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Der Mythos vom Punkrockverein.

Zwei Filme über den FC St.Pauli liefen gestern auf dem 11mm-Festival. Zuerst „Kiezkick und Punkrock“, danach „Das ganze Stadion“ (beide 2011). Abgeschlossen wurde die Veranstaltung mit einer vom Futiklub geführten Gesprächsrunde. Als Gäste saßen Markus Lotter,Tim Gorbauch (Regisseur von „Kiezkick und Punkrock“) und einer der St.Pauli-Fans, die in dem zweiten Film zu Wort kommen, mit auf dem Podium.

Kiezkick und Punkrock

Perfekt durchdesignt. Ob es die Zwischentitel sind, der Soundtrack, der Stadlober als Sprecher, die Auswahl der Interviewpartner – an diesem Film stimmt alles bis in letzte Detail, und schön anzusehen ist es auch. Nur den „Mythos St.Pauli“ versteht man danach noch weniger als zuvor. Alles ist so glatt und aufgeräumt, eine ordnungsgemäße Punkvergangenheit kann man vorweisen, ein korrektes politisches Betragen legt man heute an den Tag. Thees Uhlmann bringt das auf den Punkt, wenn er sagt, wenn er soviel Geld hätte wie Peter Fox, würde er sich eine Loge kaufen, und dort kommunistische Flugblätter verteilen. Das ist sicher sympathisch, aber eben auch salonkommunistisch gedacht. Nur in Ansätzen werden die Brüche verständlich, die Schwierigkeiten, mit denen sich die Fanszene am Millerntor heute auseinandersetzt.

Die Idee des Films, langjährige Wegbegleiter des Vereins sprechen zu lassen und anhand dessen eine Entwicklung zu dokumentieren, ist gut und nachvollziehbar. Damit wird aber auch suggeriert, es habe zu jeder Zeit einen Prototyp des St.Pauli-Fans gegeben. Und wer sich nicht mehr identifizieren kann, geht eben zu Altona 93. Die Macher des Films spüren den gängigen Klischees nach, die man so im Kopf hat, wenn man St. Pauli hört, und finden sie alle bestätigt. Eine lebhafte linke Szene, Punkrock, Viva con agua und Scheiß-HSV. Vorgeblich einzigartig, aber bei genauem Hinsehen eine Mischung der Adjektive, die auch Fortuna Düsseldorf und Babelsberg 03 anhängen. Bis auf den HSV.

Enstanden ist ein handwerklich exzellenter Film, der St.Pauli zeigt, wie man den Club von außen wahrnimmt. Man wird den Eindruck nicht los, hier würde ein Produkt beworben. Die makellose Gestaltung passt dabei sehr gut zu dem Image, dass der Verein -berechtigt oder nicht- heute trägt. „Die Zecken mit den iPhones“ nannte ein befreundeter St.Pauli-Fan das einmal, und es wäre vielleicht der bessere Filmtitel gewesen. Ob die Darstellung dem Verein gerecht wird, ob man sich darin wiederfindet, müssen diejenigen beurteilen, die alle zwei Wochen ins Millerntorstadion gehen. Die Meinungen dürften geteilt sein.

Das ganze Stadion

Wenn man „Das ganze Stadion“ unmittelbar nach dem „Kiezkick“ sieht, fällt es schwer zu glauben, dass es um denselben Fußballclub geht. Die Herangehensweise der Filmemacher ist wesentlich einfacher als in den ersten Film, dabei viel konzentrierter und fördert erstaunliches zu Tage. Ein gesamtes Spiel wird mit mehreren Kameras aufgezeichnet, wobei die Kameras ausschließlich auf die Zuschauer gerichtet sind. Es werden nicht so sehr einzelne Charaktere herausgehoben, sondern Personen werden immer als Bestandteil einer Gruppe gezeigt.

Diese Gruppen sind recht unterschiedlich in ihrem Verhalten und ihren Ansichten. Das macht die Spannung des Filmes aus. Die Ultras in Szene zu setzen, um Stimmung zu illustrieren, ist inzwischen Bestandteil jeder Fußballübertragung. Das fehlt auch hier nicht. Beim Torjubel aber in der Kabine der komplett gefühlsfreien Polizeibeobachter zu filmen, ist ein ungewohntes Bild. Davon gibt es einige. Das Spiel aus der Sicht zweier Bierbecher, die recht unbeschadet durch die Menge wandern und zuverlässig ihr Ziel erreichen. Die Jungs, die zugleich Fanradio und Audioguide bespielen und normaler Weise wohl zu hören, aber nicht zu sehen sind. Stinknormale Fans, die stinknormale Gespräche führen. Ein Transparent „Hände weg vom Fanladen“ wird entrollt, zugleich wird „Ich geh mal Bier holen“ als Ton eingefangen. Eine nicht mehr ganz junge Frau, die trotzdem lieber stehen als sitzen möchte, denn „Du kuckst ja keinen Liebesfilm, da auf dem Platz“. Zuschauer auf den Sitzplätzen. Das Publikum der VIP-Lounge, wo das Bier einen weniger holprigen Weg hat und vom Kellner angereicht wird. Ein hektischer Kameramann vom Sportfernsehen, der angespannt das Spielgeschehen verfolgt. Aus diesen Bildern lässt sich ablesen, wie vielschichtig Fußballpublikum ist, auch und gerade bei St.Pauli. Denn alle Gruppen stehen für unterschiedliche Interessen. Das, was sie verbindet, ist viel weniger als angenommen. Der Spagat zwischen dem faktisch etablierten Profiverein und dem Slogan „non established since 1910“ wird greifbar und auch Außenstehenden verständlich.

Wem die Bilder und Töne aus dem Stadion dazu nicht ausreichen, der bekommt als schöne Zugabe ein Intro und ein Outro aus dem Off. Ohne die Sprecher zu zeigen, wird auf jeder Seite des Stadions nach Meinung geforscht. Auch hier setzt der Film eher darauf, das Spektrum abzubilden, als „die eine Wahrheit über St.Pauli“ herausfiltern zu wollen. Wiederum stehen die Zitate stellvertretend für verschiedene Gruppierungen, so dass es folgerichtig ist, die Gesichter der Sprecher nicht ins Bild zu bringen. Es gibt welche, die die Kapelle gut finden und andere, die es nicht tun. Es gibt welche die sagen, VIP-Plätze sind nötig, weil Geld verdienen wichtig ist, und andere, die mehr Stehplätze einfordern. Es gibt Stimmen, die klar politisch motiviert sind, und solche, die wegen Fußball und Bier da sind. Und die Polizeieskorte ausgenommen sind das alles Fans des FC St.Pauli.

Man muss sich nicht einmal für St.Pauli interessieren, um diesen Film zu schätzen.

Die Futiklub-Gesprächsrunde

Die anschließende Gesprächsrunde war vor allem deshalb interessant, weil die Verständnislücken, die zwischen Spielern, Fans und Sportjournalisten klaffen, in selten gesehener Klarheit zu Tage traten. Dem Futiklub ist hoch anzurechnen, dass in der Runde überhaupt ein Fan zu Wort gekommen ist. Das Interesse beider Seiten, sich gegenseitig etwas zu erklären, tendiert im Normalfall gegen Null. Eine Fanfilmbesprechung ohne Fans wäre andererseits auch absurd. Mit Markus Lotter hatte man zudem einen ehemaligen Spieler auf dem Podium, der ins journalistische Fach gewechselt ist.

Während Lotter zu Protokoll gibt, es habe eine gewisse Pflicht bestanden, mitzumachen, merkt man ihm an, dass er kein großer Freund der Mitbestimmung durch Fans ist. Man sei ausgegrenzt worden, wenn man nicht auf Seiten der Fans stand und Widerworte gegeben habe. Und ein Stück weit versteht man ihn sogar. Der Profifußballer kann nicht gegen Kommerzialisierung sein, er kann nicht zweite Liga spielen wollen, wenn erste Liga möglich wäre. Höher, schneller, weiter durchzieht sein Leben. Wettbewerb bestimmt sein Arbeitsumfeld. Die Bedingungslosigkeit, mit der Fans einem Verein anhängen, wäre für Spieler tödlich. Markus Lotter und St.Pauli waren nach seiner Schilderung denn auch alles andere als ein Traumpaar.

Tim Gorbauch, der Regisseur von „Kiezkick und Punkrock“ wollte herausfinden, was St.Pauli zu etwas besonderem macht. Ein Fan sei er nicht, sagt er von sich selbst. Für ihn war die Musik ein wesentlicher Punkt, der ihn ausgerechnet zum Kiezclub geführt hat. Dass ihn seine Recherchen nicht über einen bestimmten Punkt hinaus geführt haben, räumt er selbst auch ein. Die Ultras kommen nicht ohne Grund in dem Film nicht vor. Damit bleibt ein markanter Teil der Fankultur außen vor.

Der junge Mann, der als „jemand aus der Kurve“ vorgestellt wird und gewissermaßen namenlos bleibt, leistet die aus Fansicht interessantesten Gesprächbeiträge. Er erklärt St.Pauli von innen – ein Bollwerk von Gremien, von fordernden Fans und vermittelt einen Eindruck von der Anstrengung, die ein Verein unternehmen muss, das alles zusammenzuhalten. Sozialromantiker sei er, sagt er von sich selbst. Die Forderungen, die von dieser Seite an den Verein herangetragen werden, klingen viel zu vernünftig, um romantisch zu sein. Konsequenz ist es, die verlangt wird. Entweder ein beliebiges Stadion vor den Toren der Stadt mit Parkplätzen und Logen, soviel man verkaufen kann. Wer das nicht will, muss eine sozialverträgliche Art finden, Geld zu verdienen und Businessseats zu normalen Sitzplätzen zurückbauen. Ganz nebenher räumt er mit der putzigen Idee auf, dass Punk der zweite Vorname von St.Pauli ist. Der Verein habe eine typische Entwicklung genommen, sinnbildlich „Das sind Punks, die heute Bioläden aufgemacht haben“. Wer genau zuhört, erfährt, wo und wie bei St.Pauli eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Verhältnissen stattfindet. Den Herren auf dem Podium gelingt das nur mäßig. Sie können sich nicht vom offiziellen Bild des Kultklubs mit sozialem Anstrich lösen.

1 Kommentar zu “Der Mythos vom Punkrockverein.

  1. […] bis euphorisch mit den Filmen zum Liga-Konkurrenten “FC St. Pauli” um. Der Hinweis zum “Mythos vom Punkrockverein” klingt vielleicht nur einmal zu oft durch und der Wille zur Entzauberung hält sich in engen […]

Schreibe einen Kommentar zu Brandenburg daily – Blick auf Blogs am 12.03.2012 | world wide Brandenburg Antworten abbrechen

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