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Ruhe bewahren

Fantreffen. Es ging um das Thema „Fußball und Recht“. Und neben dem Moderator Tino Czerwinski nahmen noch der Sicherheitsbeauftragte des 1. FC Union Berlin, Sven Schlensog, Mario Bartels von der Einsatzgruppe Hooligans der Berliner Polizei und der Rechtsanwalt Dirk Gräning teil. Gräning hat im Vorfeld in einem Dossier häufige Tatbestände aufgeschlüsselt und an Beispielen erläutert.

Die Reizthemen sind klar: Wer legt fest, was ein Risikospiel ist, und was bedeutet das eigentlich? Wie kommt es zu Stadionverboten, und welche Möglichkeiten gibt es, dagegen vorzugehen? Wer wird in das Zentralregister Gewalttäter Sport aufgenommen, und wie kommt man da wieder raus? Die Stimmung ist umso gereizter, je jünger die Anwesenden sind. Der Moderator versucht, die verkrampfte Stimmung etwas zu lockern, indem er eigene Erfahrungen anbringt. Allerdings hinken die Anekdoten, da sie größtenteils in der DDR spielen und damit in einem komplett anders verfassten Staat. Dass gerade Berliner es in der DDR nicht einfach hatten, wenn sie sich außerhalb der Hauptstadt bewegten, kommt hinzu. Daher kamen diese Erzählungen – und das ist nicht despektierlich gemeint – an, als ob Opa vom Krieg erzählen würde.

Risikospiele

Interessant, wenn auch im Kern nicht hilfreich für die Belange der einzelnen Anhänger, waren die Ausführungen von Sven Schlensog, wie es zu den Einschätzungen von Risikospielen kommt. In einer Sicherheitsberatung wird der Erkenntnisstand des Vereins und im Zweifelsfall der der Berliner Polizei und des Gastvereines ausgewertet. Dazu kommt eine Umfrage vor der Saison durch den DFB, in der die einzelnen Vereine gebeten werden, die zu erwartenden Gastvereine und das Verhältnis zu beschreiben. Es liegt dabei auf der Hand, dass diese Einschätzung durch den Saisonverlauf immer überholt wird. Der Entscheidung „Risikospiel“ folgen dann eine bis mehrere Sicherheitsbesprechungen mit der Polizei. Dabei kann es sein, dass dem für den 1. FC Union Berlin zuständigen Abschnitt 66 die Vollmacht für den Einsatz entzogen und an eine andere Stelle vergeben wird. Es ist also nicht so, dass die Personen bei Polizei und Verein, die sich von der Arbeitsebene gut kennen, zwangsläufig auch beim Einsatz bzw. bei den Sicherheitsbesprechungen miteinander zu tun haben werden.

Auch das Spiel gegen den FC St. Pauli wird ein Risikospiel sein. Denn ein Risikospiel muss nicht aus einer Rivalität der Fangruppen herrühren. In diesem Fall sei es ein Risikospiel aus organisatorischer Sicht, erklärt der Sicherheitsbeauftragte. Im Blickpunkt steht dabei das ausverkaufte Stadion an der Alten Försterei und die damit verbundenen Anforderungen bei der An- und Abreise. Außerdem das Unwissen, ob Karten aus dem Heimkontingent nach Hamburg verkauft wurden. Dies könne bei entsprechendem Verlauf der Partie unerfreuliche Auswirkungen haben. Aus polizeilicher Sicht würde noch das politische Engagement der Anhänger St. Paulis eine Rolle spielen. Dies allerdings nicht rund um das Fußballspiel, sondern in der Beobachtung der Gästefans nach dem Spiel. Was der Beamte von der Einsatzgruppe Hooligans damit meinte, ließ er offen.

Aus der Einschätzung Risikospiel ergeben sich unterschiedliche Auflagen. Dies kann eine Kapazitätseinschränkung des Stadions sein, eine Erhöhung der Ordnerzahl oder ein Alkoholverbot im Stadion. Interessanter Fakt dabei: Der DFB untersagt prinzipiell den Alkoholausschank bei Spielen der oberen Ligen. Allerdings gebe es Ausnahmeregelungen. So habe laut Schlensog der 1. FC Union eine Ausnahmegenehmigung erhalten die als Auflage vorsieht, bei Wünschen durch die Polizei den Ausschank einzuschränken. Zusätzlich zu den Vorkehrungsmaßnahmen gibt es meist vor der Stadionöffnung noch eine kurze Besprechung, die auf die Witterung und die Anreise der Gästefans Bezug nimmt.

Was bei dem betriebenen Aufwand etwas wundert: Es gibt keine vorgeschriebene Evaluation der getroffenen Maßnahmen nach dem Spiel. Diese betreibt die Polizei zum Beispiel alleine. Jeder kennt die Argumentation der unterschiedlichen Polizeigewerkschaftler, die bei Vorfällen von zu wenig Einsatzkräften sprechen und bei ausbleibender Eskalation dies der Präsenz der eingesetzten Polizeibeamten zugute halten. Gerade um dieser Law & Order Sicht etwas entgegenzusetzen, wäre eine sachliche Überprüfung der getroffenen Maßnahmen nach Risikospielen sinnvoll. Sven Schlensog schloss mit der Bemerkung, dass er aus heutiger Sicht bestimmten Wünschen der Polizei nicht mehr unbedingt Folge leisten würde, da diese anderweitig zu einer Gefährdung der Zuschauer führen könnten.

Platzverweis

Was die Gäste beim Fantreffen wirklich umtrieb, waren allerdings Maßnahmen, von denen sie im Einzelfall selbst betroffen sind. Zunächst stellte Rechtsanwalt Gräning fest, dass durchaus eine vermehrte strafrechtliche und verwaltungsrechtliche Auseinandersetzung festzustellen sei. Prinzipiell bewege man sich als Fan, gerade bei Auswärtsfahrten in einer größeren Gruppe, in einem strafrechtlich gefährlichen Bereich. Dass ein seit Jahrzehnten als vermeintliches Kavaliersdelikt geltender Umstand wie Schalklau strafrechtlich als Raub verfolgt wird, erstaunte auch den Moderator. Aber jenseits davon gab Gräning Hinweise, wie man sich zum Beispiel beim Aussprechen eines Platzverweises zu verhalten habe. Es gibt dafür kein Widerspruchsrecht, sondern der ausgesprochene Platzverweis tritt sofort in Kraft. Zwar sollte man von dem jeweiligen Beamten Auskunft darüber bekommen, warum der Verweis ausgesprochen wurde, für welchen Zeitraum und Ort er gilt. Allerdings wurde von allen Beteiligten davon abgeraten, sich auf Diskussionen einzulassen, da ein Nichtbefolgen dieses Platzverweises bereits verfolgt würde. Der Platzverweis an sich hat noch keine Konsequenzen.

Stadionverbot

Stadionverbote betrachtet der Rechtsanwalt als verwaltungsrechtlichen Nebenaspekt, wobei die betroffenen Anhänger diesen als deutlich schwerwiegender wahrnehmen würden. Die Vereine werden mit der Akzeptanz der Lizenzunterlagen zu einer Kooperation mit der DFL und dem DFB gezwungen, die sich aus den Richtlinien zur Verbesserung der Sicherheit bei Bundesspielen ergibt. Diese Kooperationspflicht besteht momentan für die obersten vier Ligen. Bei Union wird laut Schlensog weitestgehend versucht, vor der Aussprache von Stadionverboten den Betroffenen eine Anhörung vor den Vereinsgremien zu ermöglichen. In eindeutigen Fällen würde allerdings das Stadionverbot ausgesprochen, und der Betroffene könne im Nachhinein auf eigenen Wunsch angehört werden. Auf keinen Fall würden diese Prüfungen, zu den die Anhörungen gehörten, wie bei anderen Vereinen durchaus üblich, an Kanzleien ausgelagert werden. In diesem Zusammenhang machte der Sicherheitsbeauftragte auf die momentane Situation aufmerksam, in der ein solches defensives Verhalten auf dem absteigenden Ast sei. Verantwortlich sei dafür die Spirale, an der zur Zeit Fans und Polizei drehten. Er mahnte daher zur Vorsicht, was jede Aktion betreffe, da sich damit vermeintlicher Regelungsbedarf für Politiker ergebe, die keine Berührungspunkte zum Thema Fußballfans hätten. Als Beispiel nannte er die Sitzung des Innenausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses nach dem Platzsturm im Olympiastadion.

„Gewalttäter Sport“

Ein weiteres Thema war die Erfassung von Personen bei der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze in der sogenannten Datei „Gewalttäter Sport“. Darin erfasst werden ein Katalog von Straftaten rund um Sportveranstaltungen. Auskunft über einen möglichen Eintrag bekomme man laut Bartels, indem man einen Antrag auf Auskunft beim jeweiligen Landeskriminalamt stelle. Unzufriedenheit mit der Datei in der praktischen Polizeiarbeit wird geäußert, da einige Dienststellen jede Straftat in der räumlichen und zeitlichen Nähe einer Sportveranstaltung dort erfassen würden. Damit würde diese Datei durch Datenmüll unbrauchbar. Ob das stimmt und welchen Nutzen diese Datei wirklich hat, war an diesem Abend nicht zu erfahren. Von Rechtsanwalt Gräning kam die beruhigende Auskunft, dass ein Eintrag in der Datei keinerlei Einfluss auf Verurteilung bzw. Strafmaß in einem Verfahren hätte.

Bei den Fragen war die Frustration vieler Anwesenden spürbar, die sich erhofft hatten, Klarheit zu Einzelfällen zu erfahren. Das funktionierte, wenn konkrete Sachverhalte unabhängig vom entsprechenden Einzelfall nachgefragt wurden. Woran zum Beispiel der Beamte zu erkennen sei, der bei einem Einsatz wirklich etwas zu sagen hätte. Dazu erklärte Bartels, der den ganzen Abend einen sehr ruhigen Eindruck machte, dass bei behelmten Polizisten dieser Beamte einen circa drei Zentimeter breiten Streifen auf dem Helm tragen würde. Bei unbehelmten Beamte sei dies schwieriger. Dort würde man diese an drei Kreisen auf dem rechten Arm erkennen. In der Diskussion war auch die Resignation spürbar, als Anwalt Gräning von den Verfahren nach einem von vielen als überhart empfundenen Einsatz in Paderborn erzählte. Zwar seien fast alle Verfahren eingestellt worden. Doch betreffe das auch die Verfahren gegen die Polizei, da nur wenige der Aufforderung nachgekommen seien, Video- und Fotomaterial als Beweismittel abzugeben. Für Aufsehen hatte in Paderborn gesorgt, dass lokale Einsatzkräfte einen Berliner Beamten der Einsatzgruppe Hooligan verletzten.

Zum Abschluss mahnte der Sicherheitsbeauftragte des Vereins nochmals mehrfach, Situationen vor Ort zu „entemotionalisieren“ und lieber im Nachhinein zu klären. Das hätte zwar nicht immer Aussicht auf Erfolg, würde aber auch nicht zu Lasten der Anhänger gehen. Bezeichnend, dass daraufhin ein emotionaler Disput zur Entemotionalisierung folgte.

Ein eigentliches Problem bei diesem ganzen Thema ist der mangelnde Respekt und das fehlende Verständnis von unterschiedlichen Seiten der anderen Seite gegenüber. Von polizeilicher Seite gibt es zum Beispiel bis heute aufgrund der föderalen Struktur keinen Ansprechpartner für bundesweit vernetzte Faninitiativen. Das ist eindeutig fehlender politischer Wille. Auch die Unfähigkeit, sich manchmal lieber zurückzunehmen, spielt in dem Konglomerat Fans, Verbände, Polizei, Medien und Polizeigewerkschaften eine große Rolle. Dazu konnte diese kleine Veranstaltung sicherlich nur wenig beitragen. Was sie aber durchaus geschafft hat, ist die Vermittlung von Wissen, wie bestimmte Entscheidungen zustande kommen. Ein Wunsch wäre, in Zukunft durchaus offensiver mit solchen Entscheidungen wie Risikospiel umzugehen und zu erläutern, aus welchem Grund welche Maßnahmen ergriffen worden. Dass den Anhängern der einzelnen Klubs dabei selbst eine gewichtige Rolle zukommt, überzogenen Forderungen den Wind aus den Segeln zu nehmen, ist leider noch nicht überall angekommen.

4 Kommentare zu “Ruhe bewahren

  1. Das war ja ’ne ordentliche Fleißarbeit, wa?
    Also: danke für die Zusammenfassung.
    Kleiner Kritikpunkt: „…neben dem Moderator Tino Czerwinski nahmen noch der Sicherheitsbeauftragte des 1. FC Union Berlin, Rechtsanwalt Dirk Gräning…“ klingt doch ein wenig missverständlich.

  2. @keano Danke für das Kompliment und noch viel mehr für den Hinweis auf die mißverständliche Aufzählung. Ist korrigiert.

  3. Interessanter Fakt dabei: Der DFB untersagt prinzipiell den Alkoholausschank bei Spielen der oberen Ligen. Allerdings gebe es Ausnahmeregelunge.
    Hui, dann gibt es in Hamburg 17 Ausnahmen + alle DFB Pokalspiele. Also beim HSV, im Stadtteilverein ist das glaube ich anders, weiß es aber nicht, gehe da ja nie hin…

  4. @nedfuller es gibt Dauerausnahmen (wie für Union auch), die an entsprechende Auflagen gebunden sind.

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