Blog State of the Union

„Ich bin lieber Kapitän auf einem kleineren Schiff als auf einem Riesenschiff die Nummer 2 oder 3 zum Bälletragen“

Nach diesem wahnsinnigen Erlebnis mit dem 2:2 in letzter Minute Hamburg muss man vielleicht wirklich kurz einen Schritt zurücktreten und sich noch einmal selbst vergegenwärtigen, was wir da alle erlebt haben. Genauso wie es dieser Tweet von Union in Englisch macht: Im riesigen WM-Stadion eines ehemaligen Bundesligisten stehen und zu sehen, wie Union tatsächlich eine Chance hat, das Spiel zu gewinnen. Während man vor noch gar nicht allzu langer Zeit auf den schiefen Stufen bei Falkensee-Finkenkrug stand, die jetzt in der 5. Liga spielen. Demut ist vielleicht das richtige Wort dafür. Und es dürfte noch einmal der Hinweis sein, nicht alles, was rund um Union passiert, als selbstverständlich hinzunehmen. Auch wenn die Dichte an sportlichen Highlights (siehe die Pokalauftritte gegen Bundesligisten) uns langsam aber sicher anzeigt, dass Union leistungsmäßig immer näher nach oben kommt.

In der Zeit, in der ich diesen Artikel schreibe, sollte eigentlich eine Analyse des Spiels für Eiserne Ketten entstehen. Diese Analyse gibt es deswegen jetzt noch nicht. Dafür hat Eduard Schmidt, den ich als Analyst sehr schätze, einen Thread mit taktischen Bemerkungen zu dem Spiel geschrieben:

Interessant daran ist vor allem, wie er die individuelle Qualität von Union und den Fokus darauf einschätzt:

Diese Qualität zum Beispiel von Friedrich erlaubt es Union, sich in seinem Defensivkonzept auf die Restverteidigung zu verlassen. Und die Körperlichkeit und Fähigkeiten von Polter machen es für Union möglich, dass zumindest eine, schwer auszuschaltende, Methode im Offensivspiel diese ist:

Auch die Berliner Zeitung schreibt über die individuelle Qualität von Union. Und der Tagesspiegel ruft Union als Topmannschaft aus. Hier die weiteren Texte der Berliner Medien nach dem 2:2 in Hamburg:

Wer es aushält, Lewis Holtbys Schnauzbart zu sehen, kann sich anschauen, wie er das Spiel so einordnet:

Nach den überwiegend positiven Dingen, die man aus dem Spiel in Hamburg sportlich und atmosphärisch mitnehmen konnte, gibt es leider auch zwei schlechte Dinge zu berichten. Zum einen rassistische Arschlöcher in Unions Auswärtsblock, auf die gestern in den Kommentaren im Blog hingewiesen wurde.

rassistische Arschlöcher
Einer unserer Leser berichtet von rassistischen Äußerungen im Gästeblock in Hamburg

Und zum anderen den traurigen Umstand, dass ein Zuschauer der Partie während des Spiels im Umlauf des Stadions zusammengebrochen und in der Folge gestorben ist. Nicht nur unglücklich, sondern schlicht handwerklich falsch, ist dass dieses Vorkommnis in einer Agenturmeldung und in Folge dessen in mehreren Medien (wie hier) zusammen mit Auseinandersetzungen zwischen Anhängern von Union und Hamburg vermeldet wurde, obwohl beides nichts miteinander zu tun hat.

Wir haben in der aktuellen Podcast-Episode auch über das Spiel und die Atmosphäre in Hamburg gesprochen:

Was Rafal Gikiewicz sagt

Rafal Gikiewicz wurde für das polnische Fernsehen interviewt und unser Leser Jacek hat sich freundlicherweise dazu bereit erklärt, uns das Interview zu übersetzen:

„Viele Leute, die mich kennen, haben mich gefragt, wie ich es zwei Jahre ohne Stress zu machen in Freiburg ausgehalten habe, weil es wirklich schwierig war. Aber es hat mich auch gelehrt, das wertzuschätzen was man hat. Trainer/Manager haben mir gesagt, wie viele Spieler würden gerne auf Deinem Platz, in Deiner Position sein. Das muss man zu schätzen wissen. Irgendwann kommt die Chance. Und in der damaligen Saison habe ich nur zwei Spiele gemacht, aber ich habe sie gemacht. Und dank dieser beiden Spiele bin ich jetzt in Berlin, weil sie gesehen haben, dass ich nicht sehr eingerostet bin.

Während Länderspielpausen haben wir in Polen, insbesondere ich, viel trainiert, Akkus aufgeladen, um dann mit doppelter Kraft zu spielen. Hier gibt es immer während der Länderspielpausen 3-4 Tage frei, um sich auszuruhen. Wir waren in der Woche auch beim Laser Tag. Die ganze Mannschaft war dabei, vier Stunden, das war dann unser Training.

Frage (1:15): Hat sich die Torhüterposition stark verändert, z.B. im Vergleich zu vor 4-5- Jahre als Du in der Ekstraklasa (1. Polnische Liga) gespielt hast ? Z.B. muss der Torwart heute höher stehen, muss mit dem Fuß spielen können? Musst Du auch fußballerisch mehr draufhaben ?

Ich habe schon länger dort (-> Ekstraklasa) nicht mehr gespielt, insofern weiß ich nicht. Was sich geändert hat, im Vergleich zu der Zeit als ich bei Bialystock gespielt habe, ist, dass damals gesagt wurde: „der junge Torwart muss warten.“ Heute stehen die Jungen im Tor, es ist leichter für sie, eine Chance zu bekommen. Wenn Du Dir die polnische Liga anschaust, ist bekannt, dass dort viele ältere Torhüter im Tor stehen. Aber es gibt auch einige jüngere Torhüter, die in der Zeit 2009-2012 in der polnischen Liga sicher keine Chance bekommen hätten.

Ich habe einen Torwarttrainer, der 37 Jahre alt ist, man lernt viel, es gibt viele Neuerungen, die deutsche (Torwart-)Schule ist berühmt. Es gibt hier viele junge Torhüter auf gutem Niveau, aber am Ende ist das Training sehr ähnlich. Es gibt im Training viele 1 gegen 1 Situationen, das Ballführen am Fuß, aber das ist quasi in jedem Land, in jeder Liga mittlerweile der Fall. Der Torwart ist nicht mehr nur zum Bälle fangen da, sondern muss auch den Ball am Fuß führen können, um bei der Spieleröffnung zu unterstützen.

Ich habe zuletzt Wojciech Szcz?sny gesehen, der gesagt hat, dass Ederson von Manchester City den Ball 80 Meter weit schlägt und dieser Ball bewirkt, dass sich das Spielfeld vergrößert, der Gegner muss tiefer stehen und dadurch hat man mehr Platz in der Mitte des Spielfeldes. Der lange Ball wird also nicht nur gemacht, um den Ball rauszuhauen, sondern er hat durchaus ein Ziel. Zum Beispiel hatten wir in Bielefeld die Aufgabe, die Innenverteidiger in den Spielaufbau einzubinden. Bielefeld presst diese immer und auf mein Zeichen, ich wartete nicht bis die Mannschaft sich nach vorne gespielt hat, habe ich sofort den langen Ball gespielt, um immer 4 gegen 4 Situationen zu kreieren. Für jeden Gegner stellen wir uns anders auf.

Rafal Gikiewicz nach Abpfiff in Hamburg, Foto: Matze Koch

Kommentar zu den Fernsehbildern:

Da war ich einfach genervt, dass wir nicht gewonnen haben, schon 8x Remis gespielt. Da laufe ich wieder genervt hinter dem Trainer her. Ich gestikuliere halt viel. Ich rede in der Situation einfach nur impulsiv mit dem Trainer.

Fan sein, das ist eine Kultur: Bier, Bratwurst auf die Hand, Du kaufst das Programmheft / Klubmagazin, bleibst hier 3-4 Stunden für das Spiel, und dann aber nicht schnell, schnell nach Hause. Die Leute bleiben beim Stadion, unterhalten sich, trinken, die Musik spielt. Zum DFB-Pokalspiel in Dortmund sind 8.000 Fans gereist, jetzt zum Spiel sollen 10.000 bis 12.000 unserer Fans an einem Montagabend nach Hamburg fahren wollen. 12.000 zu einem Auswärtsspiel, ich denke das ist eine reife Leistung !

Klar, ich bin Pole, und würde natürlich gerne das Nationaltrikot anziehen und mittrainieren. Ich muss nicht spielen, ich mache mir da nichts vor. Wir haben Wojciech Szcz?sny, der bei einem Topklub spielt, ebenso Lukasz Fabianski. Aber das Argument, dass ich in einer schwachen Liga spiele, trifft für mich auch nicht zu. Man muss sich die 2. Bundesliga auch anschauen, um mitreden zu können. Viele dieser Leute haben keine Spiele live im Stadion gesehen, deswegen sind solche Aussagen nach einigen vor dem Fernseher angeschauten Spielen oder Highlights deplatziert. Aber klar, jeder hat das Recht auf seine eigene Meinung.

Sollte ich den Verein wechseln, zum Beispiel im Sommer nach einer Saison, nur um wieder in zweiter Position zu sein, ohne Aussicht auf Spieleinsätze, kommt das für mich überhaupt nicht in Frage. Da bin ich lieber in der 2. Bundesliga – besser Kapitän auf einem kleineren Schiff als auf einem Riesenschiff die Nummer 2 oder 3 zum Bälletragen zu sein. Das kommt für mich nach der Zeit in Freiburg überhaupt nicht in Frage. Ich war dort, habe gekämpft, es ist nicht gelungen, es war eine gute, wertvolle Erfahrung, aber ich will spielen und das bereitet größere Freude und Erfüllung. Du gehst jede Woche raus, spürst das Adrenalin, und das ist einfach ein Gefühl, das mir die letzten zwei Jahre gefehlt hat.“

Und sonst so

Und noch zwei Dinge, die mich gestern amüsiert haben. Dieses Transparent (vor allem auch im Kontext des Spiels Hamburg gegen Union):

Und dieser Fund eines ‚preisverdächtigen‘ Fangesangs:

4 Kommentare zu “„Ich bin lieber Kapitän auf einem kleineren Schiff als auf einem Riesenschiff die Nummer 2 oder 3 zum Bälletragen“

  1. Danke für die Übersetzung des Interviews.

  2. karlkreuzberger

    Dem schließe ich mich sehr gerne an. Danke!
    Die Euphorie der Medien teile ich nicht.
    Dafür waren mir die beiden Gegentor zu dilettantisch verteidigt.

  3. Anmerkung zu den rassischen Äußerungen einiger Typen aus unserem Block. Irgendwie scheint es bei einigen Dumpfbacken noch nicht angekommen zu sein: Affenlaute etc. werden nicht durch die freie Meinungsäußerung gedeckt sondern erfüllen einen Straftatbestand. Im Strafgesetzbuch unter Paragrafen 130 heißt es, „wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt oder zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“, werde mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft. Noch Fragen? Es nervt mich einfach wenn sogenannte Fans von uns denken Demokratie = freie Meinungsäußerung = alles sagen können. Falsch!! Haltet euch endlich an unsere Vereinssatzung und/oder Stadionordnung. DAS ist der gemeinsame Nenner von uns allen Unionern!! EISERN

  4. @Ralf: Besser kann man es nicht auf den Punkt bringen. Eisern!

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