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Rasenballsport in Leipzig

Es war ein grauer Morgen in Leipzig. Der stete Regen kündigte von
Tristesse. Die ganze Südvorstadt schien wild zuplakatiert. Es wurde zu
Moonbootica, Psychedelischem, Techno eingeladen – oder zu junger Klassik
im Gewandhaus. Auch zur Blockade der EZB-Eröffnungsfeierlichkeiten in
Frankfurt am 18. März wurde aufgerufen. Hie und da lugten Ankündigungen
zum Traditionsspiel zwischen Chemie und Union am heutigen ersten März
durch den Plakatwald wie die ersten grünen Frühblüher im winterlich
matschigen Boden. Die Welt schien traurig, aber nicht hoffnungslos
verloren und irgendwie in ihrer Bescheidenheit in Ordnung.

Die Straßenbahnansage am Wilhelm-Leuschner-Platz wurde ergänzt durch
„Platz der friedlichen Revolution“. Eine Revolution, welche sich ihren
Ausgang so sicher nicht vorgestellt hat. Es wird oft lamentiert, Fußball
hätte nichts mit Politik zu tun. Aber Fußball ist viel mehr als nur
Opium für’s Volk oder stumpfes Entertainment. Fußball ist die
Gesellschaft, weil er aus ihr kommt und von ihr getragen wird. Fußball
ist Abbild, lebendig, Vorbote. Fußball wird immer auch zur
Verhandlungsarena gesamtgesellschaftlicher Prozesse. Ob es nun darum
geht, wie viele „Ausländer“ auf dem Feld stehen dürfen oder ob im
Stadion Alkohol ausgeschenkt wird. Deswegen ging es an diesem Sonntag
auch nicht nur ein weiteres Mal um drei Punkte in der Zweiten Liga des
Männerfußballs. Es ging um die Systemfrage, um Kapitalismus, ja am Ende
sogar um Demokratie.

Schicksalsironisch ratterte die Straßenbahn in Richtung Leutzsch am
Zentralstadion vorbei, von dessen luftigem Dach schon zwei monströse
Firmenlogos unmissverständlich klarmachten, wer hier über allem thront.
Die Brause. Beinahe ehrfürchtig blickten die Kinder in der Bahn auf zur
gelben Sonne – die von zwei roten Bullen in der Mangel gehalten wurde.

Die Monster konnten noch ignoriert werden, wir ratterten weiter nach
Leutzsch, wo die Sonntagmorgenruhe in einem heruntergekommenen Viertel
nicht von den Fans gestört wurde, die zum Alfred-Kunze-Sportpark
trotteten – nein ein Helikopter über der Szenerie und diverse
marschierende Hundertschaften bestimmten das Bild. „Ist denn hier
Krieg?“
fragte einer.

Über 4000 waren gekommen um Fußball wie in den Achtzigern mit Akteuren
zum Teil aus den Achtzigern zu erleben. Die Stimmung war fantastisch und
ausgelassen, die zwei Ausschenkenden mit dem Zapfen von Bier maßlos
überfordert. Der Fußball auf dem Feld war so holperig wie die Versuche
der Leipziger Traditionsvereine, in der modernen Fußballwelt Fuß zu
fassen. Es ist leider auch das Loch, das sie hinterließen, welches RB
nun sprießen lässt. Doch das alles war egal, hier und heute wurde
Fußballkultur zelebriert, wurden Pyros abgefeuert, wurde geraucht und
wurde Bier getrunken.

[youtube http://www.youtube.com/watch?v=Y3Kl_2W7CCA&w=560&h=315]

Das alles zu einem guten Zweck, denn die Eintrittsgelder kommen der Sanierung der altehrwürdigen Anlage zu Gute. Es sind Geschichten wie diese, die den Fußball ausmachen. Alle Fans eines jeden einmal in der Versenkung verschwundenen Traditionsvereins werden sich ewig an ihre Auferstehung erinnern und
daran mit welchem Kraftakt sie sich selbst aus der Scheiße zogen. RB
fühlt sich eher wie Pegida an: brechen die Führer weg, so stirbt auch das
Produkt. Aber den Beweis müssen sie erst noch antreten. Dazu wurden beim
Traditionsspiel im AKS die kuriosesten Songs aus der Mottenkiste geholt:

„Siamesen kann man nicht trennen, Schizophrene sind nie allein,
Pädophile ha’m immer Bonbons – und Union ist mein Verein“

Es ist eben immer auch ein bisschen daneben und wer so etwas banales wie
Fußball mag und wöchentlich ins Stadion rennt, der kann doch nicht ganz
dicht sein. Wer sich weiter nicht mit dem Produkt Fußball zufrieden
gibt, wer Mitbestimmung fordert und freien Ausdruck, wer gegen
Repressionen ist und gegen zu starke Kommerzialisierung, wer sich über
den Stadionbesuch hinaus sozial engagiert, der wird eben auch heute in
Zeiten der Spieltagszerpflückung und Rekordumsätze schnell zum
Dissidenten und Feindbild der Obrigkeit. Deswegen kann es dann im
späteren Punktspiel schon mal in der zweiten Minute einen zweifelhaften
Elfmeter geben. Der Schiri sprach und das Modell Red Bull war in der
Fußballwelt offiziell erwünschter als wir Fans. Ich bin zu jung um von
der Stasi verschobene Spiele erlebt zu haben, aber so muss es sich
angefühlt haben – I see history repeating.

Auf dem Weg zum Stadion roch es nach frischem Bärlauch, dem frühen Boten
des Frühlings. Im und ums Zentralstadion roch es nach Gummibärenbrause,
dem Boten des späten Kapitalismus. Die Ultras waren noch nicht da und
aus unseren Reihen kam aus Protest gegen Red Bull in der ersten Hälfte
kein Support. Bier gab es nur Alkoholfreies. Nach den ersten strittigen
Schiedsrichterentscheidungen hegte sich Groll auf den Rängen. Der
österreichische Konzern schien übermächtig, es war fast schon unwirklich
wie präzise die ihn repräsentierenden Spieler sich die Bälle selbst aus
unmöglichsten Positionen zuspielten und nach zehn Minuten schon drei
Tore geschossen hatten.

https://twitter.com/bulldoser09/status/572015074266759168

An diesem Tag taten mir insgesamt viele Menschen leid. Die armen
Studierenden, welche hier in der Arena ihrem Nebenjob nachgingen und
sich so vor den Karren Red Bull spannen ließen. Die armen Unionspieler,
welche in diesem Spiel trotz bester Möglichkeiten und aufopferungsvollem
Kampfe von Anfang an nie wirklich eine Chance gehabt zu haben schienen.
Vor allem aber die Zuschauer*innen aus Leipzig, welche das Produkt des
Produkts sind.

Zugegeben, die Stimmung und Atmosphäre empfand ich als besser als im Erstligaabstiegskrampf im Berliner Olympiastadion, aber auch das schien alles Ergebnis einer professionellen und durchprofessionalisierten Marketingstrategie. Es würde mich nicht wundern, wenn RB eine Person anstellte, um die Fangesänge zu entwerfen. So wirkte es auf mich einfach nur traurig und nicht einmal trotzig, wenn die „Fans“ ihren „Rasenballsport Leipzig“ besangen. Bitterer und unkreativer geht es kaum – aber nun gut, der Erfolg als Zweck heiligt wohl die Mittel. So ist es heute allzu leicht für den Leipziger Nachwuchs, diesem künstlichen Projekt zu erliegen und so blieb das für mich ernüchternde aber nicht neue Ergebnis, dass Erfolg keine Moral kennt und sich RB wohl einreihen wird in die Langeweile der Rekordjagden zwischen den Großkonzernen.

Für mich war es heute dennoch ein absolut identitätsstiftendes Spiel.
Nicht dass ich das noch nötig hätte nach fünfzehn Jahren Union in aller
Tiefe. Aber es sind solche Spiele, bei denen du in jedem Moment spürst,
auf der richtigen Seite zu stehen. Bei denen das gesamte Leipziger
Stadion zusammenzuckt, wenn 4000 Unioner ihren angestauten Zorn zu
Beginn der zweiten Hälfte hinausbrüllen. Bei denen die vorher abstrakte
Abneigung gegenüber einem Produkt sich in einem Erlebnis manifestiert.
Unabhängig vom Ergebnis.

Die friedliche Revolution findet ihr makaberes Ende also 25 Jahre später
in der Red-Bull-Arena. Der kapitalistische Teufel lässt seine roten
Bullen durch das neumodische Colosseum reiten. RB wird früher oder später aufsteigen.
Lasst uns doch in Ruhe bin ich geneigt, ihnen hinterherzurufen. Und
schickt uns am besten noch einen Traditionsverein mit runter.

8 Kommentare zu “Rasenballsport in Leipzig

  1. Und wer hat die Rote Brause so groß gemacht?? Die intelligenten Freaks, die sich das Getränk reinschütten, um die ganze Nacht Party machen zu können!!

  2. chrischen

    „Und wer hat die Rote Brause so groß gemacht?? Die intelligenten Freaks, die sich das Getränk reinschütten, um die ganze Nacht Party machen zu können!!“
    Ich frage mich, wann Club Mate endlich das Produkt Fußball für sich entdeckt…

  3. Na ein Glück sind die Sponsoren, die wir bei Union so haben, ausschließlich Firmen, die sich um das Wohlergehen der gesamten Menschheit kümmern. Und die Konsumenten der Lebensmittelproduzenten, die bei uns im Stadion werben, sind ohne Ausnahme alles aufrechte Menschen, mit untadeligem Lebenswandel, der jeder Überprüfung der Ethik-Komission standhalten würde.

    Die Kritik an dem Fußballmodell RedBull in allen Ehren, aber die Leute, die es, aus auch mir unerfindlichen Gründen, gerne trinken, für irgendetwas verantwortlich machen zu wollen, ist mindestens albern.

    • Die Kritik an dem Fußballmodell RedBull in allen Ehren, aber die Leute, die es, aus auch mir unerfindlichen Gründen, gerne trinken, für irgendetwas verantwortlich machen zu wollen, ist mindestens albern.“

      Ähhhm, aber ohne diese Leute, bräuchten wir nicht über rote Brause in Leipzig zu diskutieren! Dann wäre Mateschitz einer wie Du oder ich.

  4. honeypie

    Natürlich sind diejenigen die ReBull kaufen am Erfolg des Konzerns beteiligt. Ist wie bei CocaCola. Und dass das RedBull-Marketing auch über Leichen geht ist auch hinlänglich bekannt.
    So what, it’s captalism!
    Ich steck mir erstmal ’ne Fluppe an und bin mir sicher, dass die Tabakkonzerne in keinster Weise davon profitieren. :-)
    So und jetzt endlich wieder Fußball .
    Too much energy 4 the drink.

  5. Also, (vermeintlich) (falsch) gepfiffene Elfmeter gehören zum Fußball wie Bier und Bratwurst im Stadion (in der Südkurve gab es übrigens Bier mit Alkohol – warum wohl ;-)). Dass RB gegen den Schiri keine Chance hatte, als die „Schanzer“ aus Ingolstadt über jeden quer stehenden Grashalm stolperten gehört mindestens genau so dazu wie das Lamentieren von jedem, der sich durch den Schiri betrogen sah – so what.

    Sowas (wie der Zuspruch zu RB) kommt übrigens von sowas:
    http://www.lvz-online.de/leipzig/polizeiticker/polizeiticker-leipzig/fans-von-lok-leipzig-und-bsg-chemie-loesen-grosseinsatz-der-polizei-aus/r-polizeiticker-leipzig-a-277938.html

    LG Markus

  6. […] einem Bericht zum Spiel und dem Drumherum wurde damals der Pfiff zum Elfmeter nach bereits zwei Minuten (tatsächlich eine ziemlich exakte […]

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