Blog State of the Union

Normalität in München statt Union-Anomalie in der Bundesliga

Der 1. FC Union Berlin verliert beim FC Bayern München mit 0:3. Das ist eine Nachricht, die so alltäglich ist, dass sie normalerweise einfach weggemeldet würde, wie das im Journalisten-Deutsch heißt. Keine Geschichte. Keine besondere Aufmerksamkeit. So geht die Rechnung. Eigentlich. Denn das Besondere am Spiel war nicht das Ergebnis, sondern der Anlass. Denn rein tabellarisch ging es vor dem Spieltag um die Tabellenspitze der Bundesliga.

Anzeigetafel mit dem Endstand 3:0, Foto: Matthias Koch

„Ihr werdet nie Deutscher Meister!“, riefen die Bayern-Fans während des Spiels. Eine Aussage, die vielleicht provozieren sollte, aber faktisch letztlich auf demselben Niveau liegt wie die Vorhersage, dass nach der Nacht wieder Tag werden würde. Nie Deutscher Meister … damit haben sich nahezu alle deutschen Fußballfans abgefunden. Vielleicht mit Ausnahme von Dortmund und Leipzig.

Aus Unionsicht ist dieses Beschäftigen mit dem Gegner vielleicht tatsächlich das, was man mitnehmen kann aus der Reise nach München. Während sonst die Spiele von Teams wie Union für den FC Bayern das sind, was ein Smalltalk auf einer Party ist: Nett plaudern, aber über den Kopf des Gegenüber schauen, ob es nicht bekanntere Personen gibt. Eigentlich ist in solchen Situationen die Mannschaft des FC Bayern mit dem nächsten Gegner in der Champions League beschäftigt, nicht mit einem Bundesliga-Kontrahenten wie Union.

Bayern hat die Mannschaft von Urs Fischer ernstgenommen und ihr damit keine Chance gelassen. Dazu kommt, dass Union das eigene Spiel nicht im Ansatz aufnehmen konnte. Keine Entlastung nach vorne und gleichzeitig kein Weghalten des Gegners aus dem eigenen Strafraum. Es ist Torhüter Frederik Rönnows Topform zu verdanken, dass es am Ende nur 0:3 stand.

Es ist mir ehrlich gesagt zu billig, davon zu reden, die Beine seien schwer gewesen nach dem Europacupspiel unter der Woche. Denn Union ist das mittlerweile gewohnt. Zudem war es kein Auswärtsspiel in Europa, verlief also ohne besondere Reisestrapazen. Wir sehen einfach mehrere Dinge: Auch für Union wachsen die Bäume nicht in den Himmel, sondern herausragende Mannschaften können die Mannschaft von Urs Fischer unter Druck setzen, ihr in der Defensive keine Luft zum Atmen geben, wenn vorne die Entlastung nicht funktioniert. Ajax hat es am Donnerstag gezeigt, aber kam im Strafraum kaum zu Abschlüssen. Bayern drehte es schlicht noch ein, zwei Exzellenzstufen weiter.

Neben der schon erwähnten Präzision im Spielaufbau kommt dazu noch das, was gemeinhin als Spielglück oder Effizienz bezeichnet wird. All das benötigt Union, um gegen solche Spitzenteams bestehen zu können. Für Siege braucht es noch mehr, nämlich auch schlechte Tage des Gegners.

Die Anomalie, die Union aktuell in der Bundesliga und im europäischen Fußball darstellt, wurde in München wieder zur Normalität. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Das sind die Berichte der Berliner Medien zum Spiel:

Während die Männer also eine Niederlage im Spitzenspiel einstecken mussten, kamen die Frauen im Regionalligaspiel in Potsdam zu einem klaren 6:0. Das tat gut nach dem bitteren 3:4 in der Vorwoche gegen Spitzenreiter Viktoria. Den Spielbericht findet ihr auf der Vereinsseite.

Im Nachwuchs gab es für die A-Junioren einen 3:1-Sieg gegen Magdeburg (Vereinsmitteilung) und für die B-Junioren eine 0:6-Niederlage gegen Hannover (Vereinsmitteilung).

Und sonst so?

Was dieses Spiel der Männer beim FC Bayern auch mit sich brachte, war eine riesige Aufmerksamkeit für Union. Die war mehr oder weniger faktenbasiert und mutierte je weiter von Berlin aus sie erzählt wurde, immer mehr zu einer Märchengeschichte. Mir ist schon klar, dass Unions aktueller Erfolg eine romantische Sehnsucht von Fußballfans bedient. Erst recht in einer teilweise korrupten, aber vor allem hyperkapitalisierten Fußballwelt. Dabei wird mir manchmal zu sehr vergessen, dass Union nicht außerhalb dieser Welt agiert.

Wie auch immer, es gab aber in der Welt am Sonntag ein Interview mit Manager Oliver Ruhnert, der heute Abend gemeinsam mit Thomas Broich (Nachwuchsakademie von Hertha BSC) bei Christoph Biermann im Fußballsalon zu Gast ist.

Mir wird zwar für meinen Geschmack zu viel darüber gesprochen, ob Oliver Ruhnert nicht auch jemand für den DFB wäre, anstatt genau darzustellen, was er dort anders machen würde. Dass der Union-Manager eine sehr starke Anti-Haltung zur Nachwuchsförderung, zu den Lehrgängen und den Junioren-Nationalmannschaften des DFB hat, ist allerdings bekannt. Im Interview mit der Welt am Sonntag sagt er aber einen Punkt, den ich tatsächlich für relevant erachte: „Es würde mir sogar Spaß machen, gewisse Dinge anzugehen, denn der DFB hat keine Entscheider. Und das ist das größte Problem. Man versucht, alles politisch zu lösen. Wenn du keine Entscheider hast, trägst du einen Prozess ewig vor dir her. Wenn wir das hier bei Union so hätten wie beim DFB, würden wir heute noch darüber reden, ob wir Max Kruse holen oder nicht.“

Ich muss mir nur die zahlenmäßige Zusammensetzung des DFB-Präsidium ansehen, um mir ehrlich gesagt wenig Sorgen um einen Weggang von Ruhnert zu machen. Wenn wir uns dagegen das Präsidium von Union anschauen, so kann man da sicher auch genug kritisieren. Mangelnde Entschlussfreudigkeit oder Mut gehört jedoch nicht dazu.

Insgesamt bin ich allerdings froh über jeden Tag, an dem sich der 1. FC Union mit sich selbst beschäftigt. Denn noch ist die Erscheinungsweise unseres Clubs in der Bundesliga und sein Erfolg dort eine Anomalie im Fußballgeschäft. Es ist die größte Aufgabe für den gesamten Verein, dafür zu sorgen, dass aus der Anomalie eine Normalität wird.

24 Kommentare zu “Normalität in München statt Union-Anomalie in der Bundesliga

  1. chrisch_en

    unzUFrieden!!!1111einself

  2. Londonkraut

    Danke für den Bericht, der auch meine Gemütslage nach dem Stadionbesuch widerspiegelte.
    Bemerken möchte ich noch die Offenheit und Freundlichkeit der meisten Bayern, von denen einer bemerkte, daß er auf die vermeintlichen Erfolge der Bayern jederzeit verzichtete, für das Erlebnis, das wir Unioner immer wieder genießen und aktiv zelebrieren. Ob das 100% ernsthaft war, bezweifle ich, aber gut tat es doch.
    Ein kleiner Wermutstropfen: ich fand es schade, daß 12 Minuten lang immer wieder ein Lied angestimmt wurde, das von mindestens zwei Dritteln der Unionfans nicht goutiert wurde. Da hätten die Klassiker für eine bessere Stimmung gesorgt.

    • welches Lied wäre das?

    • Stefan Krause

      Das was unser Capo vorgeträllert hat ist wohl nicht bis in den letzten Zipfel des Auswärtsblockes rüber gescheppert. (Aussage eines Freundes der auch im Stadion war)

    • ich stand direkt vorm Capo und weiß immer noch nicht welches Lied.

    • Genau meine Meinung!!!

  3. Hab ich das richtig im TV gesehen, dass sich Unioner komplett mit dem Rücken zu unserer Mannschaft gedreht haben? Was ist den bei denen nicht angekommen?

  4. ExUckermärkerin

    Danke für das heutige geerdete SotU und auch überhaupt für den Blog und alle, die daran mitwirken! :-)

    Normal wäre schön…
    Ich komme morgens (heute) zur Arbeit und die Kollegen schütteln den Kopf und fragen, was denn da los war, warum Bayern immer noch Tabellenführer ist.

    Klare Antwort:
    „Wir“ sind Union Berlin und wir stehen nach dem 22. Spieltag 3 Punkte hinter dem Tabellenführer. Anfang der Saison hätten wir jeden für verrückt erklärt, der das vorhergesagt hätte. Wir hatten/haben nie den Anspruch, Tabellenführer zu sein.“

    Wird natürlich größtenteils als schönreden abgetan.

    An meiner Bürotür klebt jetzt auch noch (demonstrativ) ein Union Sticker, den ich just im Moment des Gespräches noch in meiner Manteltasche gefunden habe. :-)

    (Tief im Westen sind meine Kollegen zum aller größten Teil (nein, nicht Bochum) Köln Fans, gefolgt von Gladbach und neuerdings Einer dabei der Schalke Fan ist.)

  5. Ah, dann bin ich ja beruhigt. Es war nur kurz im TV und nicht richtig auszumachen

  6. RB Leipzigs Trainer Marco Rose hat für den traditionellen Schweige-Protest der Fans des 1. FC Union Berlin wenig Verständnis. „Lächerlich ist es nicht, man sollte das schon ernst nehmen. Legitim ist das sicher auch. Ich empfinde das hier und da auch als scheinheilig“
    Lieber Marco Rose Scheinheilig ist Dein neuer Chef Max Eberl !!!!
    Max Eberl 2016 (als Sportdirektor in einem Traditionsverein) in einem Interview mit dem Focus: „Was mich an RB stört, ist dieses Geschiebe von Spielern von Salzburg nach Leipzig und von Leipzig nach Salzburg. Das hat für mich einen faden Beigeschmack, weil sie im Grunde zwei Kader haben“
    Und heute: RB Leipzig hat die Verpflichtung von Nicolas Seiwald fixiert. Der 21 Jahre alte Mittelfeldspieler kommt im Sommer vom Schwesterklub aus Salzburg. Leipzigs Sportdirektor Max Eberl dazu: „Wir sind extrem froh darüber, dass wir Nicolas Seiwald im Sommer als Neuzugang in Leipzig begrüßen können…
    Gestern war noch eins im München Interessant: Am Rande des Bundesligaspiels gegen den 1. FC Union Berlin tauchte in der Südkurve der Bayern-Anhänger ein Spruchband auf. Darauf stand: „Wenn jeder für sich entscheidet, ist noch lange nicht allen geholfen, Uli. 50+1 bleibt unverhandelbar.“
    Wir haben gestern in München verloren, na und ?, aber mit Anstand und keine Ausreden. Der Herr Rose sollte sich mal die Pressekonferenz nach dem Spiel ansehen und sich ein Beispiel an unserem Trainer nehmen!

  7. Zu den Sprüchen der Bayern hätte ich „und schon wieder keine Stimmung FCB“ gesungen.

    Erfolgsfans halt denen der Rest egal ist, deshalb sind die Bauern so „beliebt“.
    Sollte uns aber auch egal sein.

  8. Gorilla_im_Nebel

    War noch nie glücklicher als gestern Abend, Unioner zu sein. War meine erste und letzte Auswärtsfahrt in die Allianz-Arena. Oh man, wie schön war das Olympiastadion dagegen noch…

    Diese Schüssel und diese ganze Veranstaltung sind einfach nur gruselig. Bayern soll bitte ganz schnell in die Super League. Die Gemeinsamkeiten zwischen Bayern und Union beschränken sich auf die Fußballregeln.
    -die Menschen kommen nur, um zu kOnSuMiErEn (was auch immer);
    -30 min. vor Anpfiff Anreise, 30. min vor Abpfiff Abreise;
    -Schimpfen bei jeder verpassten Chance oder schlechten Aktion auf das eigene Team, selbst bei einer 3:0 Führung (!);
    -können es nicht ertragen, wenn der Gegner die besseren Lieder hat und lauter singt.

    Ich war so stolz als die Bazies „Scheiß Union“ gesungen haben.

    U.n.v.E.U.

    • Bayerns Schüssel am Klärwerk ist bei mir wahrscheinlich auch unter den Top5 der unangenehmsten Stadionerfahrungen. Von Anfang bis Ende einfach nur befremdlich, wie zehn- bis hunderttausende so einen „matchday“ geil finden können und dafür gerne 40 Euro oder mehr hinblättern.

    • oh, dass da auch ein Klärwerk ist, war mir nicht aufgefallen. Bayern und Leipzig Hand in Hand (oder was auch immer)…

    • Maria Draghi

      Klärwerk ist zwar richtig, „Stadion an der Müllkippe“ ist aber der gebräuchlichere Begriff, zumal die Müllhalde inzwischen auch ohne das draufgesetzte Windrad bereits höher ist als das Stadion.

    • @Maria Draghi

      gewissermaßen ein Sinnbild für den modernen Kommerzfussball. Irgendwo zwischen Müllkippe und Jauchegrube zu verorten.

  9. Keine Infos zum unioner der ca. 75. Minute fast von der ballustrade (selbstverschuldet oder nicht?) in den Unterrrang abgestürzt wäre und von mehreren gerade noch gehalten werden konnte? Sah dramatisch aus.

    • Frank kolassa

      war mein Kollege.bis auf paar Kratzer an Beinen u armen nichts weiter passiert .
      Alles jut

  10. gemeint ist offenbar das neue „Unaufhaltsam auf unserm Weg nach oben“

    meine Meinung dazu: wenn man sie nicht etabliert, können neue Lieder auch keine Klassiker werden. Irgendwann mussten Leute auch „Dem Morgengrauen entgegen“ lernen

  11. Exilunioner

    aus Sotu vom 23.2.und auch für meinen Geschmack gestern zu lange angestimmt:
    Damals mit Damir Kreilach noch zweite Liga
    Bald schon kennt ganz Europa unsere Lieder
    Unaufhaltsam auf unserm Weg nach oben
    Schau auf diese Kurve wie alle toben!
    Oooooh FC Union
    Oh FC Uuunion (2x)“

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