Blog State of the Union

Eine phantastische Mannschaft mit soviel Charakter wie Qualität

Also nochmal in den Krater des Zentralstadions, um dort zu ertragen, wie Fußball in der darkest timeline aussieht, weil Union eben dort spielen muss. Noch einmal 15 Minuten in Protest schweigen, um wieder klarzumachen, dass das falsch ist, wohl wissend, dass sich dadurch nichts unmittelbar ändern wird. Und dann schon wieder eine dem Spielverlauf und auch allem sonst nach unverdiente Führung für das Konstrukt, die dem Typ am Mikrophon eine Ausrede gibt, pseudo-euphorisiert und grenzdebil in selbiges zu schreien. Irgendwann gegen fünf Uhr gestern Nachmittag schien das Wochenende fußball-technisch auf maximale Frustration zuzusteuern. Aber dann passierte noch etwas ganz anderes, weil diese Union-Mannschaft eben unglaublich phantastisch ist.

Denn sie gab sich wirklich niemals auf, glaubte an sich, und so konnte der Sieg mit einem 2-1 nach den späten Toren der beiden Joker Sven Michel und Kevin Behrens nur ihr gehören. Dafür tat die Mannschaft alles – und das schließt ein, dass sie natürlich gekämpft und sich bis in die (aus Gründen) lange Nachspielzeit energisch aufgerieben, aber auch das ganze Spiel über hochklassig, diszipliniert und von sich überzeugt Fußball gespielt hat. Genau das kam auch in den beiden wunderschönen Toren in der 86. und 89. Minute zum Ausdruck.

Beide Tore drehten sich um Hereingaben von Sheraldo Becker vom rechten Flügel, die Sven Michel am kurzen Pfosten einmal direkt verwertete, und einmal formvollendet mit der Hacke auf Kevin Behrens ablegte. Das ist einerseits bemerkenswert, weil Becker die dafür notwendigen Sprints eben auch noch ganz am Ende des zweiten intensiven Spiels in wenigen Tagen durchziehen konnte. Und andererseits, weil ähnliche Aktionen in seit einer ganzen Weile der primäre Weg sind, auf denen Union für Gefahr sorgen kann, aber es dem Gegner gestern trotz maximal möglicher Vorbereitungszeit und Anschauungsgelegenheit offenbar nicht möglich war, sie zu verhindern.

Expected goals…
… und Pässe in Zone 14 bei Unions Sieg in Leipzig. Graphiken/Daten: Between the Posts.

In der ersten Halbzeit hatte „Leipzig“ noch versucht, solche Angriffe mit Bällen in freie Räume auf den Flügeln damit zu neutralisieren, Union im Aufbauspiel den Ball zu überlassen. Trainer Domenico Tedesco sprach nach dem Spiel zwar auch darüber, dass es dann wichtig sei, Unions Aufbauspiel unter Druck zu setzen, damit die Dreierkette nicht aus einer besseren Position lange Bälle spielen kann, davon war im Spiel aber nicht immer etwas zu sehen. Zur Halbzeit hatte „Leipzig“ dann zwar schon noch mehr Ballbesitz als Union, die Gewichtung der Spielanteile war aber dennoch eine, die man sich in dieser Begegnung vor nicht allzu langer Zeit kaum hätte vorstellen können. Union war auch im eigenen Ballbesitzspiel gegen einen Kontrahenten dieser Qualität nämlich alles andere als mittellos, und hatte die klar besseren Chancen. Oder: überhaupt welche, denn „Leipzig“ kam die ganz erste Hälfte über zu keinem einzigen Abschluss. Union hatte zwar weniger Pässen in den Räumen, die gemeinhin als gefährlich für die Entstehung von Torchancen gelten, kam aber trotzdem zu etwa vier sehr guten Möglichkeiten in der ersten Halbzeit, während die eigene Strafraumverteidigung „Leipzig“ eben überhaupt nichts anbot.

Es war so gesehen also auch ein sehr effizienter Auftritt der Mannschaft von Urs Fischer, was es umso bitterer gemacht hätte, wenn es trotz des klaren Chancen-Plus beim Rückstand durch die erste Aktion der zweiten Halbzeit geblieben wäre. Und ‚bitter‘ wäre das mildeste Wort, das einem dazu hätte einfallen können, dass Union trotz minutenlanger VAR-Begutachtung nach einem Foul an Niko Gießelmann keinen Elfmeter zugesprochen bekam, erst recht vor der Folie des Pokal-Spiels. Hätte diese Entscheidung Union Punkte gekostet, wäre sehr viel Aufregung gerechtfertigt gewesen.

Weil das dank der unmittelbar zündenden Einwechslungen aber eben nicht passierte, konnten die Unioner*innen im Auswärtsblock am Ende die Mannschaft für einen hochverdienten Sieg und wenigstens ein bisschen Genugtuung für die Pokal-Niederlage feiern. Dem tat es dann auch keinen Abbruch, dass sich viel weniger Union-Fans das Stadion-Erlebnis in Leipzig beim zweiten Mal angetan haben als noch zum Halbfinale.

Presseschau

Das schreiben die Berliner Medien nach dem Spiel:

Kevin Behrens und die Mannschaft jubeln über das 2-1. Photo: Matze Koch

16 Kommentare zu “Eine phantastische Mannschaft mit soviel Charakter wie Qualität

  1. Gerne darf auch thematisiert werden warum RB unsere Hymne nicht spielte.

    Nicht das es ein Muß ist, aber diese Begründung… Was für ein D****klub.

    • Hajo Obuchoff

      Aber vom Dosenexport nach Russland profitieren. Scheinheiliger gehts nicht.

    • Warum wurde die Hymne nicht gespielt?

  2. Der entscheidende Unterschied zum Pokalspiel war, dass Sheraldo durchspielen durfte, sodass es bis zum Ende über außen gefährlich blieb.

  3. Rotkäppchen

    @schoki
    Weil man behauptet das der Song Teile der russischen Nationalhymne drin hat.

    Ja ne, schöner Verschwörungstheorie Kram. Ist man in Leipzig leider zum Teil gewohnt das Leute so ticken im 21 Jahrhundert.

    • Der Sepp

      Ich glaube, der Komponist des Songs (also nicht Nina Hagen, die singt „nur“ den Text) hat sogar selbst mal gesagt, dass er sich von der Hymne der Sowjetunion hat inspirieren lassen.

      Damals Mitte/Ende der 90er wurde die Melodie von Russland nicht (mehr) verwendet. Erst 2000 wurde sie (mit anderem Text) als offizielle Nationalhymne wiederbelebt.

      Es ist aber lächerlich und mehr als peinlich, das als Grund heranzuziehen. Musik ist immer inspirierend für weitere Musik. „Go West“ enthält ebenfalls Anleihen aus dieser Hymne. Ich hoffe, RB achtet auch darauf…

  4. Gibt es eine offizielle Erklärung der Schiedsrichter für den nicht gegebenen Elfmeter ?
    Eisern!!!!

  5. Danke für die Antworten. Kann das jemand mit Ahnung von Noten und Musik bestätigen/entkräften?
    Zumindest die Stellen nennen, wo in den hymnen die Ähnlichkeit sein soll?
    Mir ist das noch aufgefallen.

    • Christian

      Der Part mit „Den Sieg vor den Augen, […]“ hat melodisch einen ähnlichen Verlauf und die Akkordbegleitung ist gleich. Aber wie bereits weiter oben erwähnt, kann man an dieser Stelle der Hymne auch den Refrain von „Go West“ von den Pet Shop Boys singen und die Akkordfolge würde ebenso passen.
      Jedoch ist das alles (also auch die russische Hymne) sowieso in seiner Harmonie und Akkordfolge vom Pachelbel-Kanon abgekupfert, weshalb alle Lieder die auf diesem Aufbau basieren quasi der russischen Hymne ähnlich sind (Streets of London, Maroon 5 (Memories), Puhdys (Wenn ein Mensch…) ). Da hätte Salzburg Nord es echt schwer in seinem Stadion das alles zu filtern ^^‘ .

  6. @schoki: Es geht um die Stelle „den Sieg vor den Augen, den Blick weit nach vorn, zieh’n wir gemeinsam durch die Nation“, die dieselbe Melodie wie der Beginn der SU/Russlandhymne haben soll.

    Ist aber auch egal, denn wie gesagt soll Red Bull selbst noch in Russland weiter verkaufen (wurde zumindest noch vor einer Woche in österreichischen Medien berichtet) und deren Leipziger Fußballfranchise hat rot-weiß-blaue Corporate Identity Farben…

    Aber auf so ein Niveau sollten wir uns gar nicht erst herablassen. Außerdem will ich auch gar nicht, dass die unsere Hymne dort spielen.

    • Tatsächlich ist der gemeinte Teil der Melodie ähnlich, aber auch nicht exakt gleich. Allein schon deshalb ist die Begründung zum Haareraufen.
      Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Ukrainer ernsthaft ein Problem damit haben, wenn Unioner eine in ein paar Noten der russischen Hymne ähnliche Melodie mit komplett anderem Text, vollkommen ohne Russland- oder Kriegsbezug, singen.

  7. Exilunioner Jonny

    Für mich war es sehr überheblich mit der Musik aus alten römischen Zeiten. Hätte nur noch gefehlt das die Dosenboys mit einen Streitwagen auf’s Feld gekommen wären. Als Exilunioner war das trotzdem 2x guter Stoff und ich habe genossen.

  8. Ulf Teichert

    Dass die überhaupt jemals unsere Hymne spielen durften, geht gar nicht!

  9. Danke für die Erklärungen. Das ist ja dann wirklich komplett an den Haaren herbeigezogen.

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