Die Berliner Regisseurin Annekatrin Hendel hat mit „UNION – Die besten aller Tage“ einen neuen Dokumentarfilm über den 1. FC Union Berlin in die Kinos gebracht. Dafür hat sie den Verein durch die Saison 2022/23 begleitet, die mit den Europa-League-Spielen ohnehin schon überwältigend war. Dass sich Union am letzten Spieltag auch noch für die Champions League qualifizieren würde, konnte bei Drehbeginn niemand ahnen. Der Film läuft ab dem 4.April 2024 bundesweit.
In einer der ersten Szenen des Films finden wir uns im Büro von Dirk Zingler wieder, mitten in einer Besprechung, und Dirk Zingler beschwert sich „Frau Schulz! Herr Biermann raucht!“ Inzwischen rauchen sie beide nicht mehr – Herr Zingler nicht, und Herr Biermann auch nicht. Aber das ist das Maß an Nähe, unterhalb dessen Annekatrin Hendel einfach gar nicht anfängt zu arbeiten: In den Büros im Forsthaus, in den Arbeitsbesprechungen, im Alltag eines Fußballvereins.
Es ist immer persönlich, es ist sehr nah an den Menschen, über die sie erzählt, und es ist selten glatt: Menschen haben Macken, und die Macken werden mitgeliefert. Das ist oft liebenswert, aber nicht immer. Denn es gibt die Momente, in denen Dirk Zingler als Präsident autoritär auftritt, unnachgiebig, und einfach Dinge entscheidet. Das muss er auch, und es würde nicht funktionieren, wenn er dabei übermäßig nett wirkte. Meist zieht das dann einen Haufen Arbeit für alle anderen nach sich, und das löst nicht zwingend Jubel aus.
Keine Fußballdoku mit Fokus auf der Mannschaft
Es ist aber genau diese Herangehensweise an das Thema Fußball, die diesen Film von anderen Fußball-Dokumentarfilmen unterscheidet. Der Fokus liegt gar nicht auf dem Sport. Es geht nicht um einen Zusammenschnitt der besten Tore. Erzählt wird, was einen Fußballverein in seinem Inneren ausmacht. Im Mittelpunkt steht die Arbeit in einem sehr speziellen Umfeld, und auch, wie diese eigenartige Mischung aus Hochleistungssport und Unterhaltungsindustrie überhaupt funktioniert. Deshalb ist der Film auch interessant für Menschen, die weder Union- noch Fußballfans sind.
Dementsprechend wurden die Personen ausgewählt, an denen entlang der Film sich bewegt. Klar ist der Sport dennoch vertreten – mit Christopher Trimmel, aber nicht so sehr auf dem Platz, sondern weil Fototermine und Trikotpräsentationen eben mit zum Beruf gehören. Mit Sebastian Bönig und Martin Krüger aus dem Trainerstab, die eigentlich eine eigene Show bekommen müssten. Dirk Zingler als Präsident, der oft Oskar Kosche und Christian Arbeit als Korrektiv an seiner Seite hat. Susi Kopplin, die technisch „Mannschaftsleiterin“ ist, deren Beruf mit „Wohlfühloase“ aber viel besser umschrieben wäre. Steffi Vogler und Katharina Brendel, die beide in unterschiedlichen Bereichen der Vereinskommunikation arbeiten, und die immer dann am besten sind, wenn sie zusammen Fußball kucken.
Was der Film extrem gut vermittelt, ist der Teil, der an einem Fußballverein konstant bleiben muss: Das Team, das ihn trägt – und das besteht niemals aus den Protagonisten der ersten Herrenmannschaft. Dirk Zingler formuliert an einer Stelle sehr hart und klar, was diesem Team abverlangt wird: Es ist ein erschöpfender Beruf, der Kraft zehrt, aussaugt. Stellt euch einfach vor, ihr qualifiziert euch für die Champions League und habt keine Zeit euch darüber zu freuen.
Extra-Lob für Flake, Taktik&Suff und Umgang mit Ultras
Drei Dinge haben eine extra Würdigung verdient: Zum einen die Filmmusik von Flake – eine Klavierbegleitung wie im Stummfilmkino, die Stimmungen trägt, verstärkt und manchmal sehr, sehr komisch ist. Zum zweiten die Audiokommentare von Taktik&Suff, deren Podcast die Saison ebenso begleitet hat, wie es Annekatrin Hendel mit dem Film tut. Und schließlich der Umgang mit den Ultras.
Einen Film, in dem die Antwort auf die Frage nach der Pyrotechnik („Ist das nicht verboten?“) lautet: „Sieht aber schön aus!“ und dann so stehen bleiben darf, den gibt es nicht so oft. Das ist vielleicht für den Union-Kosmos wichtiger als für alle anderen, aber es sind solche Momente, die deutlich machen, dass Union in vielerlei Hinsicht nicht zwischen „Fans“ und „Verein“ als „oben“ und „unten“ unterscheidet. Das sind alles wir. Das gehört alles mit dazu.
Es ist ein Glücksfall für Fans und Verein, in einer so außergewöhnlichen Zeit mit Annekatrin Hendel eine außergewöhnliche Dokumentarfilmerin an der Seite gehabt zu haben. Es macht eine Zeit begreifbar, die für alle, die dabei waren, eigentlich nicht zu verstehen ist.
Service-Hinweis: Eigentlich gibt es mehr Applaus- als Tränenszenen, aber Katharinas Grischa-Prömel-Abschiedsinterview und die Reisekader-Choreo wird mich in tausend Jahren noch hemmungslos heulen lassen. Wissta Bescheid, wa?
Entdecke mehr von Textilvergehen
Subscribe to get the latest posts sent to your email.
Unterschreibe ich so. Bis auf Flake, dessen „tastenfickerei“ mich doch mehrfach genervt hat.
Und wie von der Regisseurin selbst bestätigt: Das Format „Serie“ wäre die weitaus bessere Entscheidung gewesen, da sind mit dem jetzigen Endprodukt sicherlich viele storylines der Schere zum Opfer gefallen… sehr schade drum! Hoffen wir auf viel Bonusmaterial bei der Heimkino-Variante :o)