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Union schränkt Mitbestimmungsmöglichkeiten seiner Mitglieder ein

Am gestrigen 14.9.2021 kurz vor Feierabend überraschte Union seine Mitglieder mit der Mitteilung, dass das Präsidium einen Satzungsausschuss einberufen hat. Die elf Mitglieder dieses Ausschusses sollen das Präsidium zukünftig dahingehend beraten, welche Anträge auf die Tagesordnung der jährlichen Mitgliederversammlung gelangen und welche bereits im Vorfeld abgelehnt werden sollen.

Dies ist, in der angekündigten Breite, eine Aushöhlung der in der Satzung verankerten Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitglieder und eventuell sogar ein Bruch der geltenden Satzung in sich.

Die Satzung ist ein zentrales Gestaltungsinstrument der Mitglieder

Vereine sind als Rechtsform eine durchaus eigene Spezies. Zweckgebunden und per Definition 100% basisdemokratisch organisiert, bringen sie alle Vor- und Nachteile einer Organisation mit sich, deren Souverän alle Mitglieder sind. Dies ist auch bei Union nicht anders und ist in der aktuell gültigen Satzung des Vereins in §12, Satz 1 festgehalten.

Union Berlin Satzung
Die Passage der Vereinssatzung zur Aufgabe der Mitgliederversammlung.

Um die Geschicke eines Vereins im Alltagsgeschäft zu lenken, werden verschiedene Gremien eingesetzt, die sich an Satzung und Vereinsrecht zu halten haben. Den Inhalt der Satzung eines Vereins zu bestimmen, ist somit eine der wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten für die Mitglieder des Vereins. Alle Hürden, die vor dieser Gestaltungsmöglichkeit aufgebaut werden, gilt es mit besonderer Vorsicht zu errichten und umso größerer Vorsicht zu kontrollieren.

Den Vorstoß, die Anträge der Mitglieder, die auf der Mitgliederversammlung überhaupt auf die Tagesordnung kommen, im Vorfeld zu filtern, gab es letztes Jahr bereits mit einem in der Folge wieder zurückgenommenen Antrag des Aufsichtsrates, der ein ähnliches Gremium, wie jetzt als Ausschuss einberufen, noch als ständige Kommission in der Satzung verankern wollte. Dieser Antrag wurde noch vor Verschickung der Einladungen zur virtuellen Mitgliederversammlung wieder zurückgezogen – wie auch alle anderen Anträge. Die Idee an sich wurde aber anscheinend in der Folge aufrechterhalten und findet nun ihre Umsetzung im neu gegründeten Satzungsausschuss.

Kompetenzen und Arbeitskriterien des neuen Ausschusses sind unklar

Wie bei Union nicht erst in letzter Zeit üblich, wird auf Details über Funktion, Ablauf und Kriterien der konkreten Arbeit des Satzungsausschusses zunächst verzichtet. Das ist sehr schade, denn ein Kontrollgremium an einer solch wichtigen Stellschraube sollte nicht nur mit einem vagen Absatz in einer Pressemitteilung beschrieben werden. So bleiben eine Menge Fragen, die Anlass zur Sorge geben.

  • Nach welchen Kriterien werden die eingereichten Anträge gesichtet? Haben die Empfehlungen des Ausschusses bindende Wirkung für das Präsidium?
  • Welche Rechenschaftspflichten hat der neu gegründete Ausschuss und gegenüber wem?
  • Gibt es die Möglichkeit für Mitglieder bei Ablehnung eines Antrags nachzubessern?

Wenn es ein Gremium innerhalb des Vereins gibt, das ohne Klärung dieser grundsätzlichen Fragen, in einem intransparenten Prozess entscheidet, welche Anträge überhaupt zur Diskussion und Abstimmung gelangen, wird ein Hebel geschaffen, der so viel Mißbrauchspotential in sich trägt, dass es den eventuellen Nutzen mehr als zunichte macht.

In Phasen ohne große Konflikte geschaffene Institutionen können in anderen Zeiten zum Problem werden

Es gibt den Grundsatz in jeder Organisation, in „Friedenszeiten“ Strukturen zu schaffen, die in Krisenzeiten helfen und nicht schaden. Wir sind mit Union nun seit vielen Jahren unbestrittenermaßen in einer langen „Friedenszeit“. Änderungen an den Grundpfeilern der Gestaltungsmöglichkeiten sollten nicht ohne Not leicht absehbare Probleme für Krisenzeiten schaffen.

Bleibt die Frage nach der Intention der Einberufung dieses Ausschusses und den in meinen Augen kritischsten Teil. Die vagen Aussagen zur Einberufung und zu Arbeitsweise und Kriterien des Ausschusses, bieten in meinen Augen genug Grund, um zumindest einmal zu schauen, ob dieser Ausschuss und seine Aufgaben mit der aktuellen Satzung des Vereins vereinbar sind.

Der Weg für Mitglieder, Anträge zur kommenden MV einzureichen, ist in §13 der aktuellen Satzung sehr konkret geregelt. Dort heißt es:

Jedes stimmberechtigte Mitglied kann bis spätestens eine Woche vor einer Mitgliederversammlung beim Präsidium schriftlich eine Ergänzung der Tagesordnung beantragen sowie Anträge stellen.

Ebenfalls konkret geregelt sind die Möglichkeiten des Präsidiums, eingegangene Anträge nicht auf die Tagesordnung der Mitgliederversammlung zu setzen. §13, Satz 4 räumt dem Präsidium die Möglichkeit ein, eingegangene Anträge auf rechtliche Umsetzbarkeit zu prüfen. Eine inhaltliche Prüfung, die über rechtliche Umsetzbarkeit hinausgeht, ist nicht vorgesehen – fairerweise aber auch nicht explizit ausgeschlossen.

Sollte der Ausschuss als Organ des Präsidiums zum Zweck eingesetzt worden sein, die eingegangen Anträge auf genau diese rechtliche Umsetzbarkeit zu testen, sind erstaunlich wenig Anwälte als Gründungsmitglieder berufen worden. Dirk Zingler wird in der Vereinsmitteilung mit den Worten zitiert: „Im Falle einer durch den Ausschuss als notwendig erachteten Änderung möchten wir der Mitgliederversammlung eine gute Entscheidungsgrundlage für eine Beschlussfassung zur Verfügung zu stellen“.

Verletzt die Aufgabe des neuen Gremiums die bestehende Satzung und hölt es Mitbestimmung aus?

Trotz der vagen Formulierung, ist es wohl fair anzunehmen, dass hier durchaus eine inhaltliche Bewertung der Anträge stattfinden soll. Inwiefern das mit der aktuellen Satzung vereinbar ist, lohnt es sich vermutlich nochmal rechtlich zu prüfen.

Union Präsident Dirk Zingler
Unions Präsident Dirk Zingler auf der Mitgliederversammlung 2019. Photo: Matze Koch

So oder so bleibt ein bitterer Nachgeschmack darüber, dass hier ohne offensichtlichen Grund ein Gremium geschaffen wurde, das eine in meinen Augen zumindest fragwürdige Funktion mit sehr breit aufgestellten Kompetenzen erhält. Wie bei Union üblich gibt es keinerlei Aussagen zu Transparenzen in der Arbeit dieses Gremiums, was eine Einschätzung zusätzlich verkompliziert.

So gibt es für die möglichen Folgen dieser Entscheidung ein Spektrum, das von der Ablehnung aller mißliebigen Anträge ab sofort einerseits bis zur der simplen Sortierhilfe angesichts einer Antragsschwemme durch die sprunghaft gestiegenen Mitgliederzahlen reicht. Ohne klare Definition und öffentlich einsehbare Kriterien für die Arbeit eines solchen Organs, die im besten Fall durch die Mitgliederversammlung bestimmt und angepasst werden können, ist seine Schaffung in meinen Augen eine Aushöhlung der Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitglieder des Vereins.

13 Kommentare zu “Union schränkt Mitbestimmungsmöglichkeiten seiner Mitglieder ein

  1. Ich betrachte das alles von außen und das schon länger.
    Bin selber Mitglied in einem Verein.

    Ein Gremium einzusetzen, damit Satzungsänderungen, Kandidatenaufstellung oder ähnliches vorgenommen werden, kann meiner Meinung nach nur angedacht werden, um Kontrolle auszuüben.
    Die einzige Chance ist: Transparenz. Es muß klar sein, welche Anträge gestellt worden sind und warum ein Antrag abgelehnt bzw. zur Abstimmung zugelassen wurde.
    Ich bin sehr gespannt und werde es hoffentlich hier verfolgen können.

  2. silberhacke

    ja. vielen dank!
    in jedem fall haben wir es hier mit einem filtergremium zu tun. und es ist nicht gerade dünn besetzt – erstaunlich, sind wir doch erst heute darüber informiert worden, dass an anderer stelle das personal fehlt.

    • Filtergremium beschreibt es eigentlich ganz gut. Den Sinn kann ich auch ganz gut nachvollziehen wenn es denn im Zusammenhang mit der gewachsenen Mitgliederzahl steht. Auf jeden Fall gab es die Möglichkeit dazu, siehe Paragraph 25, Absatz 1: Das Präsidium kann Ausschüsse und Arbeitskreise zur Unterstützung der Präsidiumsarbeit bestellen.
      Das hinterfragen dieses Ausschusses sollte auf jeden Fall bestehen bleiben. Die Option solch einer Gründung durch das Präsidium bleibt davon unberührt. Schließlich unterliegen alle Aufgaben und Entscheidungen zum Wohle des Vereins. Auch stellt sich mir die Frage, ob wir bis dato immer alle Anträge vorab gesehen haben. Kann das jemand beantworten?

  3. Maria Draghi

    „Paragraph 25, Absatz 1: Das Präsidium kann Ausschüsse und Arbeitskreise zur Unterstützung der Präsidiumsarbeit bestellen.“

    Gehört es zur Arbeit des Präsidiums, über Anträge auf der MV zu entscheiden? Ich denke, inhaltlich nein. Das ist Aufgabe der MV. Aufgabe des Präsidiums ist, formale Kriterien zu überwachen, die Entscheidungen selbst aber der MV zu überlassen. Von daher ist die Stoßrichtung des Ausschusses Klar – alles vom Präsidium unerwünschte vom Verein fernzuhalten.
    Ich denke, dass dieser Schnellschuss juristisch kaum haltbar sein wird. Vermutlich setzt das Präsidium darauf, dass ein Großteil der Mitglieder gerade mit Europokalreisen intellektuell an der Kapazitätsgrenze unterwegs ist.

  4. Ist es nicht so, dass bereits zuvor Anträge vom Präsidium abgelehnt werden konnten und bestimmt auch sind?

    Ich sehe diese Gremium als Entlastung für das Präsidium selbst und als Möglichkeit wichtiges (was auch immer das is) von bullshit zu filtern.
    Es sind recht viele verschiedenen Menschen im Gremium vertreten.
    Viele Köche verderben den Brei, aber führen auch meist zu Diskussionen.
    Sprich: ein Gremium aus vielen Mitgliedern filtert offener, als ein Gremium, das aus wenigen besteht.

    Aber ja, lass 5, 10, 15 Jahre ins Land verstreichen und plötzlich wird dieses Gremium mit Leuten besetzt, die im Kollektiv bestimmte Ziele verfolgen.
    Das kann auch mal ordentlich missbraucht werden, kann aber auch dazu führen, das ein korruptes Präsidium selbst weniger Kontrolle hat.

  5. Maria Draghi

    Nein, bislang konnten Anträge vom Präsidium nur aus formalen Gründen – z.B. zu spät eingereicht – abgewiesen werden. Das neue Gremium erleichtert die Arbeit also nur insofern, dass auch alle inhaltlich missliebigen Anträge gar nicht erst zugelassen werden. Denn ein Gremium, in dem niemand unabhängig vom Verein und nur wenige unabhängig vom Präsidium sind, weil sie Vereinsangestellte sind (Parensen), eine Abteilung des Vereins sind (FUMA), vom Präsidium vorgeschlagen werden (Ehrenrat) oder selbst Mitglieder des Präsidiums sind (Kosche) – welche Distanz zum Präsidium ist von einem solchen Gremium zu erwarten?

  6. […] weder auf einer Mitgliederversammlung offen diskutiert, noch durch die Mitglieder abgestimmt wurde. Dazu gibt es auch bei uns einen längeren Kommentar von Robert, der auf die Missbrauchsmöglichkeiten einer solchen vorgeschalteten Institution hinweist und dass […]

  7. Gorilla_im_Nebel

    Wegen §13 der Satzung ist der neu geschaffene Ausschuss formal-juristisch ein zahnloser Tiger. Es liegt an dem antragstellenden Vereinsmitglied, das sich an die Satzungsbestimmungen hält, das Ganze zu eskalieren, sollte es sein Antrag nicht auf die TO der MV schaffen.

  8. […] Union schränkt Mitbestimmungsmöglichkeiten seiner Mitglieder ein […]

  9. […] Wow… klingt bescheuert, ist aber wohl genau so beabsichtigt. Das Präsidium hat einen Satzungsaussschuss einberufen, der zukünftig vorab bereits prüfen soll, welche Anträge zur Mitgliederversammlung zugelassen werden sollen – und welche nicht. Dies folgt einer Idee, die bereits letztes Jahr umgesetzt werden sollte, da aber (wie alle anderen Anträge zur MV auch) vor der digitalen Versammlung zurückgezogen wurde.Und jetzt setzt man das halt um, ohne dies vorher wenigstens durch die Mitglieder absegnen zu lassen. Dies ist alles satzungstechnisch mal mindestens fragwürdig. Mehr dazu: Textilvergehen […]

  10. Ich versteh jetzt immernoch nicht wie genau man als Mitglied eingeschränkt wird, weil sich im Vergleich zu vorher nichts ändert, außer dass ein Ausschuss die Anträge anguckt.
    Nach meinem Verständnis ist so sogar die Wahrscheinlichkeit größer, seinen Antrag auf die MV zu bringen, da der Ausschuss mehr Möglichkeiten hat, den Antragsteller dabei zu unterstützen den Antrag Satzungskonform zu gestalten.

  11. Finde ich indiskutabel den Vorschlag. Es gibt andere Mechanismen, um einer etwaigen Antragsflut gerecht zu werden (z.B. Unterstützer:innen-Anzahl). Das hier wirkt wie ein Vehikel um mögliche Kritik schon im Vorfeld zu erschweren. Unschön für einen Verein, der doch von unten gekommen ist und von unten funktioniert… auch wenn die „oben“ da schon sehr sehr lange sitzen (zurecht). never forget where you came from!

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