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Fahrgäste und Fußballfans.

„Sehr geehrte Fahrgäste und Fußballfans, sind Sie nicht traurig, wenn Sie diesmal nicht mitkommen. Der nächste Zug wartet schon hinter mir.“ Unbeholfene Freundlichkeit bei der S-Bahn. Der Berliner ist das nicht gewöhnt und wundert sich, der Brandenburgerin geht´s ganz genauso. Ich betrachte meine Mitreisenden. Zwei ältere Damen in beigen Strickpullovern mit noch eingeschweißten Deutschlandfahnen. Erstgebrauch, vermutlich. Zwei befreundete Ehepaare um die 50 auf Berlinreise in Fan-T-Shirts. Eine Gruppe junger Mädchen mit schwarzrotgoldenen Blumengirlanden. Einige wenige in Trikots. Familien mit kleinen Kindern und dezenter Gesichtsbemalung. Frauen mit Frauen. Während die Mannschaften einlaufen, soll auf den Rängen eine Choreografie entstehen. Vorher wird am Spielfeldrand ein Transparent entlang getragen: Bitte zum Einlauf der Mannschaften die Papiertafeln hochhalten. Es ist kein typisches Fußballpublikum, das zum Olympiastadion pilgert, um die Eröffnung der Frauenweltmeisterschaft im Fußball zu sehen. Darin besteht der auffälligste Unterschied zur WM der Männer.

Wer prinzipiell nur Champions League der Herren kuckt, wer Stars braucht, Diven und Empörung, der wird bei einem Frauenfußballspiel nicht glücklich werden. Als in der 67. Minute Kerstin Garefrekes das leere Tor verfehlt, wirft der rechts neben mir sitzende Mann die Arme in die Luft und ruft gequält „Oarrrrrr – Mosquera!“ Seine Karten hat er bei einem Radiosender gewonnen, erzählt er. Und hingegangen ist er, weil „schlimmer als Oberliga kann das auch nicht sein, und da hab ich meine Dauerkarte sogar gekauft.“ Die Frau hinter uns findet dagegen alles „sehr gut“. Bis auf das, was „sehr, sehr gut“ ist. Bei Abpfiff sagt sie „Ich bin ganz beseelt.“ Zu meiner Linken sitzt ein Rentnerpaar, das ohne Rücksicht auf das Spielgeschehen große Freude an La Ola hat.

Es war nicht das überschäumende Wahnsinnsspektakel, von dem ich heute in den Zeitungen gelesen habe. Es war auf andere Weise trotzdem schön, die Freude ehrlich. Das mag auch daran liegen, dass man das Erlebnis Fußball für ein Publikum geöffnet hat, das sonst gute Gründe hat, dem fernzubleiben.

6 Kommentare zu “Fahrgäste und Fußballfans.

  1. Hmm, Steffi, ob das tatsächlich ein Unterschied zur Männer-WM ist, dass es sich nicht um ein „typisches Fußballpublikum“ handelt?
    Meine Erinnerung an 2006 sagt da anderes.

  2. mycrosoft

    @Keano: Steffi hat wohl recht, wenn man unter einem typischen Fußballpublikum knapp 80% Männer (davon 50% alkoholisiert) versteht.

    Ich denke was du vielleicht meinst, ist das auch bei der Männer-WM so viele Leute als „Fußballfans“ unterwegs waren, die noch nie zuvor ein Stadion von innen gesehen haben und sonst nur über Fußballfans den Kopf schütteln – aber zur WM die absoluten Experten waren.

    Der eigentliche Unterschied, liegt also eigentlich in der Zusammensetzung der Zuschauer – Omi’s, Opi’s und Familien mit Kindern verhalten sich nunmal anders, als die ach so tollen Deutschland-Fans, die nur alle 4 Jahre mal ein Fußball-Spiel gucken, und das „Event“ WM wie einen Party-Ausflug betrachten.

    Außerdem ist die Erwartungshaltung bei vielen eine ganze andere wenn die Männer spielen, obwohl die nicht annähernd so erfolgreich waren wie die Damen…

  3. okay – es war mehrfach untypisch, das publikum. viele ernsthafte enthusiasten, sportvereine & jugendsportgruppen. wenig „co-trainer“ auf den rängen. trotz bester möglichkeiten zum vortrunk kein sturzbesoffenes pöbelvolk. trotz komplett gefüllten stadions und wirklicher menschenmassen eine unfassbare höflichkeit unter den leuten. und wie mycrosoft sagt, auch nicht das typische „eventpublikum“ dabei. für die war´s zu unspektakulär. ich habe eine solche zusammensetzung in einem fußballstadion noch nie erlebt. ich will das gar nicht bewerten, sondern nur feststellen. kann man jetzt sagen: hey, fifa – neues zielpublikum erschlossen, oder was weiß ich. fakt ist, dass ich mich freuen würde, wenn einige teile meiner familie sowas mal erlebten. das würde ihr bild vom fußball ernorm verschieben. (es wäre dann anders falsch.)

  4. Biathlon oder Tennis, Hochsprung oder Boxen, keiner hat ein Problem mit Frauen, wenn sie Leistungssport machen. Fußball dürfen sie nicht. Da gibts Häme auf der Einen, hysterische Werbung auf der anderen Seite. Steffi Graf kann da nur staunen.
    Seid kurzem finde ich Fußball irre interresant, wenn ihn Frauen spielen. Drei Spiele hab ich gestern und heute gesehen, ich werde mir so viele wie möglich anschauen. Ich sehe da mehr Spielintelligenz als aus der Liga gewohnt.

    gerne kopier ich hier trotzdem oder gerade weil…..
    mal was von den ganz Blöden rein.

    Nico: Aber es gibt doch auch Paralympics, die man sich auch ansieht. Das ist doch so, dass dort ein Mensch nicht die ganz große Leistung bringen kann, aber unter sich sind sie alle ähnlich und deswegen ist es trotzdem spannend.

    Journalist A: Sehr guter Einwand.

    Journalist im Hintergrund: Frauen sind eigentlich grundsätzlich behindert.

    Journalist A: Gute Einwände kommen nur, wenn Fragen pushy waren. Ja. Jetzt schreiben wir: Rosberg findet Frauen-Fußball wie Paralympics. (Allgemeines Gelächter)“

    http://www.spox.com/de/sport/formel1/1106/Artikel/valencia-top-8-nico-rosberg-stellungnahme-zu-frauen-wm-paralympics-vergleich-sebastian-vettel-spionage.html

  5. @milan jaja, dieser Vergleich hinkte um die ganze Welt. Mein kluger Freund hingegen hat was gesagt, von dem ich denke, dass es stimmt. Dass im Moment eine Generation von Männern Sportjournalismus betreibt, die Frauen im Fußball nicht gewöhnt ist. So ist dann oft auch die Berichterstattung. Die haben kein Gespür dafür, wie sie sich zu dem Thema verhalten sollen. Wir sind die Generation, bei denen Frauen zwar spielen dürfen, aber aufgrund fehlender Infrastruktur kaum einen Verein finden, um professionell spielen zu können. Für die nach uns, die jetzt sieben oder acht sind, wird es ganz selbstverständlich sein, dass Mädels Fußball spielen. Wie Du sagst, in allen anderen Sportarten hat ja auch keiner ein Problem damit.

    Und ich würd Brasilien gegen Norwegen bei den Frauen auch gerne sehen, weil ich denke, dass es ein sehenswertes Spiel ist. Ich möchte das sogar lieber sehen als Spiele der Herren jedweden Landes gegen Saudi-Arabien.

  6. Hach… mir hat das Eröffnungsspiel gefallen. Leider habe ich es nur im Fernsehen sehen können, da ich für die Eintrittskarten einfach zu spät kam. Auch die Choreografie war Klasse, hat alles hin gehauen und als dann der Hubschrauber drauf zugeflogen ist, einfach Klasse. Ich finde Frauenfußball generell Klasse und wüsste gar nicht, an welchen Stellen ich einen vergleich zum Männerfußball ziehen sollte, es gibt einfach keinen Vergleich. Um das vergleichen zu können, müssten Frauen und Männer gegeneinander spielen, das machen sie nicht, also sind mir Vergleiche egal. Beide spielen guten Fußball und das ist wichtig.
    Es gibt aber auch etwas, was mich ein wenig Ankotzt. Nämlich der Beginn der zweiten Liga. Der erste Spieltag fällt zusammen mit dem kleinen Finale und dem Finale der Frauen-Fußball-WM. Sicher sind keine Männer beteiligt, aber so nimmt man den Frauen wieder Zuschauerpotential, weil die meisten die vom Spiel kommen, werden eher die Saisoneröffnung feiern, als sich Abends noch vor den Fernseher zu setzen.

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