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In Zeiten der Entfremdung: Ein Spiel gegen Wolfsburg als Sehnsuchtsort

Ich weiß, einige werden sich über die Überschrift aufregen und klagen, dass sie zu dick aufgetragen sei. Kann sein, möglicherweise. Ich möchte aber erklären, was ich damit meine:

Mittlerweile war ich schon über zehn Monate nicht mehr in der Alten Försterei. Letztmals stand ich bei einem Spiel gegen den VfL Wolfsburg im Stadion. Am 01. März 2020 war die Welt noch eine andere. (Fußball-)Deutschland diskutierte über Fadenkreuze gegen einen alten, weißen, privilegierten und vor allem sehr reichen Mann, der sich gerne als Heilsbringer für Fußball und Gesellschaft (Stichwort: Impfung) inszenierte. Spiele wurden, wie an diesem Sonntag auch in Köpenick, nach Überschreiten von sogenannten Eskalationsstufen aufgrund dieser Fadenkreuze unterbrochen. Union verspielte in der ausverkauften Alten Försterei eine 2:0-Führung. Und Corona war ein Virus, von dem man zwar schon einiges gehört hatte, was aber eher eine Sache aus China und Italien war.

Kritik ist manchmal auch derbe formuliert, Foto: Matze Koch

Auch damals war also bei weitem und vor allem im Profifußball nicht alles in Ordnung. Zwei Wochen später wurde die Saison auf unbestimmte Zeit abgebrochen, Deutschland ging wie große Teile der Welt und doch sehr individuell in den Shut,- Lock – oder wie auch immer-Down. Mein Interesse am Fußball sank. Wie das von vielen anderen auch. Auch wenn die Pandemie an vielen grundsätzlichen Problemen des Profifußballs keine Schuld trägt, so wurde die Entfremdung ohne Stadionerlebnis immer größer. Viele Statements von Funktionären und Vereinsbossen machten es nicht besser. Und als die Bundesliga dann vor leeren Rängen wieder ihren Betrieb aufnahm, habe ich anfangs kaum ein Union-Spiel live im Fernsehen gesehen.

Auch in diesen Tagen kein ungewohntes Bild: Marvin Friedrich jubelt nach seinem Tor gegen Wolfsburg, Foto: Matze Koch

Mittlerweile ist mein Interesse aus verschiedenen Gründen wieder deutlich größer. Einer ist sicherlich auch, dass Union einfach eine fantastische, nicht vorhersehbar tolle Saison spielt. Und, dass die Mannschaft mit ihrer Spielweise, ihrem Einsatz und dem gemeinsamen Auftreten einfach verdammt viel Freude ausstrahlt. Insgesamt ist für mich der Stellenwert des Fußballs ohne Stadionerlebnis aber definitiv kleiner geworden. Fanforscher Harald Lange sieht in einem DW-Artikel hierbei sogar einen bundesweiten Trend:

„Der Fußball ist in der persönlichen Wertehierarchie abgerutscht.“

Dies habe neben den fehlenden Stadionbesuch aber auch mit Fehlentwicklungen im Profifußball zu tun. Als Beispiel werden im Artikel die fortschreitende Kommerzialisierung, die Verteilung der TV-Gelder, die Inflation von Spielen und der oft wenig spannende Wettbewerb (in der Bundesliga) genannt.

Wie wird es weitergehen?

Es wird interessant zu beobachten sein, wie sich die Situation entwickelt, sobald wirklich alle wieder ins Stadion können. Werden weniger oder andere Menschen in die Bundesliga-Stadion gehen? Sinken die Zuschauerzahlen? Gibt es mehr reine Konsumenten und weniger aktive Fans?

Fanforscher Lange sieht Union gegen die teilweise beobachtbare  Entfremdung besser gewappnet als andere Vereine:

„Das Paradebeispiel zurzeit ist Union Berlin, die auch noch sportlich enorm erfolgreich sind, aber eine Fankultur haben, die extrem nah dran ist am Verein.“

Mannschaft, Vereinsführung und Fans zögen laut Lange an einem Strang. Die Stimme der Anhänger habe Gewicht. Ich denke diese Analyse ist zutreffend, da bei Union vor allem das gemeinsame Stadionerlebnis im Mittelpunkt steht und dies auch von den Verantwortlichen immer wieder betont wird. Der Grund sind auch Spiele wie das am 01. März 2020 gegen den VfL Wolfsburg. Als die Alte Försterei letztmalig pickepacke voll war, wir eng an eng standen, gesungen, gebrüllt, diskutiert haben. Tapeten hochgehalten wurden, aber wir vor allem Union unterstützt und geschaut haben.

Eine von vielen Tapeten beim Spiel gegen den VfL Wolfsburg, Foto: Matze Koch

Ich hoffe, dass wir das in naher Zukunft wieder erleben. Darum ist ein Spiel gegen den VfL Wolfsburg ein Sehnsuchtsort. Auch wenn es natürlich egal ist ob der Gegner Falkensee, Wolfsburg oder Bayern München heißt. Wir gehen ja schließlich zu Union und nicht zum Fußball. Ich hoffe außerdem, dass die Diskussionen um die Probleme des modernen Fußballs dann mithilfe der aktiven Fanszenen wieder sichtbarer werden. Damit die Entfremdung nicht wieder größer wird.

Zur aktuellen Partie gegen den VfL Wolfsburg

Zur personellen Situation hat Daniel gestern eigentlich alles geschrieben. Der gelbgesperrte Grischa Prömel wird wahrscheinlich durch Sebastian Griesbeck ersetzt.

Union punktet bisher immer in dieser Saison gegen die Ex-Vereine von Max Kruse

Der Kurier hat ganz tief in der Statistik-(Trick-)Kiste gekramt und herausgefunden, dass Union gegen alle Ex-Vereine von Max Kruse in dieser Saison bisher gepunktet hat. Interessanter finde ich da schon die ebenfalls erwähnte Statistik, dass Wolfsburg nur noch einer von sechs Vereinen ist, gegen den Union in der Bundesliga noch nicht gewinnen konnte.

Weitere Medienberichte:

Georgi Wassilew drückt Union die Daumen

Schön mal wieder was von General Georgi Wassilew zu hören, der zum Glück eine Corona-Infektion überstanden hat und vor dem TV Union nicht nur fleißig die Daumen drückt, sondern auch an eine Europa-Pokal-Teilnahme glaubt. Dann hoffentlich vor Fans. Und nicht in Prenzlauer Berg, sondern in Köpenick.

8 Kommentare zu “In Zeiten der Entfremdung: Ein Spiel gegen Wolfsburg als Sehnsuchtsort

  1. Maria Draghi

    @Jacek. Ich würde mich gerne mal mit dir austauschen im Hinblick auf die eingereichten Satzungsänderungsanträge die die bevorstehende MV. Email?

    • @Maria Draghi: ich habe mich entschieden, meinen Antrag für die MV 2020 zurückzuziehen bzw. nicht weiterzuverfolgen und auch keinen Antrag auf Ergänzung der Tagesordnung zu stellen.

    • Maria Draghi

      Danke für die Info.

  2. Sehr schön geschrieben!

  3. Prenzlauer Berg ist ohenhin bis auf weiteres völlig unmöglich. Der Friedrich Ludwig Jahn Sportpark hat keine Betriebserllaubnis mehr und der zukünftige barrierefreie Neubau liegt weiter auf Eis.

  4. Dann hoffe ich persönlich einfach das ein michel nicht auf dem Zettel von union steht. Nur weil ein solider 2/3.Ligaspieler gegen uns 2 Tore geschossen hat.

  5. spidertoehy

    Felix, dein text spricht mir sehr aus der seele. Ich sehe und denke vieles zum aktuellen fußball und zu UNION sehr ähnlich. Danke für diesen state of the union.

  6. […] über einen Sieg ist ebenso kleiner wie der Ärger über eine Niederlage. Zu dieser Entfremdung, die ich hier schon einmal beschrieben hatte, kommt auch eine gewisse Angst hinzu. Wie wird es sein, wenn wieder ZuschauerInnen zugelassen sind. […]

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