Blog State of the Union

„Ich persönlich will das Wort ‚Aufstieg‘ eigentlich die nächsten Wochen gar nicht mehr hören“

Ich fremdele gerade ein bisschen mit meinem Verein. Das hat nicht alles etwas mit selbstgemachtem Elend zu tun. Aber vieles eben schon. Da ist dieses Kicker-Interview des Präsidenten, in dem er ohne Not von „schwerwiegenden Gründen“ spricht, die zu Kellers Entlassung geführt hätten. Was sofort zu einer Replik von Keller-Berater Thomas Eichin führte, die im Gegensatz zum Interview aber für alle online im Kicker zu lesen war, weshalb der Großteil vor allem Eichins Sicht, aber nur sehr verkürzt die Sicht von Zingler mitbekommen haben dürfte, die ja nur für Kicker-Käufer zu lesen war. Und zusammengefasst kommt dann so etwas wie hier im Kurier raus. Vielleicht nicht das, was man von Vereinsseite nach den Zingler-Interviews erwartet hat:

Screenshot: Berliner Kurier

Es gab da mal die Maßgabe bei Union, sich nur zu äußern, wenn man selbst etwas beizutragen hätte. Mir fällt das bei den „schwerwiegenden Gründen“ schwer zu glauben. Denn Daniel hat gestern schon klargemacht, dass Union aus Arbeitgebersicht da zwangsläufig in der Defensive ist. So lange Jens Keller nicht öffentlich Ärger mit der Polizei hatte (wir erinnern uns an diesen Vorfall vor ein paar Jahren mit einem Union-Spieler), gibt es wenig Handhabe für eine öffentliche Stellungnahme. Und wenn die „schwerwiegenden Gründe“ gerichtsfest wären, hätte man den Trainer entlassen und nicht freigestellt. Deshalb verstehe ich das wirklich nicht, zumal die sportlichen Gründe für die Trennung von Jens Keller nachvollziehbar sind, der Zeitpunkt aber mindestens überraschend war.

Der nächste Punkt war die Trennung von Torwarttrainer Dennis Rudel, der vor knapp 3 Jahren Holger Bahra abgelöst hatte. Der Vertrag wäre ebenso wie der von Keller und Henrik Pedersen im Sommer 2018 ausgelaufen. Außer der allgemein geäußerten Unzufriedenheit von André Hofschneider im Pressegespräch vor der Winterpause, die sich auch auf die Leistung der Torhüter bezog, gab es keine Indizien, die darauf hindeuteten, dass hier ein Wechsel vorgenommen werden soll. Mit Michael Gspurning ist auch kein erfahrener Torwarttrainer am Werk, sondern jemand, der gerade seine Trainerlizenzen gemacht hatte. Vor allem mit André Hofschneider hat er aber zuvor im Nachwuchsleistungszentrum zusammengearbeitet.

Unions U19 zu Saisonbeginn mit André Hofschneider (links) und Michael Gspurning (rechts), Foto: Matze Koch

Und damit ist ganz plötzlich Helmut Schulte die einzige leitende Person, der im Lizenzspielerbereich nicht aus dem Nachwuchsleistungszentrum von Union kommt. Sportgeschäftsführer Lutz Munack hat bekanntlich dort den größten Teil seiner Laufbahn verbracht, aber sonst im deutschen Profifußball bis auf Union keine weiteren Erfahrungen vorzuweisen. Da stellt sich tatsächlich die Frage, wie Union sich mit Blick auf die nächsten Jahre im Profifußball strategisch aufstellen möchte. Im Moment drängt sich der Eindruck auf, dass Herkunft, andere nennen es Stallgeruch, ein wichtiges Argument für Entscheidungen ist.

Das ist jetzt nicht grundsätzlich etwas Schlimmes, wenn Qualifikation nicht hintenansteht. Und Stallgeruch kann durchaus hilfreich sein, um Dinge so zu sortieren und zu beruhigen, wie man es gerne hätte. Zum Thema „sortieren und beruhigen“ gibt es ein paar Baustellen, die Union aufgemacht hat, wie die des Torhüters, auf der wir in der sehr kurzen Vorbereitung wieder ein Duell sehen werden. Bei der Position des Kapitäns, auf der zumindest ich einen Wechsel erwartet hätte, will André Hofschneider nicht freiwillig wechseln. Dabei gibt es sowohl mit Toni Leistner, als auch mit Sebastian Polter oder auch Steven Skrzybski mindestens 3 Typen, die vor allem öffentlich stärker wirken als Felix Kroos. Das ist vielleicht nicht das stärkste Argument für Mannschaftskapitäne, aber das, was wir von außen als stärkstes wahrnehmen. Bestes Beispiel dieses kurze Video von Sebastian Polter von gestern:

Und Sebastian Polter war es auch, der das Team nach dem Schlusspfiff gegen Ingolstadt noch einmal zusammenrief und ein paar Worte sagte.

Die Unruhe von außen kommt eigentlich nur von einer Seite, dem Sportchef der Bild Berlin-Brandenburg. In die Richtung zielte Zinglers Aussage „widerlicher Drecks-Journalismus“, die er im Kicker-Interview tätigte, als es um die unterschwellige Behauptung ging, das Präsidium hätte sich am Stadionbau bereichert. Heute kommt mal wieder ein Text, in dem es darum geht, die Ultras hätten die „Grundsätze der Waldseite“ formuliert, weil angeblich Leute fluchtartig das Stadion nach Schlusspfiff verlassen hätten. Ich zitiere mal die BZ:

Die sportliche Krise bei Union mit drei Niederlagen in Folge versetzt auch die Fans in größte Unruhe. Nach der 1:2-Pleite gegen Ingolstadt verließen viele Zuschauer nach Abpfiff fluchtartig die Tribüne Waldseite. Das obligatorische Feiern der Mannschaft, auch nach schwachen Leistungen, kam für sie nicht mehr in Frage.

Dieses neue Verhalten hat jetzt eine Ultra-Fangruppe auf den Plan gerufen. Nach dem Spiel wurden in einer Fan-Kneipe Flugblätter verteilt, mit dem Titel „Grundsätze auf der Waldseite“.

Dass diese Grundsätze seit Saisonbeginn zirkulieren und vor allem den Sinn haben, einen Konsens zwischen alten und neuen Fans auf der Waldseite herzustellen, hätte jeder mit einer einfachen Google-Suche herausfinden können.

Sehr unlustig ist dieser Fakt:

Desweiteren wurde aufgefordert, keine Handy-Fotos auf der Tribüne anzufertigen. Der Grund hierfür ist unklar.

Spätestens nach den Untersuchungen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung, die sich auch gegen Fanprojektmitarbeiter richten, dürfte die Intention hinter dieser Forderung klar sein, auch wenn jede hochauflösende Kamera vom Stadiondach bessere Bilder macht. Hier eine  ausführliche Stellungnahme der Koordinationsstelle der Fanprojekte und der Träger der Fanprojekte, der sich auch das Fanprojekt für Union angeschlossen hat.

Aber Bild/BZ sind nicht Auslöser der Unruhe, sondern kochen gerade nur ihr eigenes Anti-Zingler-Süppchen darauf. Für den Großteil ist Union selbst verantwortlich.

Christopher Trimmel hat 90minuten.at eine Art Winterpausen-Interview gegeben, in dem er zum Thema Aufstieg diese Sätze sagt:

Ich muss zugeben, dass ich die Kritik schon für übertrieben halte. Besonders, weil ich das Umfeld bei Union bisher als sehr angenehm kennengelernt habe. Bei dem Wort „Aufstieg“ ändert sich das aber anscheinend. Aber es hat noch nie einer Mannschaft gut getan, wenn dauernd vom Aufstieg gesprochen wird und es kein anderes Thema mehr gibt. Uns als Team schweißt die schwierige Phase der letzten Wochen enger zusammen und wir erwarten uns da auch ein bisschen mehr Verständnis von der Öffentlichkeit. Ich persönlich will das Wort „Aufstieg“ eigentlich die nächsten Wochen gar nicht mehr hören. Das bringt nur unnötig Unruhe hinein.

Christopher Trimmel beim 1:2 gegen Ingolstadt, Foto: Stefanie Fiebrig

Und noch eine gute Nachricht für Leute, die sich für den Union-Nachwuchs interessieren: Lukas Lämmel hat beim VfR Aalen einen Vertrag bis 2020 unterschrieben:

6 Kommentare zu “„Ich persönlich will das Wort ‚Aufstieg‘ eigentlich die nächsten Wochen gar nicht mehr hören“

  1. „Aber es hat noch nie einer Mannschaft gut getan, wenn dauernd vom Aufstieg gesprochen wird und es kein anderes Thema mehr gibt.“ -> Die Kritik geht dann wohl eher Richtung Präsidium. Schließlich haben sich dieses Ziel ja nicht die Fans oder Medien ausgedacht. Ich denke, viele sind immer noch auf dem Stand, dass uns die 2. Liga eigentlich mittelfristig reicht. Aber die Angst, dass sich der Verein finanziell übernimmt mit Stadionausbau und teuren Spielern führt dazu, das „Wenn nicht jetzt, wann dann“-Gefühl stärker werden zu lassen.

  2. Aber wurde sooft vom Aufstieg gesprochen? Es wurde zu Beginn klar, dass wir einen super teuren und qualitativ hochwertigen Kader haben werden. Was soll da anderes als der Aufstieg und der Kampf und die Top 3 ausgerufen werden?

    Dass wir in Berlin und teilweise auch durch die Fussballlandschaft in Deutschland ein stetes Echo dieses Mantra zurückbekommen, wie Wellen in einem engen Kanal – das ist vllt neu.

    Ich habe etwas Sorgen, wie die Stimmung am Samstag sein wird. Habe Angst vor wenig reflektierter Meinung und Populismus. Zum anderen hoffe ich einfach auf Beruhigung. Jeder hat nun seinen Senf dazu gegeben.

    Zum Thema Stallgeruch – aktuell finde ich es gut. Die Reihen schließen ist sicherlich nicht das schlechteste. Es werden bei weiterem Misserfolg weitere Schlagzeilen kommen und ein Umbruch erfolgen, bei dem wir starke Mauern brauchen.

    Für Lämmel freut es mich und hoffentlich kann er sich dort gut entwickeln.

  3. danke Sebastian: ich halte das Interview von Zingler im Kicker, mit der Wortwahl wie er sie getätigt hat für verheerend, der Versuch auf Presseartikel wie den hier schon auseinander genommenen der Bild zu reagieren ist nach hinten los gegangen, ich persönlich weiß noch nicht ob ich am Samstag überhaupt Lust habe am Weihnachtssingen teil zu nehmen, es kommt mir gerade so vor als ob jemand meine über 30 Jahre andauernde Liebe vergewaltigt hat!

  4. Auf der einen Seite ist die Aussage von D. Zingler, dass man sportlich ehrgeizige Ziele formulieren muss, um z.B. gute Spieler und potente Sponsoren zu bekommen, schon nachvollziebar.
    Auf der anderen Seite ist aber vollkommen offensichtlich, dass der Umgang mit diesen Zielen, völlig in die Hosen ging. (Noch 4 Punkte Vorsprung auf Platz 15 sprechen da eine deutliche Sprache)
    Und zwar offenbar nach innen *und* nach außen.
    Da sollten dann also nicht nur die Trainer, sondern z.B. auch die „PR – Abteilung“ hinterfragt werden.

  5. Mich erstaunt auch warum der verein an dieser stelle so ungeschickt agiert. Erst wird das große PR-Interview mit AFTV gemacht, um dann wenige Tage später im Kicker noch einmal einen ganz anderen Zungenschlag ins Spiel zubringen. Ich denke da läuft kommunikativ eine Menge schief zur Zeit.

    Zum Thema Torwarttrainer: Eine Entscheidung die ich begrüße. Als Jakob Busk als U21-Nationalspieler bei uns aufschlug, war er richtig stark. Nicht umsonst wurde Daniel Haas durch ihn sofort aus dem Tor verdrängt. Dann stagnierte die Leistung von Jakob aber eher – der Wegfall der U21-Einsätze hat seine Entwicklung auch nicht unbedingt positiv befördert. Ich würde mich freuen wenn Gspurning es schafft hier wieder leitungsfördernder zu wirken, damit unsere Nr. 1 min Zukunft noch besser wird. Davon kann dann auch Lennart Moser profitieren. Mesenhöhler sehe ich zukünftig eigentlich schon bei einem anderen Club. Für sein Alter kann er nicht ewig die Nr. 2 bleiben.

  6. Wir stehen nach jedem Spiel für ein zwei Stunden an der Bierbude. Das Fazit ist immer: die Jungs KÖNNEN es nicht besser. Platz 4 bis 10 wird der Normalfall sein. Ob das nun die beste Mannschaft sein sollte oder nicht. Das wichtigste ist aber, WIR kommen immer wieder. Eisern.

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