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Lasst mich! Ich bin erschüttert.

Das erste Interview, das ich jemals für’s Textilvergehen geführt habe, war eines mit Holger Bahra. Ich war jung jünger, ich wusste nicht, wie Interviews funktionieren, aber ich wusste ganz sicher, dass mich interessiert, was ein Torwarttrainer zu sagen hat. Und gerade dieser Tortwarttrainer hatte eine zackige, geradlinige Art, mit der ich viel anfangen konnte. Es wurde eventuell nicht das beste Interview aller Zeiten, und alles, was daran gut ist, hat Holger gut gemacht. Wann immer wir uns in der Folge am Rande eines Fußballspiels oder Trainings gesehen haben, war Zeit für einen kurzen Gruß, ein Lächeln, ein Kopfnicken. Im normalen Leben nichts außergewöhnliches, im Profifußball keine Selbstverständlichkeit. Dieselbe Art von Höflichkeit war Jan Glinker zueigen. Sie ist deshalb sehr wohltuend, weil der Umgang von Fußballspielern und Presse nicht immer konfliktfrei verläuft.

Holger Bahra
Foto: Matze Koch

Heute wurde Holger Bahra, dessen Vertrag nur noch bis zum Saisonende läuft, mit sofortiger Wirkung freigestellt. Die Begründung ist gewohnt kryptisch.

„Aufgrund vieler Veränderungen in den letzten Monaten war jedoch die Basis für eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr gegeben, deshalb haben wir diesen Schritt jetzt vollzogen.“

Mich hat das überrascht, erschüttert und auf eine schwer zu fassende Weise traurig gemacht.

Der Ruf nach einem anderen Torwarttrainer ist nicht neu. Es gab ihn bereits, als der Cheftrainer noch Uwe Neuhaus hieß. Vermutlich hat Norbert Düwel auch hierbei alles richtig gemacht. Er hat abgewartet, sich alles in Ruhe angesehen, ausprobiert und dann entschieden. Der Satz „Unions Torhüter entwickeln sich nicht mehr weiter“ fiel in der Vergangenheit ein ums andere Mal. Ich kann das ebensowenig beurteilen wie die meisten anderen, die dazu eine Meinung haben. Nur soviel: Ich stelle selten sportliche Entscheidungen infrage. Auch diese nicht. Während zuvor in der Regel der Torhüter gewechselt wurde, trifft es dieses Mal beide, den Torhüter und seinen Trainer. Daniel Haas geht auf die Bank. Holger Bahra nimmt seinen Hut.

Holger Bahra
Foto: Matze Koch

Trotzdem sind einige dieser Entscheidungen schwer verdaulich. Sie sind nicht falsch. Sie sind bloß schmerzhaft. Wie Paare im Freundeskreis, die sich trennen, aber gestern noch zusammen auf ’ner Party waren. Man hatte ja nichts geahnt! Am Sonntag war doch noch alles gut! Nein. War’s wohl nicht. Aber woher soll ich das denn wissen, verdammt?!

Ich vermisse mit Holger Bahra einen außerordentlich korrekten Sportler, der mein zu-Union-gehen sehr bereichert hat. Danke!

12 Kommentare zu “Lasst mich! Ich bin erschüttert.

  1. So eine Trennung vom Torwarttrainer wird manchmal teurer als vom Verein angenommen. Bei Hertha war man im Mai 2013 der Meinung, Christian Fiedler nur die ausstehende Vertragslaufzeit bezahlen zu müssen. Das Arbeitsgericht Berlin hat entschieden: 1) Ist das ausstehende Gehalt zu bezahlen 2) Es ist eine Abfindung fällig, die der Anstellung von Fiedler im Verein entspricht. Da Fiedler 22 Jahre bei Hertha war, summierte sich das Paket, das Hertha zu bezahlen hatte, auf 579.000 Euro. Man darf gespannt sein, wie Holger Bahra – seit zehn Jahren bei Union angestellt – und sein Anwalt mit der Freistellung durch den Arbeitgeber umgehen

  2. Ja, da bin ich sehr gespannt. Auch wenn Union, gespeist aus vielen Niederlagen vor Arbeitsgerichten, mittlerweile dazu übergangen ist, bereits in die Verträge mögliche Abfindungen zu schreiben. Deshalb war die Entlassung von Neuhaus zwar nicht preiswert, aber jeder wusste, wie teuer sie genau werden würde. Mal sehen, wie das jetzt aussieht.

  3. Nenn mich Fußball-Romantiker. Das bin ich gern. Denn mir ist es sogar egal, ob die Entscheidung richtig ist. Denn Stück für Stück entfernt der 1. FC Union selbstständig Union-Herz. Vielleicht ist der Klub damit vermutlich erfolgreicher als früher. Aber eben nicht mehr so liebenswert wie einst. Und das finde ich schade. Einfach schade.

  4. @sebastian Selbst wenn ein Verein Klauseln im Vertrag unterbringt: Im Fall einer vorzeitigen Vertragsauflösung wird die Summe X fällig – Arbeitsgerichte erkennen diese Klauseln nicht an. Aber natürlich überlegt man sich als Trainer, der in der doch überschaubaren deutschen Profi-Branche noch mal unterkommen will, ob er seinen ehemaligen Arbeitgeber verklagt – und welche Auswirkungen das für künftige Engagements bei anderen Vereinen hätte.

  5. Hallo Stefanie,

    insgesamt sprichst du mir aus dem Herzen. Danke dafür.
    Allerdings, wenn du im Absatz vorher selbst eingestehst, die Dinge nicht wirklich beurteilen zu können, wie kommst du dann nächsten Absatz zu dem Schluss, das die Entscheidungen NICHT falsch seien?
    Ich weiß es auch nicht, mich bekümmert das Ganze jedoch ähnlich wie es vor mir „memme“ beschrieb.

  6. Hallo Chris, gern geschehen ;) „Nicht falsch“ heißt für mich etwas ganz einfaches: Solange ich es nicht besser weiß, nehme ich die Entscheidung als nach bestem Wissen getroffen hin. Es ist richtig, etwas zu verändern, das man als falsch erkennt. (Selbst dann, wenn es sich im Nachhinein als Irrtum herausstellt.) Das ist die originäre Aufgabe eines Trainers. Fehler identifizieren. Fehler abstellen. Eine undankbare Aufgabe, bei der selten Herzen gewonnen werden. Aber ich sehe gleichzeitig das, was Du schreibst, und auch @memme. Ich nehm´s persönlich.

    Lieber Uwe, ich weiß, Du bist da vorbelastet – meine stille Hoffnung ist ja, dass Union aus Fehlern gelernt hat und sich erst sauber einigt und dann verkündet. Bleibt abzuwarten.

  7. Schade, dass es nicht mehr bis zum Ende reicht…wir reden hier von knapp 2,5 Monaten bis zum Saisonende. Das lässt für mich einen faden Beigeschmack. Bis zum Vertragsende hätte man ihn auch dem letzten Spieltag bis zum 30.06. freistellen können.

    War es nun die Ansage Konsequenzen aus den Fehlern zu ziehen und damit Haas verantwortlich zu machen und somit gleichzeitig auch den TW-Coach oder das Grundsätzliche „professionalisieren“ womit alles erklärt wird, beides reicht mir als Erklärung/Befriedung nicht.

    Für mich ist das ein weiterer Schritt um die Masse an die neuen Gepflogenheiten zu gewöhnen. Sei es nun dieses permanente rumwechseln in der Startelf oder das durchbringen unpopulärer Entscheidungen, vieles spricht für einen neunen Wind, wie er schon beim Amtsantritt von Norbert Düwel zu merken war. Es wird nicht sympatischer…Wahrscheinlich soll alles nur toller und glatter werden um in diesem Profigeschäft zu bestehen.

    Mich würde interessieren ob es Stimmen von Holger Bahra dazu gibt? Steffi könnte doch mal nachfragen. Vielleicht irre ich mich und er wollte sich das nicht mehr antun?

  8. Wie Paare im Freundeskreis, die sich trennen, aber gestern noch zusammen auf ‘ner Party waren. Man hatte ja nichts geahnt! Am Sonntag war doch noch alles gut!

    U.a. wegen solcher lebensnaher Vergleiche liebe ich Deine Texte, Steffi, auch wenn mir Namen wie der von Holger Bahra bis gestern Vormittag gänzlich unbekannt waren.

  9. […] Tage zusammen + + + Träne im Knopfloch: Nach der Entlassung von Unions Torwarttrainer Bahra (textilvergehen) + + + Polemik: Für die tägliche Portion Übertreibung muss man nur dem Präsidenten eines […]

  10. Honigkuchenpferd

    Wir Fußballfans neigen immer ein wenig zum vorpommerschen Stil der Weiterentwicklung.
    Was gestern gut war muss übermorgen auch noch gut sein, das haben wir immer schon so gemacht. Waldläufe, Medizinbälle, Quälerei, markige Sprüche, Grasfressen, Eisenstollen und schwere Ledertöppen. Somit hängen wir immer gern an einer Trainergeneration die das ausstrahlt obwohl wir ahnen, dass so etwas schlichtweg am Aussterben ist. Und so ist das dann eben auch mit Systemen und Aufstellungen. Flexible Systeme die sich auch während des Spiels der Situation anpassen können sind gefragt. Damit entstehen natürlich auch neue Spielertypen, Typen die diese Variabilität auch im Kopf haben – das gilt auch für das Torwartspiel. Die Torwartausbildung ist extrem komplex geworden, einfach nur Bälle fangen und Paraden auf der Linie reichen nicht mehr. Früher nur letzte Rettung, organisiert er nun die Abwehr, ist letzter Mann und eröffnet das Spiel. Dem muss Rechnung getragen werden.

  11. Hallo Philipp, nein, es wäre sehr ungewöhnlich, wenn es dazu „andere Stimmen“ gäbe – dann würde ich mir tatsächlich Sorgen machen. Ich würde dazu keine andere Auskunft bekommen als jeder andere. Das hat auch was mit einem geordneten Arbeitsverhältnis (und dessen Beendigung) zu tun. Ich hoffe, dass das öffentliche Beschuldigen wie nach dem Weggang von Tusche ausbleibt. Und dass beide Seiten vernünftig und ohne Schaden einen sauberen Schlussstrich ziehen können. Das geht aber eben nicht im Licht der Öffentlichkeit.

    Im Grunde hat Sebastian das in der heutigen Presseschau sehr gut zusammengefasst: Diese Veränderung stand schon sehr lange im Raum. Es ist gar keine spezielle Norbert-Düwel-Geschichte. Andere Trainer bringen von vornherein ihren eigenen Co und Torwarttrainer mit, was im Falle ihres Scheiterns jedesmal riesige Lücken reißt. Norbert Düwel hat sehr viel weniger verändert, als es jeder andere getan hätte. Dass ihm ausgerechnet das zum Nachteil gereicht, ist falsch herum gedacht.

  12. Hi Steffi,

    Veränderungen sind gut und müssen sein. Das sehe ich ganz pragmatisch. Allerdings müssen sie eine Begründung haben und die sehe ich weder beim Wechsel von Haas auf Amsif noch bei der Freistellung von Bahra. Eher wird ein Sündenbock ausgemacht. Ich finde hier gräbt man sich selber Fallen und tut so als wäre es normal. Eine Freistellung ist nicht zwingend normal aber das nur meine exklusive Meinung. Hier hätte es eine bessere Lösung geben können.

    Zu dem Argument, dass Norbert Düwel seine Trainer nicht gleich mitgebracht hat kann auch nur mal kurz festgehalten werden, dass er auch kein bestehendes Team hat worauf er aus seinen alten Anstellungen zurückgreifen kann. Dafür ist er doch noch eine graue Maus, die sich jetzt ihren Namen macht. Dafür ist er auch verantwortlich, da er die Entscheidung mit trägt. Im Übrigen ebenso wie Zingler und Geschäftsführung.

    Wenn der Verein sich gegen RB so aufstellt, dann sollte er sich auch gegen solche Abwicklungen scheidender Mitarbeiter stellen. Da erwarte ich zumindest einen anderen Umgang.

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