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Ist das zweite Jahr in der Bundesliga wirklich immer das schwierigste?

Wir haben mit Daniel Rahaus einen neuen Gastautor an Bord, der Lust hat, für alle, die sich an Statistik erfreuen, von Zeit zu Zeit ein bißchen das Zahlenrad zu drehen. Daniel hat unter anderem Beiträge für den Spiegel und den Stern geschrieben. Herzlich willkommen beim Textilvergehen!

Das zweite Jahr in der Bundesliga ist das schwierigste – weil das ja so ist.
Aber ist das wirklich so?

Von Daniel Rahaus

Jeder Fußballfan hat von diesem Mythos der Bundesliga im Prinzip schon gehört: ,Das zweite Jahr als Aufsteiger in der Bundeliga ist immer das Schwierigste.‘

Gerade in der Berichterstattung der letzten Wochen über Union konnte man wieder und wieder von diesem Omen für die kommende Saison hören oder lesen. Schrieb u.a. so der rbb, wurde von transfermarkt.de erläutert und auch bei Sky so geäußert. Ende Juni war diese Frage in der Saisonabschlusskonferenz mit Urs Fischer und Oliver Ruhnert ebenfalls bereits Thema, die beide versuchten, dem Mythos auf ihre jeweilige Art, die Flügel zu stutzen. Anders hingegen Christopher Trimmel und Max Kruse, die in einem Hotelzimmer-Gespräch diesen Mythos im August wieder über dem Union-Rasen zum Fliegen brachten.

Also stellt sich die Frage: Was ist an dem Mythos nun wirklich dran?

Im Grunde könnte die Antwort einfach ein. Eine schnelle Recherche im Netz führt zu einer Diplomarbeit aus dem Jahr 2001, zu einem SPIEGEL-Artikel von 2017 (Bezahl-Link!) und einem jüngst erschienen Artikel im Berliner Kurier. Sie alle drei erklären diesen Mythos zur Mär. Vertrackterweise liegt nur leider dem SPIEGEL-Artikel und dem Kurier-Artikel (und der nicht vollständig einsehbaren Diplomarbeit höchstwahrscheinlich auch) der gleiche methodische Fehler zu Grunde.

Man kann nicht einfach die absolute Anzahl der Absteiger der verschiedenen Jahre miteinander ins Verhältnis setzen und dann daraus die Schlussfolgerung ziehen, im ersten Jahr steigen mehr Mannschaften ab. Ergo wäre es im zweiten Jahr nicht schwieriger, sondern leichter. Und der Mythos wäre damit erledigt. Tatsächlich ist es methodisch ein klein wenig komplexer, die Frage sauber zu beantworten.

Okay, also dann. Gedacht, geschwitzt, gemacht. Hier kommen die Ergebnisse.

Vorab nur kurze Anmerkungen zur Methodik seien erlaubt. Die Analyse wurde für drei verschiedene Zeiträume vorgenommen: den gesamten Bundesligazeitraum (57 Saisons von 1963 bis 2019), von 1991 an (vereinigte Bundesliga) und von 2000 an. Zwei Besonderheiten zeigten sich dabei. Zum einen, dass es einen Unterschied macht, ob man nur einen Aufsteiger oder einen Debütanten (wie Union) betrachtet (daher werden beide Ergebnisse separat ausgewiesen).

Zum anderen zeigte sich, dass die Investorenclubs Hoffenheim, Wolfsburg und Raba Leipzig etwas die Ergebnisse verzerren (insbesondere aus der Perspektive eines Clubs wie Union), die sich dank ihrer Finanzpower den klassischen Abstiegsgesetzen bisher komplett entziehen konnten. Daher werden nur die zwei statistisch sinnvoll auswertbaren Zweiträume ‚Ab 1963‘ und ‚Ab 1991‘ ausgewiesen, wobei in der Debütantenvariante für sinnhafte, allgemeingültige Aussagen die Investorenverzerrung leicht korrigiert wurde.

Die zentrale Aussage ist, die sich aus beiden Grafiken sofort gut ersichtlich ergibt: Der Mythos über das zweite Jahr ist durch nichts belegt. Richtig ist, für einen Aufsteiger ist im Prinzip immer das erste Jahre das Schwierigste. Das war über fast 60 Jahre Bundesliga so und auch so in der jüngeren Vergangenheit.

Was aber in der ersten Grafik auffällt, ist, dass in den letzten Jahren der dauerhafte Verbleib – also eine dauerhafte Etablierung – in der ersten Bundesliga zunehmend schwieriger geworden ist. Und insbesondere im 4. Jahr, wenn die Konzentration offenbar nachlässt und man sich gegebenenfalls als in der Bundesliga nach drei Jahren angekommen wähnt, wieder sprunghaft ansteigt.

Für einen Bundesliga-Debütanten wie Union sieht es ähnlich, wenngleich im Detail doch etwas anders aus. Kann man die eben getroffenen Aussagen für einen Debütanten in der gesamten Bundesligageschichte im Grunde bestätigen, zeigt sich jedoch in den letzten dreißig Jahren eine etwas andere Entwicklung. In der oben erwähnten Saisonabschlusskonferenz hatte es Oliver Ruhnert im Prinzip intuitiv bereits treffend formuliert: „Für uns ist das erste Jahr schwierig, das zweite Jahr schwierig und das dritte Jahr wird genauso schwierig.“

Statistisch betrachtet, ist für einen Debütanten die Abstiegswahrscheinlichkeit über die ersten Jahre hinweg mit circa 30 Prozent ziemlich gleich. Ergänzen kann man dann nur noch, dass im vierten Jahr nochmal eine gesteigerte Hürde wartet, hinter der sich dann jedoch auch das Siegel ‚etablierter Bundesligist‘ verbirgt, weil dann im fünften Jahr die Abstiegswahrscheinlichkeit wieder deutlich sinkt.

Auch in der weitergehenden Analyse hat sich gezeigt, dass ein 11. Platz im Vorjahr (wie von Union) zwar ein Erfolg ist, der einen Abstieg im darauffolgenden Jahr etwas unwahrscheinlicher macht, als wäre man etwa 14. oder 15. geworden. Dennoch folgte für 40 Prozent der Bundesliga-Debütanten im Jahr nach dem 11. Platz eine sportliche Verschlechterung und für Mannschaften wie Bremen (1980), Freiburg (1997), Mainz (2006) oder Karlsruhe (2008) sogar der unmittelbare Abstieg. Auch erst in der letzten Saison hat Düsseldorf schmerzlich erfahren müssen, dass selbst ein 10. Platz der Aufsteiger-Vorsaison keinerlei Garantien bietet.

Um vor einer Saison fundierte Aussagen über potentielle Absteiger zu treffen, braucht es immer die Kombination aus quantitativer und qualitativer Analyse. Auf Basis der erfolgten, umfangreichen quantitativen Auswertungen und einer kurzen qualitativen Einschätzung sei abschließend noch die Hitliste der potentiellen Absteiger für die kommende Saison gewagt.

1. Bielefeld

Die Statistik spricht ganz klar gegen Bielefeld. Auch, weil keine großen finanziellen Spielräume da waren, die Mannschaft zu verstärken. Sollte der Verbleib in der ersten Liga gelingen, hätten Uwe Neuhaus, Marcel Hartel und das Bielefelder Team erfolgreich das dickste Brett von allen gebohrt.

2. Stuttgart

Als Aufsteiger sind sie in der ersten bedrohten Reihe ganz klar mit dabei. Wozu die Wundertüte der jungen Stuttgarter Wilden in der Lage sein wird, das wird sich erst noch zeigen.

3. Köln

Statistisch betrachtet fehlt Köln im zweiten Jahr gegenüber Union der Debütanten-Schub. Allerdings verfügen sie nun über den Schweden Sebastian Andersson. Man wird sehen, ob das passt, und wohin unser ehemaliger Zweikampfritter die Geißböcke führen wird.

4. Union

Auf Köln folgt Union mit dem Bonus des Debütanten. Im Wesentlichen ist der Kern der Mannschaft zusammengeblieben und es herrscht im sportlichen Umfeld des Teams Konzentration und Ruhe. Auch der 11. Platz des Vorjahres spricht eher für einen Verbleib. Dennoch muss sich erst zeigen, ob Anderssons Stärken nach seinem Weggang kompensiert werden können.

5. Augsburg

Auf dem Papier betrachtet handelt es sich bei Augsburg um einen etablierten Bundesligisten. Doch statistisch betrachtet, bettelt der FC mit den unteren Platzierungen der letzten Jahre regelrecht um einen Abstieg. Nicht zuletzt Hamburg hat gezeigt: Ewig kann das nicht gutgehen. Ein Rafa in Heim-Derby-Verfassung wie gegen Hertha wird Augsburg vor dem Abstieg bewahren. Mit weniger könnte es eng werden.

6. Mainz

Ähnliches wie gegen Augsburg spricht auch gegen Mainz. Die Frage ist: Können die Mainzer nach so vielen Jahren Bundesligazugehörigkeit und in den letzten Jahren doch eher unterdurchschnittlichen Erfolgen die Konzentration weiter hochhalten? Zudem fehlt ihnen – anders als Bielefeld, Köln und Augsburg – die eiserne Union-Power. Wenn das mal gut geht.

7. Bremen

Statistisch betrachtet wird die kommende Saison für einen der alten Bundesliga-Dinos ein Jahr der Entscheidungen. Entweder verabschiedet man sich schnell wieder aus dem Tabellenkeller (ähnlich wie Dortmund, Hoffenheim oder Leverkusen), oder die Bremer müssen ernsthaft damit rechnen, auf absehbare Jahre hinaus das Schicksal einer Fahrstuhlmannschaft, ähnlich wie Köln oder Stuttgart, zu erleiden. Im Norden wird es in jedem Fall wieder spannend.

8. Hertha

Eine Überraschungsmannschaft im Abstiegskampf gibt es in fast jeder Saison. Mit der Leistung und dem verunsicherten Auftritt in der 1. DFB-Pokal-Runde hat sich Hertha für diese Rolle ganz klar als Favorit positioniert. Entweder bekommen sie bereits in den ersten Spieltagen ganz schnell die Kurve, oder das Charlottenburg-Drama Teil 2 wird diese Saison wieder ganz groß aufgeführt. Ibisevic wird in den Duellen gegen Schalke bis in die Zehenspitzen motiviert sein und beide nötigen Siegtore erzielen.

9. Schalke 04

Mit der Rückbesinnung auf alte, erdende Tugenden, dem Rückhalt der Fans und einem wiedergenesenen Kader hat Schalke mit einem Abstieg wahrscheinlich diese Saison wenig zu tun.

10. Freiburg

Ähnlich wie die Stuttgarter könnte Freiburg zu einer wahren Wundertüte werden. Viele Leistungsträger der letzten Saison sind gegangen. Aber ein neues Stadion ruft. Bis zu 35.000 Fans könnten nun, wenn es eng wird, helfen.

Der Rest und der neue Deutsche Meister haben mit einem Abstieg wohl eher nichts zu tun.

Am Samstag wartet für Union zum Auftakt zu Hause gegen Augsburg gleich das erste 6-Punkte-Spiel. Wünschen wir der Mannschaft sowie dem Trainer- und dem Betreuerteam eine in jeder Hinsicht erfolgreiche und von Corona möglichst wenig beeinflusste, gute Saison 2020/21.

7 Kommentare zu “Ist das zweite Jahr in der Bundesliga wirklich immer das schwierigste?

  1. Toller Debütartikel beim Textilvergehen… hat Spaß gemacht zu lesen…

  2. Guter Text. Ausführlich, informativ, nicht zu lang und mit ein wenig Humor

  3. […] Satz hören, die zweite Saison eines Aufsteigers sei die schwerste. Daniel Rahaus hat sich in einem Gastbeitrag angeschaut, ob das eigentlich wirklich so […]

  4. Danke für den Artikel, wirklich spannend!
    Nur eine Sache hab ich nicht verstanden:

    „Dennoch folgte für 40 Prozent der Bundesliga-Debütanten im Jahr nach dem 11. Platz eine sportliche Verschlechterung und für Mannschaften wie Bremen (1980), Freiburg (1997), Mainz (2006) oder Karlsruhe (2008) sogar der unmittelbare Abstieg.“

    Bremen war beim Abstieg 1980 ja schon 17 Jahre und von Anfang an in der Bundesliga mit dabei. Wieso wird Bremen hier als „BL-Debütant“ genannt? Werder war ja nicht nur im Vorabstiegsjahr 11., sondern schon das halbe vorangegangene Jahrzehnt lang.

  5. André Caspary

    Ha! Stammtisch Upgrade! Ab jetzt weiß ich’s besser und werde vom 4. Jahr fachsimpeln :)
    Toll geschrieben!

  6. Michael Gampe

    Eine tolle inhaltliche Ergänzung dieser Artikel und wirklich toll geschrieben. War interessant und kurzweilig zu lesen! Super Idee, diesen Gastautor mit reinzuholen.

  7. […] dem schwierigen zweiten Jahr ist tatsächlich statistisch gar kein so belastbares Phänomen – wir haben uns das auch in unserem Blog mal angeschaut. Davon unabhängig wird es für Union auf absehbare Zeit aber völlig normal sein, gegen den […]

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