Blog State of the Union

An diesem Abend war es nicht so einfach, auf die „bright side of life“ zu schauen

„Always look on the bright side of life“ schallte es durch das Stadion nach dem 0:3 gegen Union St. Gilloise. Und es fühlte sich gut an, das zu singen. Für die Mannschaft, der auf dem Platz wenig gelungen ist. Für uns, die wir zur Unterstützung im Stadion in Anderlecht dabei waren. Doch nur eine halbe Stunde. Dann zumindest gelang es mir nicht mehr, die gute Seite des Lebens zu sehen. Die Enttäuschung kroch immer höher mit jedem Schritt, den wir uns vom Stadion entfernten.

Am Ende saßen wir in der U-Bahn wie ein paar Grinches, während neben uns Unionfans in blau-gelb und rot-weiß feierten. Abwechselnd wurde „Aux Armes“ oder Karim Benyamina gesungen. Das hätte sich der Angreifer wohl kaum träumen lassen, dass einmal sein Lied in der Brüsseler U-Bahn mit voller Überzeugung erklingt.

Doch zumindest ich saß das mit finsterer Miene und wollte einfach weg von diesen fröhlich feiernden Menschen. Weg aus Anderlecht. Am liebsten sofort weg aus Brüssel. Ein Gefühl und eine schlechte Laune, die ich lange nicht mehr gefühlt hatte. Zuletzt im Mai 2019 nach dem 2:2 in Bochum. Damals saßen wir bei einem Fiege vor einer Kneipe. Alle überlegten, wie das mit der Relegation laufen würde und mein Gesicht war eine einzige Faust.

Es spricht sehr für die konstant erfolgreiche Zeit, die Union erlebt, dass dieses Gefühl so lange nicht vorhanden war. Dieses Gefühl, eine Chance liegen gelassen zu haben. Eine Möglichkeit, die so schnell nicht wiederkommen wird. Vor allem, weil man sich das an sich verdient hätte nach diesem irren Comeback in der Europa-League-Gruppe, in der man nach zwei Anfangsniederlagen schon ausgeschieden schien. Und nach diesen unfassbaren Spielen gegen Ajax.

Nach dem Aus in der Conference League kam dieses Gefühl der Enttäuschung und des Trotzes nicht hoch. Vielleicht weil Union dort vom Überstehen der Gruppenphase weiter entfernt war. Gegen St. Gilloise hingegen wäre eine starke Leistung auf dem Punkt nötig gewesen. Klarheit in den Pässen, Körperlichkeit in den Zweikämpfen und Tempo zeigte beim 0:3 nur der belgische Gastgeber. Union ist in einer Formkrise seit ein paar Wochen und aus dieser kamen sie auch an diesem Europapokal-Abend nicht heraus.

Urs Fischer betont es häufig: Die Mannschaft muss an ihr Leistungslimit gehen, um in der Bundesliga bestehen zu können. Dasselbe und noch eine Niveau höher gilt für den Europapokal. Union kam im Stadion von Anderlecht nicht ansatzweise an das eigene Leistungslimit und gleichzeitig konnte man sich nicht auf die eigene Stärke in der Defensive verlassen.

Rönnow explodiert

Wie im Hinspiel tat mir Frederick Rönnow leid, der wenig auf sein Tor bekam und wenn, dann im Prinzip sofort einen Ball herausholen musste. Kein Wunder, dass kurz vor Spielende etwas passierte, was wir in einer Urs-Fischer-Mannschaft eher selten sehen. Der Keeper rannte nach dem 0:3 nach vorne und faltete Jamie Leweling zusammen. Der Angreifer hatte nach einem Dribbling hinter der Mittellinie das Abspiel verpasst und deswegen den Ball verloren. Die Konsequenz war das dritte Tor von Union St. Gilloise.

Frederik Rönnow ließ nach dem 0:3 bei Jamie Leweling (nicht im Bild) seinen Frust raus, Foto: Matthias Koch

Jamie Leweling muss sich das nicht zu Herzen nehmen. Dieser Frust hätte wirklich viele treffen können. Zu häufig wurde Union Opfer des Pressings des anderen Unions. Es war auch ein Frust darüber, dass Union sich hat einschläfern lassen und die eigene Spielweise zu statisch wurde. Und wenn die Spieler in rot-weiß einmal das Gefühl eines Momentums aufkommen ließen, dann lag ein Spieler in blau-gelb auf dem Rasen und ließ sich so lange behandeln, dass dieses Momentum wieder vorbei war. So wie auch dieser Europapokal-Traum nach dieser Nacht in Brüssel vorbei ist.

Meine schlechte Laune in Bochum war am nächsten Tag übrigens wie weggewischt und noch im Auto zurück nach Berlin holte ich mir die Karten für das Relegations-Hinspiel in Stuttgart. Für das Spiel am Sonntag gegen Frankfurt reicht die Dauerkarte. Ich freue mich darauf. Denn nicht nur in Europa gilt: FCU, wir sind da. Na klar!

Das sind die Berichte der Berliner Medien zum Spiel:

14 Kommentare zu “An diesem Abend war es nicht so einfach, auf die „bright side of life“ zu schauen

  1. So blöd es klingt: Die vielen Jahre Ausnahmezustand fordern irgendwann Tribut und angesichts der zunehmenden mentalen Übermüdung der Mannschaft kann ich nicht wirklich enttäuscht vom Ausscheiden sein.

    Die Qualifikation für Europa erfolgt realistisch über die Bundesliga. Das ist das Kerngeschäft, das ist der Wettbewerb, der Grundlage und Basis für den Erfolg des Vereines ist. So richtig Lust auf und (mentale) Kraft für die Bundesliga schien zuletzt aber nicht mehr vorhanden. Das ändert sich nun hoffentlich und ohne Ablenkung Europa League gegen Mannschaften, denen wir in der nächsten Runde sowieso nicht gewachsen gewesen wären, klappt hoffentlich die erneute Qualifikation für Europa und die Fortsetzung des Traums: In trockenen Tüchern und selbstverständlich ist das noch nicht.

    Der Traum ist nicht wirklich zu Ende. Doch nach der aufregenden Traumphase folgt jetzt erstmal eine erholsame Tiefschlafphase für Europa. Geträumt wird dann wieder nächste Saison.

  2. Auf mich wirkte unsere Mannschaft körperlich und mental übermüdet (Was man auch deutlich an den Gesichtern unserer Spieler in der 2. Halbzeit sehen konnte.). USG hingegen wirkte frisch und war uns gedanklich zwei Abspiele voraus. Dadurch war ihr Spiel schnell und unseres nicht.
    Unsere Jungs haben alles in die Waagschale geworfen was sie gestern drauf hatten, mehr war halt nicht drin. Kopf hoch, die Liga wartet mit ihren nächsten Aufgaben!

  3. Wenn man bedenkt, dass die Saison durch dieses Winter-Event in Asien noch komprimiert war/ist, ist das, was der Verein geschafft hat, einfach nicht hoch genug zu schätzen.
    Die Mannschaft wird sich jetzt auf das neue Saisonziel fokussieren, und nächste Saison fahren wir wieder.

    Und wer weiß, wo dann die Reise endet …

  4. Man sollte auch nicht vergessen, dass das ein richtig starker Gegner war, selbst wer er vom Namen her nicht so prominent ist. Und in der Europa League haben sich in den letzten Jahren schon ganz andere deutsche Mannschaften früher verabschiedet – insofern kann ich nicht von Enttäuschung sprechen.

    Fakt ist aber auch, dass Union seit einigen Wochen die defensive Stabilität fehlt und vorne fast nur Standards helfen. Hier muss das Ruder herumgerissen werden, sonst landen wir am Ende im Niemandsland der Tabelle.

    • Eisern_12679

      „…Fakt ist aber auch, dass Union seit einigen Wochen die defensive Stabilität fehlt und vorne fast nur Standards helfen. Hier muss das Ruder herumgerissen werden, sonst landen wir am Ende im Niemandsland der Tabelle. “

      Daumen hoch dafür @Basti! Sehe ich ganz genauso, und unsere zuletzt recht hilflose und fehlerbehaftete Spielweise macht mir deutlich mehr Sorge als dass wir gestern ausgeschieden sind. Ich hoffe, das wird ohne englische Wochen wieder besser, wenn demnächst öfter mal wieder etwas Zeit zum Durchschnaufen zwischen zwei Spielen ist.

  5. Honeypie

    Wenn ich das Spiel so gesehen habe, können wir uns am Sonntag auf eine Heimniederlage gefasst machen. Haben ja schon einige geschrieben, die Jungs sind feddich, sind ja auch schließlich keine Maschinen. Vollen Respekt(!) nach so harter Arbeit in den letzten Wochen und Monaten darf das einfach mal kommen. Wir können uns nicht mal mit einem schlechten Nullnull „ausruhen“, selbst da sind 100% gefragt um nicht zu verlieren. Und IMMER 110 bis 120% auf den Platz bringen ist meiner Meinung nach nicht möglich. Weitermachen! EISERN!

  6. „Denn nicht nur in Europa in gilt: FCU, wir sind da. Na klar!“
    Wenn man Europa unbedingt gendern will, dann müsste es doch Europa:er heißen, denn die Tochter des Agenor ist doch schon weiblich. Ganz *dunkles* Kapitel im Textilvergehen.

    Danke für den tollen Text und für den tollen Blog im Allgemeinen.

  7. Also: enttäuscht und auch irgendwie kann man sein aufgrund des Zustandekommens. Aber: die Reise und das Rückspiel gegen Ajax waren viel zu überwältigend, als dass man nachhaltig traurig sein sollte. Klar wäre eine weitere Station international der Hammer gewesen, aber das holen wir dann hoffentlich nächstes Jahr nach.

    Eine unpopular opinion habe ich allerdings. Eher zwei. Erstens: mit einem Max Kruse (oder von mir aus auch Isco) wäre das Ganze anders gelaufen. Mir hat einfach die Kreativität bei Ballbesitz vollkommen gefehlt. Physische und mentale Leere würde ich als Argument einfach nicht zählen lassen wollen. Zweitens (wobei ich weit weg bin, dem Trainerteam Unvermögen zu unterstellen): wir trainieren diese komplette lange Winterpause die Viererkette, nutzen sie aber nicht!? Wann wäre es denn geeigneter gewesen als gegen eine Mannschaft, die genau „unser“ System spielt!? Spätestens zur Pause hätte ich die Umstellung als gut befunden – Leite raus, Jordan rein, Becker oder Michel in den Halbraum als Anspielstation ziehen. Denn die Konterchancen waren quasi nicht vorhanden. Aber korrigiert mich gerne, wenn das vollkommener Blödsinn ist.

    Zu guter Letzt: absoluter Glückwunsch an die belgischen Unioner! Wer 6 Tore in 2 Spielen gegen uns schießt, hat sich das mehr als verdient. Und ich würde sogar sagen, dass RSG eine der unterbewertesten Mannschaften in Europa ist. Ich denke, dass Bayer die auch nicht so eben wegschießt. We will see…

    Kopf hoch, stolz sein, und niemals vergessen…

    • Alex, gar nicht so unpopuläre Meinung. Genau diesen Gedanken: „Wie hätte das alles mit Isco oder Kruse ausgesehen“ hatte ich nicht erst bei diesem Spiel. Genauso aber nachvollziehbar, warum diese beiden Spieler nicht für Union spielen: Langfristig ist die Integrität der Mannschaft wichtiger, als der kurzfristige Erfolg. Ja, aber mal sehen, vielleicht kommt mit etwas mehr Ruhe und Training auch wieder etwas Spielwitz: Becks und Jordi haben es doch zum Anfang der Saison gezeigt, wie erfolgreich Spielwitz auch bei Union sein kann. Josip und Rouss sind ebenfalls für Spielwitz und kreative Lösungen gut. Wird schon.

    • Und ich vergaß Paul: Der kann auch sehr kreativ sein.

  8. Matikowski

    Ja, die Viererkette wünsche ich mir auch mal. Mir scheint, wir sind schon auf dem Weg zum Ballbesitzfußball. Doch momentan spielen meistens die Allerbesten und das Vertrauen in den gesamten Kader fehlt etwas. Dabei haben wir alle Positionen doppelt und mit mehr Mut spielen auch Paul, Paul und Jamie in der Startelf.

    Kopf hoch, seid Stolz auf euch, und niemals vergessen…

  9. herrdoesi

    Für mich hat Union gespielt wie Union. Erstaunlich ist was wir damit erreicht haben. Eine komplette Saison die spielerischen Defizite durch Leidenschaft zu kompensieren, ist wohl nicht möglich und kann man auch nicht verlangen.

  10. Rot-Weiß-Fighter

    Ich bin gerade in den Emiraten unterwegs und habe mir das Spiel mit Anstoßzeit 00:00 reingezogen. Stolz genug habe ich auch am nächsten Tag mein Union-Shirt übergezogen. Aber insgesamt bin ich doch sehr nachdenklich geworden. Es geht nicht darum, dass wir müde sind. Die Spieler sagen selbst, dass sie lieber spielen als trainieren. Unser Trainer hat schon nach dem Köln-Spiel gesagt, dass wir immerhin 26 Flanken geschlagen haben und deshalb wohl nicht alles verkehrt gemacht haben. Aber nach den Flanken geht mir als Unioner derzeit kaum der Puls in die Höhe. Der Ball ist oft noch in der Luft, da kann man schon entspannt woanders hinsehen, da er kaum den eigenen Mitspieler finden wird.
    Steffen Freund hat es gegen USG bereits lange vor dem Abpfiff auf den Punkt gebracht: Bei unseren halb blind gespielten harmlosen Flanken aus dem Halbfeld auf die gegnerische Innenverteidigung müssen sich deren Verteidiger nicht einmal bewegen, um die Bälle abzuwehren und ihrerseits PRÄZISE auf die eigenen Spieler weiterzuleiten.
    Es hat nicht geholfen (und war sicher auch nicht zielführend), dass wir vor über einer Woche bereits vor dem Hinspiel sagten, wenn wir gegen USG nicht gewinnen, haben wir ja eben immerhin noch das Rückspiel….. das haben sich wahrscheinlich auch die USG-Verantwortlichen gesagt. Aber die hatten dann im Gegensatz zu uns einen Plan und die Mittel zum Erfolg. Wir hatten nur 2 Freistöße, die aber dieses Mal leider knapp vorbei gingen.
    Ich will hier nicht weiter klugscheißern, aber da sollten wir doch eventuell mal über einen Systemwechsel nachdenken. Auch wenn wir keinen Coman haben, aber von dem könnten wir uns sicher einiges abschauen.

    Eiserne Grüße

  11. USG lief wie eine gut geölte Killermaschine. Eigentlich sind sie UnionPlus, denn sie haben eine starke Abwehr, eine Idee, machen nicht selber das Spiel – sounds familiar – aber haben dann vorne zusätzlich noch 1-2 Einzelkönnen. Letzteres fehlt uns schmerzlich, da Beckers Sprint nur bei langen Bällen wirklich Vorteil bringen und keiner der Neuzugänge so richtig Wirbelwind ist. Schade, aber immerhin ist die Baustelle deutlich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert