Blog State of the Union

Ein Traum, der nie ein Traum war

Nun ist es also klar, was mit einem Freistoßtor von Felix Kroos in den letzten Minuten gegen Erzgebirge Aue am 05. August 2018 irgendwie begann, sich in einer legendären Nacht im Mai weniger als ein Jahr später im Verbund zwischen einer unglaublich energetischen Alten Försterei und auch der ersten VAR-Entscheidung in der Union-Geschichte erstmalig entlud, durch Rani Khediras spätes Siegtor regelrecht erlösend manifestiert wurde, wird am 20. September gegen 18.45 Uhr in Madrid seinen (vorläufigen) Höhepunkt finden.

„Die Königlichen. Das ist die größte Mannschaft der Welt. Da zu spielen, da geht auch für einen Trainer ein Traum in Erfüllung.“ (Union-Trainer Urs Fischer zur Champions League-Auslosung)

Während für Urs Fischer also ein Traum in Erfüllung geht, halte ich das alles einfach für surreal. Union goes Bernabeu. Wenn mir das jemand im August 2018 oder eigentlich auch an allen Tagen bis zum letzten Donnerstag prophezeit hätte, ich wäre gezwungen gewesen erst einmal Puls und andere Körperfunktionen meines Gegenüber zu testen, um sicherzugehen, dass kein Alien aus der Zukunft vor mir steht.

Für mich geht aber dennoch kein Traum in Erfüllung. Als ich als ziemlich kleiner Junge das erste Mal bei Union war, gab es nicht mal genügend gedruckte Eintrittskarten, auch wenn gar nicht mal soviel später der erstmalige Aufstieg in die Zweite Fußball-Bundesliga der Männer gefeiert werden konnte. Die Zweite Liga war „mein Traum“ und dann irgendwann lange Zeit auch das Ende der Fahnenstange. Champions League, das war irgendwie eine andere Sportart, nicht nur vom fußballerischen Niveau, sondern von allem drumherum, irgendwas Hochglanz-mäßiges, irgendwie nicht wirklich Union-mäßig in meinen Augen. Die zwei Champions League-Partien, die ich bisher besucht habe, waren absolute Fußballfeste – mit der Betonung auf Fußball – bzw. einfach großartige Spiele. Aber dabei habe ich halt Fußball konsumiert, beobachtet und war nicht wirklich „Teil davon“, wie ich es bei Union zumeist viel mehr bin.

Wichtige Botschaft für alles Kommende, Foto: Matze Koch

„Wir gehen zu Union und nicht zum Fußball“ fasst es eigentlich ganz gut zusammen. Champions League mit Union? Das hört sich für mich immer noch komisch, irgendwie unpassend an. Aber seien wir ehrlich, klar es gibt Sachen, die mich skeptisch machen. Die hohen Transferausgaben bspw. – Union weist das größte Transferminus der gesamten Bundesliga auf wie Till Oppermann in seinem Artikel für den RBB u.a. erläutert – oder auch das gestiegene Anspruchsdenken, welches ich ja auch bei mir selbst beobachtet habe: Ich erwische mich mittlerweile oft, dass ich beim Suchen von sechs, sieben Bundesliga-Kadern, die aus meiner Sicht klar besser sind als Unions Kader, nur vier, maximal fünf Teams aufzählen kann.

Dennoch sitze ich natürlich auch im Hype-Train. Vielleicht habe ich nicht das geräumigste Abteil mit komfortablem Fensterblick gebucht. Mindestens im Gang habe ich es mir aber auf jeden Fall gemütlich gemacht und letztendlich nicht nur sehr gespannt die Auslosung verfolgt, sondern auch auf die nun feststehenden Terminierungen der Spiele sehnsüchtig gewartet.

Insgesamt habe ich vermutlich nur einfach ein bisschen Bammel davor, dass der Union-Zug ausgebremst wird, dass dieser sportliche Erfolgslauf gestoppt wird und daraus (negative) Konsequenzen folgen. Irgendwann wird dies zwangsläufig passieren. Ein böses Erwachen kann es für mich dann zumindest nicht geben, schließlich war das alles hier nie „mein Traum“. Bis dahin sollten wir aber einfach alles – wie wir hier schon so oft geschrieben haben oder auch Christian Arbeit so oft vorm Spiel formuliert – gemeinsam aufsaugen. Und uns sofern möglich mit Reisezielen in Spanien, Portugal und Italien beschäftigen…

Unions Champions League-Kontrahenten im Punkteranking

Danke für die Inspiration an Daniel vom Schlachthof, eigener Screenshot

Ein Textilvergehen-Leser hat uns auf eine gute Idee gebracht und so haben Daniel und ich uns mal ein paar (erste) Gedanken zu den Champions League-Gegnern von Union gemacht und mithilfe von ein bisschen Recherche und Fragen an Leute (vielen Dank an dieser Stelle), die womöglich ein bisschen besser Bescheid wissen als wir, ein komplett subjektives Ranking erstellt (0-5 Punkte, wobei 5 Punkte die Höchstpunktzahl ist, also gut bzw. hoch):

Kategorie Real Napoli Braga
Historischer Ruhm 5 4 1
Sportliche Attraktivität 4 4 2
Schlagbarkeit 1 2 4
Kulturelle/landschaftliche Attraktivität 5 4 4
Fanszenen-Potential 2 4 1
Fanszenen-Gewaltpotential 1 4 1
Polizei-Gewaltpotential 4 4 2
Stadionschönheit 3 3 4
Erreichbarkeit (ohne Geld/Emissionen) 2 2 1
Legitimität der Besitzer und Geldgeber 4 3 1
Radfahr-Appeal 4 3 3

Da Union ja letztes Jahr schon gegen Braga in der Europa League gespielt hat und viele Union-Fans entweder selbst vor Ort waren oder sich durch detailreiche Erzählungen von anderen Unioner*innen ein gutes Bild machen konnten, werden wir an dieser Stelle vor allem auf Real Madrid und die S.S.C. Napoli eingehen.

Real Madrid (Datum des Auswärtsspiels: 20.09.23)

Bezüglich historischen Ruhms und sportlicher Attraktivität sollte eigentlich alles bekannt sein. Es gibt schlicht und ergreifend keinen Fußball-Klub der an die Erfolge und Strahlkraft von Real Madrid rankommt. 14 Champions League-Titel sagen eigentlich alles! Der eine Punkt Abzug bei der sportlichen Attraktivität ist durch persönliche Präferenz entstanden, da wir den Fußball von Barca (vor allem früher) noch attraktiver finden. Natürlich kann im Fußball jedes Team das gegnerische Team theoretisch schlagen. Real Madrid in der Champions League zu besiegen zählt aber nicht nur historisch zu den größten Herausforderungen im Fußball. Die Terminierung des Rückspiels könnte Union da aber zumindest entgegen kommen. Möglicherweise sind die Königlichen am letzten Spieltag schon für die K.O.-Phase qualifiziert und lassen es daher etwas ruhiger angehen.

Als spanische Hauptstadt bietet Madrid natürlich unzählige Sehenswürdigkeiten (wie Museen, Galerien etc.), Restaurants/(Tapas)-Bars und außerhalb der Stadt auch herrliche Landschaften. Wer also vielleicht ein paar Tage vor Ort bleiben kann, wird nicht viel falsch machen.

Generell ist die Fußball-Kultur in Spanien nicht wirklich mit der in Deutschland vergleichbar, sodass die Stimmung in den großen Arenen nur bei besonderen Spielen und einen passenden Spielverlauf beeindruckend werden kann. Auch die Ultra-Kultur ist nicht so ausgeprägt wie in Deutschland. Einen organisierten, deutlich kleineren Support gibt es aber in der Regel dennoch. Einen interessanten Artikel über die mittlerweile verdrängte rechte und ehemals dominierende Ultra-Gruppe „Ultras Sur“ aus dem Jahr 2017, gibt es beim beim ballesterer.

Dementsprechend ist das Gewaltpotential der spanischen Polizei in unseren Augen auch deutlich höher einzuschätzen als die Gefahr, die durch Heimfans von Real ausgeht. So kommt es immer wieder zu enormer Gewalt der Staatsmacht gegen Fußballfans.

Das Estadio Santiago Bernabéu ist natürlich ein ikonisches Stadion, da es sich aber gerade in den letzten Zügen des Umbaus  befindet und kein Stadion außer die Alte Försterei die Höchstpunktzahl von fünf Punkten erreichen kann, bekommt es „nur“ drei Punkte.

Die Preise für Flüge sind seit gestern und den ersten aufkommenden Gerüchten bzgl. der Terminierung schon in die Höhe geschossen und eine halbwegs Zeit-schonende Anreise ist eben nur mit dem Flugzeug möglich, sodass es in der Kategorie Erreichbarkeit zwei Punkte gibt.

Real Madrid ist immer noch ein Mitglieder-geführter Verein, bei dem die Mitglieder durch die direkte Wahl des Präsidenten schon noch Mitbestimmungsmöglichkeiten haben. Anderseits ist Real Madrid natürlich eine Weltmarke und damit quasi ein Konzern, der multinational sowie mit Milliarden agiert. Mit Florentino Pérez hat Real Madrid sicherlich einen streitbaren Präsidenten, der im Vergleich mit anderen Groß-Klubs wie den meisten englischen Topteams oder auch PSG noch recht gut bei weg kommt. Dafür gibt es von uns sehr stabile vier Punkte.

S.S.C. Napoli (Datum des Auswärtsspiels: 08.11.23)

Die S.S.C. Napoli übt alleine durch die Diego Maradona-Jahre eine große Faszination bei vielen Fußballfans weltweit aus. Aktuell sind sie nach über dreißig Jahren mal wieder italienischer Meister geworden und haben einen Spieler der nicht komplett zu Unrecht „Kvaradona“ genannt wird.

Vermutlich ist das derzeitige Team, welches nicht mehr vom Meistertrainer der Vorsaison trainiert wird, auf dem Papier immer noch eine der besten Mannschaften in Europa. Im Vergleich zu den Partien gegen Real ist die Chance, dass Union gegen Neapel Punkte holt, in unseren Augen etwas höher.

Die Stadt Neapel ist sicherlich sehr spannend und unglaublich vielfältig. Sie kann mit ihren engen Gassen sowohl einladend als auch wie ein großes Moloch wirken, wenn mal wieder der Müll nicht abgeholt wird. Als Berlinerin oder Berliner hat man mit solchen Bedingungen aber vielleicht auch weniger Berührungsängste. Darüber hinaus gibt es in Europa wohl wenige Städte, die so Fußball-verrückt sind und dies auch im Stadtbild deutlich wird. Quasi an jeder Ecke sind Graffiti von Diego Maradona zu finden. Kulinarisch hat die süditalienische Stadt wenig überraschend auch einiges zu bieten, schließlich soll hier die erste Pizza, die heutigen Vorstellungen entspricht, erstmals am 11. Juni 1889 von der Pizzeria Brandi hergestellt worden sein. In der Umgebung von Neapel warten zudem der Vulkan Vesuv oder das historische Pompeji.

Anders als in Spanien ist die Ultra-Kultur in Italien nicht nur sehr ausgeprägt, sie kommt bekanntermaßen sogar von dort. So reicht die Geschichte der Napoli-Ultras bis in die 1970er Jahre zurück und ist heutzutage noch sehr lebhaft. Während die fanatische Anhängerschaft von Napoli immer wieder zu schönen Choreographien und frenetischen Feiern wie bei der Meisterschaft vor einigen Monaten kommt, gibt es leider auch immer wieder gewalttätige Ausschreitungen und Angriffe auf Gästefans. Ähnlich wie in anderen italienischen Städten auch, ist es vermutlich ratsam nicht allzu offensichtlich als Union-Fan durch die Straßen zu ziehen.

Auch das Gewaltpotential der Behörden ist als recht hoch zu bewerten wie repressive und gewaltvolle Maßnahmen gegen Auswärtsfans in den letzten Jahren gezeigt haben.

Die mittlerweile in Stadio Diego Armando Maradona umbenannte Heimstätte der S.S.C. Napoli fasst knapp 55.000 Plätze und kann trotz blauer Umlaufbahn (woher kennen wir denn das?) bei ausverkaufter Hütte schon eine brachiale Atmosphäre bieten. Wegen der Umlaufbahn sind dennoch nicht mehr als drei Punkte drin.

Hinsichtlich der Erreichbarkeit bewerten wir diese ähnlich wie bei Real Madrid.

Der Besitzer von Napoli ist der Neffe eines berühmten italienischen Filmproduzenten. Aurelio de Laurentiis hat den Klub, ähnlich wie Dirk Zingler, in der dritten Liga übernommen und wieder zur sportlichem Ruhm geführt. Sonderlich beliebt ist er bei der Anhängerschaft aber dennoch nicht, da er das Stadionerlebnis nach englischem Vorbild, mehr und mehr gentrifizieren möchte. Seitens der Ultras gibt es aufgrund dessen von Zeit zu Zeit Proteste gegen de Laurentiis.

Bzgl. des Radfahr-Appeal wird euch Daniel bald noch intensiver informieren. Ansonsten werden wir sicherlich vor den Spielen auch noch einmal auf das Ranking eingehen und weitere Infos teilen.

Medienberichte zur CL-Gruppe von Union

Und sonst so?

Einen Transfer von einem italienischen Europameister zu Union in die Kategorie „Und sonst so?“ zu packen, finde ich schon einigermaßen amüsant, sodass ich mir dies nicht entgehen lasse. An sich hat Sebastian gestern schon alles zum Wechsel von Leonardo Bonucci zu Union geschrieben, nun ist die Verpflichtung auch schon wieder ein paar Stunden länger offiziell.

Union-Trainer Urs Fischer zeigte sich auf der gestrigen Pressekonferenz bereits begeistert von Bonucci und sagte über den Neuzugang:

„Wir bekommen einen knallharten Verteidiger mit einer Wahnsinnserfahrung dazu. Das hat man irgendwie gespürt beim Training, seine Aura auf dem Feld.“

Was Urs Fischer sonst noch zu sagen hatte, seht ihr in voller Länger hier.

Malick Sanogo hat Union dagegen leider verlassen. Das junge und eigentlich vielversprechende Sturmtalent wechselt aufgrund von fehlender Spielpraxis zum 1. FC Nürnberg.

Der beste Torwart der Bundesliga, Frederik Rönnow, ist vielleicht etwas überraschend aber vollkommen verdient zum Unioner des Jahres gewählt worden. Herzlichen Glückwunsch, Freddy!

Anlässlich dieser Wahl war Freddy auch im Spieltagsinterview vor der Partie gegen „den Lieblingsgegner“ aus Salzburg respektive Leipzig.

Ich gehe bzgl. der morgigen Partie fest davon aus, dass es morgen ab 17.30 Uhr für die erste Viertelstunde des Union-Spiels im Stadion an der Alten Försterei auch wieder eher ruhig zugehen wird und somit dem Konstrukt ein stummer und gleichzeitig sehr wichtiger Protest entgegengebracht wird.

9 Kommentare zu “Ein Traum, der nie ein Traum war

  1. Es ist und bleibt ein Trauerspiel mit den Nachwuchsspielern…

  2. Musiclover

    Morgen Doppelspieltag! Was Städte in Spanien angeht, liegt Barcelona mit haushohem Vorsprung vor Madrid, aber Real würde ich trotzdem gerne vor Ort sehen wollen. Mal kucken, was die Charter so machen.

  3. Vielen Dank für diesen Beitrag!!!
    Surreal….;)!
    Warum bekommt Braga eine 1 für den
    Geldgeber/ Legitimität?
    Hab keine Informationen gefunden?
    Vielen Dank falls mich da jemand aufklären kann!
    Uns allen morgen….
    ein Heidenspektakel , brachiale Stimmung nach 15min und die Verlängerung/ Ausweitung unserer
    Heimspielstärke…!!!!
    EISERN UNION

    • Braga bekommt Abzüge in der Kategorie dafür, einen Besitzer zu haben, beziehungsweise mehrere, von denen einer (17%) ein Kapital-Investmentfonds ist, und der andere (22%) der Investmentfonds von Qatar.

      Die 4 Punkte da für Real erklären sich so: Real ist an sich ein Verein in Mitgliederbesitz, aber diese Struktur verschwindet hinter einem egomanen Bauunternehmer, der Präsident ist.
      Napoli hat 3 Punkte weil sie einen Besitzer haben, der ist aber immerhin ein Fan, der afaict den Verein gekauft hat um ihn zu sanieren, als er vor der Pause stand. Gibt dann aber noch einen Punkt Abzug für Steuerhinterziehungsanschuldigungen.

  4. Danke!

  5. Musiclover

    Um den Kulturanteil hier etwas zu erhöhen, werde ich bis zu den Spielen gegen Napoli eine best of Dino De Laurentiis Filmübersicht basteln. Da sind ja ein paar Knaller dabei. :D

    Input erwünscht.

    • Bei Napoli und Film fällt mir nur Bud Spencer ein. Ein große „Plattfuß“-Filmnacht im Stadion hätte doch was. :-)

    • Musiclover

      Guter Input. Könnte man machen. Daumen hoch. Ich erweitere die Laurentiis-Challenge dann mal auf best of Napoli.

  6. Daniel vom Schlachthofviertel

    Danke! Immer wieder schön, wie sachlich Ihr recherchiert und schreibt.

    Und dass jetzt auch noch persönliche Wünsche erfüllt werden… ;-)

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