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Was fehlt.

Deutsch ist eine viel schönere Sprache, als die ganze nichtdeutschsprechende Welt immerzu behauptet. Es gibt ganz wunderbare Wörter wie „Stelldichein“ und „Hosenstall“, oder Blumen, die „Vergißmeinnicht“ und „Tränendes Herz“ heißen.

Was aber fehlt, ist eine Entsprechung des portugiesischen Wortes saudade. Es kann Heimweh sein, oder Fernweh, Sehnsucht oder Phantomschmerz. Sicher ist nur: Etwas fehlt. Nichts die Existenz bedrohendes, und man kann gewiss auch ohne leben. Nichtsdestotrotz fehlt etwas, und das ist nicht schön.

Andoras Fahne war es nicht, die fehlte. Die war gestern im Jahnsportpark, und Andora auch; Phillipp Köster hab ich am Kassenhäuschen Cantianstraße gesehen, Mannschaft und Trainerstab sind gottlob ebenfalls vollzählig erschienen, und neuneinhalbtausend Unioner wollten sich das Aufstiegsspiel keineswegs entgehen lassen.

Nur ich wäre beinahe nicht da gewesen, ich hätte aus familiären Gründen in einer ganz anderen Stadt sein sollen. „Quatsch, Du bleibst natürlich in Berlin und gehst da hin“, sagt er. Und ich so „Ja … aberaberaber … ohne Dich is´ bloß halb so schön. Soll ich nicht doch lieber mit Dir mitkommen? Vielleicht steigen wir ja gar nicht auf, dieses Wochenende …“ – „Doch, wir steigen auf. Und ich will, das Du Dir das ansiehst. Schick Fotos.“

Ich habe nicht eben das geleistet, was man erbitterten Widerstand nennt. Und man ist -Unioner unter Unionern- auch niemals wirklich einsam. Ich habe auf Sitzschalen gestanden, möglicher Weise bin ich gar darauf rumgehüpft, viel fehlte nicht an einer Zaunbesteigung. Ich gebe zu, mir komplett unbekannte Männer umarmt zu haben. In der 60. und in der 72. Spielminute nämlich. Zu meiner Verteidigung kann ich vorbringen, dass sie die richtigen Farben trugen. Ich sehe nach dem zweiten Tor, wie meine Mannschaft lachend im Kreis am Boden liegt. Sehe, wie ein Platzsturm vorbereitet wird. Sehe eine Rasenfläche, eben noch grün, dann sehr schnell sehr rotweiß.

Auf die Textnachricht „Alle völlig bekloppt hier.“ bekomme ich die Antwort „Jetzt weißt du, warum ich wollte, daß du da hingehst.“

Ich weiß, und ich danke, und trotzdem: saudade.

Der Weg zurück ist ein bißchen, als wäre grad Lord Voldemort gestorben. Wir sind alle in einem Zustand zwischen Unglaube, Erleichterung und maßlosem Glück. Ich treffe irgendwo in der Stadt zwei Jungs, die eben aus dem Stadion kommen. Wir sagen gar nichts, wir kucken uns nur an und grinsen wie Verschwörer. Du weißt es, ich weiß es, und die anderen werden es nachher in den Nachrichten sehen.

Abends in Köpenick ist es dann laut, in Köpenick sind wir immer laut, aber Köpenick ist das -im Gegensatz zum Prenzlauer Berg- auch gewöhnt, dass wir da sind, und dass wir da laut sind. Ab durch den Wald, das riecht nach Heimat. Wie bei allen Anlässen mit Festivalcharakter kommt es zu Bierengpässen, und wie nur bei Aufstiegen stellt sich heraus, dass man auch ohne Alkohol besoffen sein kann, und dass der Herr Bönig tief im Innern ein wenig ultra ist.

Gegen halb 10 endlich heimwärts gewandt, treffe ich unvermutet @343max, der wissen will, ob Union etwa direkt in die 1.Liga geklettert sei, was man dem Radau und Krakeel nach durchaus annehmen könnte. Hingegen Frau @zufall macht alles richtig: umarmen, beglückwünschen, freuen helfen.

Abends lese ich das Internet und möcht gleich nochmal kurz weinen. Menschen von allüberallher gratulieren, und nolookpass hat einen wundervollen Text zu Ehren der Unionfans geschrieben.

Dann sagt Uwe Neuhaus in den Tagesthemen das hier …

ARD: Haben Sie sich die Zweite Liga schon mal angekuckt, Spielstärke, Konkurrenz?
UN: Nee, ich interessier mich eigentlich so gar nicht für Fußball.

… woraufhin ich mich in den Schlaf kichere.

Und wenn mich jetzt wer fragt, ob das steigerbar ist, denke ich kurz nach und sage: Ja. Ist es. Sodann putze ich mir das Konfettizeug aus den Haaren. Ich hab nämlich nachher noch ein Stelldichein.

12 Kommentare zu “Was fehlt.

  1. Du willst also Dein Blog jugendfrei halten, oder wieso hast du Funny van Dannen bei den schönen Wörtern nur mit „Hosenstall“ zitiert? ;-)

    Davon ab: scheint ein schöner Tag gewesen zu sein.
    Da geht der Phantomschmerz vorbei.

  2. MalerMario

    Was Frau aus dieser schönen Sprache alles so machen kann, zeigt Cheffie ( auf diesen Namen reagiert sie sogar auch im lauten Freudentaumel ) in letzter Zeit eindrucksvoll !

  3. Gänsehaut. Ich verbeuge ich vor dir.

  4. Endlich ein weiterer Berliner Club in Richtung erster Liga unterwegs. Ja, ich weiß, darum geht es jetzt (noch) nicht. Aber was würde ich mich über ein Berliner Duell in der ersten Liga freuen!

    Glückwunsch zum Aufstieg!

  5. Gratuliere!

  6. @heinzkamke ich wusste, es würde irgendwem auffallen :)

    allen anderen tausend dank!

  7. Auf meinem schicken neuen Auswärtsaufsteiger-Hemdchen fehlt auch was: Der Name „Michael Parensen“ :-(

  8. Randnotizen einer Aufstiegsfeier…

    1. Es ist gut so, daß Fußballer fürs Fußballspielen und nicht fürs Singen bezahlt werden. Ansonsten wären die Jungs alle permanent pleite.

    2. Die Aufstiegshelden wurden in aller ihnen zustehenden epischen Breite gefeie…

  9. nicht vor ort gewesen und trotzdem dabei. neue kommunikationswege machen es möglich. und bestimmt zur gleichen zeit angetrunken gewesen. dann mit einem chemiker russischen und armenischen kognak getrunken auf die zukunft unserer beiden vereine. so ein schöner tag. ach ja: saudade.

  10. […] In jüngster Zeit haben sie sich beispielsweise mit Union im europäischen Vergleich (nicht vergessen, übrigens: die nächste Radarrunde läuft) befasst, mit dem langen Warten auf den Aufstieg, zwischendurch mit pokalbedingten Ost-West-Fragen, und endlich auch, wunderbar unaufgeregt, mit dem Aufstieg. […]

  11. hach, wenn das nicht ’ne extrem tolle liebeserklärung an den mann deines herzens ist. von fußball habe ich glücklicherweise keine ahnung, da konnte ich mich total auf die eigentliche botschaft konzentrieren. :-)

  12. @Nina ich zwinker nur mal so ;) du weisst dann schon, was ich meine.

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