seinem Eingangsstatement darauf hingewiesen, dass er und sein Team alles rundum ausblenden müssen, den Bulllshit von außen, der – selbst gewählt oder nicht – jeden Fußballverein umgibt, der so plötzlich wie Union in den letzten chaotischen, freudvollen Monaten das Scheinwerferlicht gestellt wird.
Aber es dauert nicht lange, bis der alte Urs Fischer wieder durchscheint.

Urs Fischer Trainer 1. FC Union
Ein gelöster Urs Fischer bei der Pressekonferenz, Photo: Matze Koch

Dieser Tage spricht man bei Union über ihn als einen meisterhaften Kommunikator. Fischer legt wert darauf, allen im Raum bei der Pressekonferenz die Hand zu geben – ein Trick, der schon Claudio Ranieri immer etwas guten Willen gesichert hat, wenn er den innerhalb der Presse brauchte. Und wie JFKs berühmter Satz „Ich bin ein Berliner“ wird man sich auch daran erinnern, wie Urs Fischer auf geniale Weise ein Idiom in der Landessprache benutzt hat, nachdem Union aufgestiegen war:

Sein „Einfach geil“ ist aber noch besser, denn der Präsident war darauf angewiesen, dass sein Dolmetscher ihm den Satz zurecht legt. Er wird historisch nicht ganz so berühmt werden, aber Fischers Satz entstand natürlich.

Urs Fischer und die Peitsche

Es ist etwas weicher geworden. Ein ehemaliger Mitspieler hat einmal über ihn gesagt, sein einziges Werkzeug sei die Peitsche. Das war als Kompliment gemeint, aber in der Tat war es nicht unbedingt leicht, mit Fischer zu arbeiten. Man sagte über ihn, er sei besessen von dem Spiel, das zu beherrschen jedenfalls den Großteil seines Lebens in Anspruch nahm, im Versuch, es seinem Willen gefügig zu machen.
Es gibt eine Geschichte über Fischer als Kind, die vor einigen Jahren in der Neuen Zürcher Zeitung erzählt wurde. Urs habe seiner Mutter gedroht, nie wieder mit ihr zu sprechen, nachdem sie gewagt hatte, seinem Trainer von dem 40-Grad-Fieber zu erzählen, mit dem er am Morgen eines Spiels aufgewacht war. Es ist verlockend, sich Fischer in diesem Moment so vorzustellen, wie er jetzt aussieht, nur als kleines Kind mit einem rundlichen Gesicht, abstehenden Haaren, einem eckigen Gesicht, einer schwarz umrandeten Brille und schmerzenden Gliedern, mit kaltem Schweiß, der ihm den Rücken herunter läuft und einer tauben Zunge, und das sich wünscht, trotzdem spielen zu dürfen, bevor ein Moment des Zorns über die Ungerechtigkeit von Allem in seinen Augen erscheint.

Er war besessen von Fußball, und von Erfolg. Das ist, warum es ihn so geärgert hat, in Basel entlassen zu werden, nachdem er zweimal die Liga gewonnen hatte. Das hatte er nicht verdient, er war sich sicher, für besseres gut genug zu sein, und wusste dass er das würde zeigen können, dass da noch mehr kommt.
Ich schaue immer wieder auf die elf TV-Kameras im Presseraum des Stadions. Selbst vor dem Hinspiel gegen Stuttgart, als wir all das schon einmal durchgemacht haben, standen da nur sieben. Das weiß ich, weil ich sie beide mal durch gezählt habe. Die drei Reihen von Tischen sind voll.

Matze Koch, einer derjenigen, die hier schon lange Fragen stellen, hatte damals Urs Fischer gefragt, was er tun würde, wenn Union Stuttgart schlägt. Fischer lachte, und sagte, das sei eine der besten Fragen, die ihm einmal gestellt worden seien, vielleicht in den Top-10, aber dass er noch nichts darauf antworten könne.

Urs Fischer Maskottchen Ritter Keule
Urs Fischer und Maskottchen Ritter Keule, Photo: Stefanie Fiebrig

Wahrscheinlich ist er dann angeln gegangen. Oder zurück nach Affoltern, mit den Bergen im Hintergrund und der Stadt Zürich, die sich vor ihnen ausbreitet. Mit Straßen, die in endlos scheinenden Kreisen Hügel hoch und in Schluchten hinab in Wälder führen.

Es sind nicht nur die elf Kameras und die vollen Reihen die daran erinnern, dass Union einen weiten Weg hinter sich hat in den letzten zehn Jahren. Es scheint nur einen Augenblick her zu sein, dass Pressekonferenzen hier in Containern stattgefunden haben, ungefähr da, wo jetzt der Fanshop ist. Da war es zugig und kalt, die Wände verrieten, dass das Dach löchrig war, und die Stadionlautsprecher mussten immer wieder abgeschaltet werden, wenn sie nur noch Sun O))) Feedback von sich gaben. Uwe Neuhaus hat damals hier Marlboro Lights draußen vor der einen Tür am Waldrand geraucht, während die Journalisten und Journalistinnen durch die andere herein kamen. Neuhaus war zugänglich damals, aber er würde nicht bei einer Zigarette über die Arbeit sprechen. Das hob er sich für die PK auf.

Doch man konnte danach mit ihm reden. So wie das all die örtlichen Journalisten und Journalistinnen gemacht haben, die sich ihre eigentlichen Fragen für nach dem offiziellen Teil aufhoben: Es war eine andere Welt damals. Fast niemand war damals bei diesen Pressekonferenzen, denn Union war damals so gut wie Nichts, und niemand außerhalb interessierte sich wirklich für den Verein. Jetzt sind die Pks voll. Elf Kameras sagen alles.

Eine Frage wie eine Straße in Affoltern

Fischer verbrachte einige Zeit in Affoltern, nachdem er in Basel entlassen worden war. Und plante seinen nächsten Karriere-Schritt. Es gibt dort eine „Glaubtenstrasse“, die sich faul durch den Stadtteil windet und zu sich selbst zurück führt. Man kann von der Glaubtenstrasse links abbiegen, und auf die Glaubtenstrasse kommen. Oder rechts abbiegen und das selbe erleben. Es muss die Hölle sein, dort Zeitungen auszutragen. Es sieht aus, als sei die Straße von Betrunkenen angelegt worden. Egal was man macht, man kommt immer an den selben Punkt. So wie hier, in einem voll gepackten Presseraum vor dem Spiel gegen eine Mannschaft, die in Leipzig spielt. Die Frage nach dem Protest war unausweichlich, aber trotzdem stand sie sperrig im Raum.

Der Trainer trägt das enge Oberteil eines Trainingsanzugs während der Pressekonferenz. Es ist schwarz, mit roten Schultern und einem kleinen Logo des Sponsors, nach dem er auch einhundert Mal gefragt wurde. Und schwarze Trainingshosen mit leuchtend roten Turnschuhen. Seine Brille ist immer noch da, genau wie das eckige Gesicht und seine Haare stehen ab wie schon immer.

Fischers Lächeln bricht ab, und er fragt, warum er die selbe Frage immer wieder beantworten muss, wo er doch schon zweimal allzu klar gesagt hat, was seine Haltung dazu ist. „Aber ich kann es gerne wiederholen, und somit mach ich‘s jetzt wirklich zum letzten Mal…“ Natürlich hätte er gern das Tollhaus des Stadions für alle 90 Spielminuten hinter sich, statt der geplanten 75. Aber er will sicher nicht ‚auf diesem Hügel sterben‘. „Die Fans haben sich entschieden, dementsprechend haben wir das auch zu akzeptieren.“ Es gab nichts, was er dagegen hätte unternehmen können – oder wollen.

Urs Fischer
1. FC Union Berlin beim Spiel gegen den SC Paderborn. Photo: Stefanie Fiebrig.

Unions Trainer weigerte sich, den Protest zu kritisieren, obwohl das wirklich nicht ist, wie er seine Bundesliga-Karriere am liebsten begonnen hätte. Denn er weiß, wie Union hierher gekommen ist, er kennt das Blut und den Schweiß, den die Unionerinnen und Unioner vergossen haben, deren Gesichter so prägnant und wunderschön hochgehalten werden am Sonntag, während die Hymne gespielt wird.

Fischers Zorn hielt nicht lange an, es war nur ein Flackern, ein Blitz, eine hingezogene Erinnerung eines Mannes, dessen Antrieb, Fußballspiele zu gewinnen, so ungebremst wie je ist. Und bevor er ging, schüttelte er allen die Hand, auch wenn das länger dauerte als je zuvor.

Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Roßbach.