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Gelesen: Wodka für den Torwart

Nein, auf eine umfassende Lektüre aller zur Europameisterschaft erschienenen Sonderhefte verzichte ich. Die unendlichste aller Relegationen hat einfach dafür gesorgt, dass das Aufwärmprogramm für die EM ganz hektisch vor dem Anpfiff des ersten Spiels absolviert werden musste. Wer sich trotzdem für die vielen bunten Hefte interessiert, wird bei allesaussersport.de umfassend informiert.

Nach dem EM-Podcast habe ich mir fix elf ukrainische Kurzgeschichten durchgelesen. Der Band „Wodka für den Torwart„* (12,80 EUR) wird, wie sollte es kurz vor Turnierbeginn anders sein, durch Fußball zusammengehalten. Kurzweilig, ein bisschen chaotisch, manchmal auch traurig. Genauso wie das ganze Land.

Gleich die erste Geschichte hat mich vollkommen umgehauen. Eine Story, die an Chaos und Chuzpe kaum zu überbieten ist. Maxym Kidruks „Der Transfer“ beschreibt, wie ein Ukrainer aus Geldnot seinen Freund dazu überredet, die Position eines neu geholten ausländischen Spielers bei Torpedo Kiew einzunehmen. Der muss dafür natürlich von der Bildfläche verschwinden. Eine sehr unterhaltsame Mischung aus Klamauk und Wahnsinn, die mich in ihrer Durchgedrehtheit an Wiktor Pelewins „Generation P„* erinnert.

Eine zweites, sehr viel nachdenklicheres Stück von Jurij Wynnytschuk heißt nur „Die uns beobachten“. Eine beklemmende Geschichte aus Lwiw, als es noch russisch Lwow hieß. Irgendwann in der Spätzeit der Sowjetunion, als der riesige Staat fast so erstarrt war, wie seine greisen Herrscher. Alles ist dabei: KGB, fußballspielende Kinder und die Suche nach der Wahrheit hinter dem spurlosen Verschwinden von Priesterschülern kurz nach Kriegsende. Und mittendrin die zerrissene Geschichte von Lwiw, das im zwanzigsten Jahrhundert öfter die Staatszugehörigkeit gewechselt hat als Lothar Matthäus Frauen vor den Traualtar schleift.

Kurzum eine unbedingte Empfehlung, wenn man zum Turnier mehr von der Ukraine kennen möchte als nur Julia Timoschenko und Straßenhundeschicksale.

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Klarstellung: Der Erzählband wurde vom Verein translit e.V. herausgegeben. Ich habe mit Jakob Mischke, der Vorsitzender des Vereins ist, zusammen an der Freien Universität Osteuropastudien studiert.

 

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