Weil danach gestern hier in den Kommentaren gefragt wurde, und ich auch zuvor schon daran gedacht hatte, habe ich mir gestern einmal die statistischen Kennzahlen zu Unions Saison unter den beiden Trainern angesehen. Einerseits, weil man so eine Orientierung dafür bekommt, wie schlecht die Mannschaft eigentlich gerade spielt, andererseits, weil es vielleicht ein paar Hinweise darauf gibt, was genau das Problem ist.
Wenn man davon ausgeht, dass die Tendenz seit dem Trainerwechsel steil nach unten zeigt, fällt zunächst auf, dass das nicht für alle interessanten Statistiken stimmt. Die allseits beliebten Expected Goals (bitte was?) zum Beispiel sind unter André Hofschneider auf den ersten Blick besser geworden. In den Spielen seit dem Trainerwechsel produziert Union marginal mehr Chancen, und lässt etwas weniger (oder: weniger aussichtsreiche) Abschlüsse des Gegners zu. Dass beides bei echten Toren anders ist, liegt vor allem daran, dass der größte Unterschied zwischen der Zeit mit Keller und der mit Hofschneider darin besteht, was Union aus seinen Chancen macht. Denn es liegt vor allem an der Chancenverwertung, dass Union unter Hofschneider im Schnitt 0,6 Tore schlechter ist als die xG Werte, während man diese zuvor pro Spiel um 0,4 Tore übertraf. Dieses ganze eine Tor Unterschied fehlt dazu, Spiele zu gewinnen.
Wie kommt es zu dieser Verschiebung? Gerade in einer so relativ kleinen Zahl von Spielen haben einzelne Situationen wie die Großchancen gegen Fürth großen Einfluss auf die Gesamtbilanz, und ist es durchaus möglich, dass entweder Produktivität oder Effizienz in den Statistiken verzerrt werden. Es ist auch durchaus denkbar, dass es Gründe gibt, aus denen eine (die) Mannschaft ihre Chancen nicht nutzt. Zum Beispiel könnte ein Trainerwechsel, der auch in der Kabine nicht unbedingt gut ankam, für Verunsicherung gesorgt haben – und zwar in einem Maß, den auch eventuelle strukturelle Fortschritte im Offensivspiel nicht aufwiegen können.
Oder man könnte die Diskrepanz zwischen Chancen und Ausbeute schulterzuckend mit Pech erklären und hoffen, dass dieses Pech nicht anhält und hoffen, dass André Hofschneiders Union aus seinem Chancenplus demnächst auch wieder Punkte macht. Das entspricht aber gerade nicht der allgemeinen Gefühlslage, und auch dafür geben die Statistiken Grund. Denn löst man sich von der Trainerfrage sieht man, dass Unions echtes Torverhältnis über die gesamte Saison exakt den statistischen xG-Erwartungen entspricht, und man gemessen an der Qualität der Chancen auch kaum mehr Punkte verdient hat, als tatsächlich zu Buche stehen. Die ‚Regression zur Mitte‘ hat also schon stattgefunden, nur eben nach unten.
Das Niveau der Leistungen ist zwar nur mittelmäßig, und nicht katastrophal. Aber in einer Liga, in der alle* mittelmäßig sind, bringen solche Leistungen in eine sehr prekäre Situation.
*Düsseldorf hebt sich nach oben ab, weil sie noch immer viel mehr Punkte haben, als sie verdienen. Kaiserslautern fällt dagegen wirklich ab.
Die Zahlen, die ich bisher analysiert habe, beschreiben, wie gut die Torchancen einer Mannschaft waren anhand der Torschüsse, die sie sich erspielt oder erarbeitet hat. Das heißt, sie stehen am Ende von Spielsituationen. Um mehr darüber zu lernen, was im Spiel Unions passiert oder nicht, hilft es aber auch auf andere Daten zu schauen, die auch andere Ereignisse als Schüsse in Betracht ziehen. Dafür bieten sich die non-shot expected goals von 538 an, die auch Pässe oder Ballgewinne nah am gegnerischen Tor beachten.
In diesem Punkt hat sich Union seit Hofschneiders Amtsübernahme noch stärker verbessert als in der Schuss-basierten Statistik. Dass deutet darauf hin, dass Hofschneiders Fokus auf mehr Ballbesitz durchaus auf das Spiel der Mannschaft durchschlägt. Anders als unter Keller können aber die abgegebenen Torschüsse in ihrer Gefährlichkeit nicht mit den offensiven Spielanteilen mithalten. Das unterfüttert ein Stück weit den Punkt, den Hofschneider seiner Mannschaft immer wieder vorhält: sie müsse ihre Spielanteile zu mehr Abschlüssen nutzen. Dass es Union schwerer fällt, Spielanteile in Torschüsse umzusetzen, ist aber auch ein Effekt dieser taktischen Neuausrichtung: aus dem Ballbesitzspiel gegen tiefstehende Gegner heraus Angriffe zu Abschlüssen zu bringen, ist komplexer, als Konter gegen eine ungeordnet Verteidigung. (Allerdings gibt es keinen nennenswerten Unterschied darin, wie viele Gegenspieler sich bei Unions Abschlüssen unter Keller und Hofschneider zwischen Ball und Tor befinden.)
Abseits der reinen Zahlen zeigt sich aber immer wieder, dass die stabilen Mechanismen, Situationen gut auszuspielen, die es unter Keller und Pedersen gab, der Mannschaft inzwischen teilweise fehlen. Das resultiert zum Beispiel darin, dass eher wenig aussichtsreiche Halbfeldflanken deutlich öfter vorkommen. Das sieht man in den Graphiken, die zeigen, von wo Union Torschüsse vorbereitet:
In den Graphiken sieht man im Vergleich zwischen der Phase unter Keller und Hofschneider, dass Schussvorlagen seitlich aus dem Strafraum fehlen. Diese Vorlagen folgen daraus, sich wenn der Ball auf dem Flügel ist für die Variante zu entscheiden, die bessere Chancen produziert, und sich nicht mit der spekulativeren Flanke zu begnügen. Dass diese Situationen nicht mehr konsequent so gelöst werden, kann verschiedene Gründe haben. Es heißt nicht unbedingt, dass es die Vorgabe nicht mehr gibt. Sondern könnte auch daran liegen, dass sie nicht mehr stringent umgesetzt wird, gerade weil es dafür Geduld und Selbstvertrauen braucht. Aber davon ist umso weniger vorhanden, je länger und tiefer die Krise ist. Der Stoff, aus dem Negativspiralen sind.
Die Graphiken verwenden Daten von Stratagem Technologies/StrataData/StrataBet
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Danke, Daniel, sehr interessant.
Vielen Dank für die Analyse!
@Daniel: Danke für Deine statistischen Untersuchungen.
Ich entnehme dem, dass Polter und Skrzybski schuld sind, weil das Spiel grundsätzlich solider geworden ist, oder? ;)
Meine Frage war aber eigentlich „globaler“ gedacht: Es gibt ja grundsätzlich die beiden Varianten Ballbesitz und „Kick’n Rush“ (mit all ihren modernen Ausdifferenzierungen).
Union hat mit dem Trainerwechsel von „Kick’n rush“ auf Ballbesitz umgestellt.
Meine völlig unfundierte Gefühlsmeinung dazu ist: Ballbesitz taugt nur was für FC Bayern, Real Madrid und ManCity.
Alle anderen sollten „Kick’n Rush“ spielen.
Meine Begründung: Es ist viel schwieriger, mit Ballbesitzfußball Torchancen herauszuspielen, wenn der Gegner gute Defensivarbeit leistet und gut organisiert ist.
So gesehen, wäre von vornherein klar gewesen, dass es keine gute Idee ist, dass Union zu Ballbesitzfußball wechselt.
Wenn man annimmt, Union hätte so einen tollen Kader, dass wir spielerisch zu den Top 3 der Liga zählen müssten, wäre es ja nicht völlig unlogisch, dem Ballbesitz zumindest eine Chance zu geben. Zumal wir ja auch immer gejammert haben, dass wir bei Kellers System hinten zu anfällig für gegnerische Konter sind.
Ich lese die Analyse so, dass uns schlichtweg Effizienz verloren gegangen ist – sowohl beim Verteidigen als auch im Angriff. Ob nun durch Pech, fehlendes Selbstvertrauen oder Unvermögen – oder einer Kombination aus allem.
Noch was fällt mir gerade bei Betrachtung der Grafiken auf:
In Diskussionen über Defensivprobleme wird eigentlich meistens die rechte Seite gelobt, auf der linken Seite werden eher die Probleme verortet.
Wenn man sich die zugelassenen Schussvorlagen anschaut, scheint es aber gerade umgekehrt zu sein. Da scheint die rechte Seite ein offenes Scheunentor zu sein ….
@framlin @basti Naja, ich gehe ja ein bisschen darauf ein, wie sich die unterschiedlichen strategischen Herangehensweisen auswirken – also dass man mit Ballbesitzfußball im Allgemeinen öfter zu Offensivaktionen kommt, mit Kontern aber vielleicht pro Aktion gefährlicher ist. Es lässt sich auf dieser Allgemeinheitsebene aber nicht allzu viel sagen, weil es eben doch immer darauf ankommt, wie gut man die jeweilige Strategie umsetzt. Und nun mal auch davon, was der Gegner macht. Die abnehmende Effektivität von Kellers Ansatz, auch schon seit dem letzten Drittel der vorigen Saison, hatte ja wesentlich damit zu tun, dass sich Union ab dem Zeitpunkt, zu dem die anderen gemerkt haben, dass sie im Konterspiel gut sind, weiter hinten rein gestellt haben. An der Stelle bleibt dann ja nichts anderes mehr übrig, als am eigenen Ballbesitzspiel zu arbeiten. Aber das funktioniert eben nur gemischt gut – ein paar Gründe dafür habe ich hier angesprochen, andere Woche für Woche in den Analysen hier und drüben in Eiserne Ketten.
@framlin 2: Ja, das mit der Anfälligkeit über rechts ist auffällig und wert, noch mal genauer qualitativ betrachtet zu werden. (Wobei Scheunentor etwas übertrieben ist – so sieht es nur im Vergleich zur sehr dichten linken Seite aus.) Meine Vermutung ist dass a) Christopher Trimmel größere Stärken als den Defensivzweikampf hat. Und dass b) das zentrale Mittelfeld und die Offensivspieler links etwas mehr mit absichern.
@framlin: Den Eindruck hatte ich aber schon die ganze Saison über. Bei aller Offensivstärke von Trimmel – defensiv hatte er seine Seite leider oft nicht im Griff, vermutlich gerade weil er so offinsiv spielt. Kann natürlich auch sein, dass die Gegner mit Vorliebe über seine Seite gekommen sind, sodass sich automatisch mehr Chancen ergeben. Darüber sagt die Grafik ja nichts.
[…] Im Vergleich zur Hinrunde 2017/18 fällt auf, dass die expected Goals die sich Union erspielt hat, also die eigenen Chancen, fast gleich geblieben sind (24,5 in der letzten Saison, 24,3 in dieser). Aber defensiv hat sich Union eben stark verbessert (in xG von 22 auf 17,2). Während Union in der letzten Saison statistisch insgesamt eher durchschnittlich war, ist man jetzt zumindest defensiv an der Spitze der Liga. Allerdings kann man auch sagen, dass schon die letzte Rückrunde in der Zahl zugelassener Chancen ähnlich aussah. Nur dass da die in Wirklichkeit gefallenen Tore deutlich über den statistischen Erwartungen lagen. Diese Rückrunde lief eben in jeder Hinsicht lange ziemlich unglücklich. […]