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Schwarzenbecks Turnhose

Ich nutz das jetzt einfach mal aus. Das mit den Zugangsdaten und so. Über Union schreiben ist ja gut und schön, aber das tun Steffi und Sebastian das ganze Jahr über, und ganz sicher weitaus kompetenter, als ich es jemals könnte. Statt dessen schreibe ich über das Textilvergehen, zumindest ein bisschen. Würden die beiden ja eher nicht tun.

„Textilvergehen. Was für ein Name. Großartig“ war einer von zwei Gedanken, als ich erstmals hierhin stolperte. Als die damalige alleinige Hausherrin sich mit Veränderungen in der Fußballdarstellung befassen wollte. Der zweite, eng mit dem ersten verwobene, Gedanke lautete: „Ove Grahn!“

Ove Grahn? Denjenigen, die bereits wissen, was ich meine, danke ich für ihre Aufmerksamkeit. Hier kommt nichts Neues mehr. Für die anderen hole ich vielleicht ein bisschen aus. Ein bisschen zu weit, übrigens, wenn man ehrlich ist.

Diese Leidenschaft für unseren Sport ist ja nicht so ganz einfach zu erklären. Denen, die sie teilen -zumindest in Ansätzen-, natürlich schon, aber da ist es ja nicht nötig, den anderen eher weniger. Das ist grundsätzlich nicht weiter schlimm, vielleicht ganz im Gegenteil, sonst müsste man sich möglicherweise über noch mehr böse Erfolgs- und Eventfans oder auch Un-Unionisten echauffieren, anstatt sich dem Spiel zu widmen. Gleichwohl sind da natürlich Menschen, denen man gerne und bewusst einen gewissen missionarischen Eifer widmet, um sie für den Fußball zu gewinnen, ihnen eine friedliche Koexistenz abzuringen oder zumindest zu dem Punkt zu gelangen, dass sie unsere Leidenschaft verstehen, nachvollziehen, akzeptieren, würdigen oder was auch immer können.

Es gelingt selten, meiner Erfahrung nach. Naja, ich hab’s auch nicht oft versucht. Aber wenn, dann bin ich gescheitert. Und musste feststellen, dass ich selbst kaum in der Lage bin, meine Liebe zum Fußball zu erklären. Keine Sorge: ich will’s auch jetzt nicht versuchen. Aber wenn ich so über frühe Phasen unserer Beziehung nachdenke, kommen mir stets zwei Bücher in den Sinn, die sie geprägt haben: zum einen, für Eingeweihte wenig überraschend, Sammy Drechsels 11 Freunde müßt ihr sein, zum anderen, vielleicht nicht ganz so naheliegend, Harry Valériens Buch zur WM 1974.

WM 1974, klar. Happy End. Just another Erfolgsfan. Meinetwegen. In der Tat habe ich unter all den WM- und sonstigen Fußballbüchern meines Vaters just dieses eine mit besonderer Begeisterung immer wieder gelesen, das ein aus deutscher Sicht sehr erfolgreich verlaufenes Turnier beschreibt. Ob das der Grund war? Keine Ahnung. Vermutlich. In jedem Fall ist „gelesen“ angesichts meines damaligen Alters ein großes Wort. Aber die Bilder…

Die sehr junge und ungeniert auf der Tribüne gähnende Stéphanie von Monaco, die Bemühungen der Helfer im überfluteten Frankfurter Waldstadion, Croys verdutzter Blick auf den von Rivelino durch die Mauer getretenen Ball, Maiers eher ungewöhnliche Abwehrhaltung bei Sparwassers Treffer, Billy Bremner verzweifelt vor dem leeren Tor, Ayalas christlich anmutende Haarpracht beim Kopfballduell, der furchteinflößende Jan Tomaszewski im polnischen Tor, Szarmachs Nasentampon, das Ballnetz am Malenter Ortsschild, der schottische Premierminister besucht seine nackt im Whirlpool sitzenden Spieler, Schöns vom Fernseher abfotografierter Jubel gegen Polen, Neeskens Luftstand beim Elfmeter, Cruyffs gelbe Karte zur Pause, Beckenbauers Blick nach vorn bei der Balloberung, Pelé und Uwe Seeler im weißen bzw. schwarzen Anzug mit den Weltpokalen in der Hand.

Mir scheint, ich schwelgte ein wenig. Verzeihung. Weiter im Text.

Schon bald konnte ich zumindest die Überschriften und die Bildunterschriften lesen bzw. hatte sie mir vorlesen lassen und kannte sie auswendig. Teilweise sind sie mir noch heute im Ohr:

„Tip und Tap, einfältig und fröhlich, warben nach dem originellen Worldcup Willie 1966 und dem liebenswerten Juanito 1970 für die WM“.

„Uli Hoeness flankt von der Torauslinie an Verteidiger und Torhüter vorbei. Solche Vorlagen müßten jedem Stürmer liegen“.

„Für Mark Spitz zu wenig, für Fußballer zuviel: Wasser“

„Die Spielführer konnten sich in ihrer gemeinsamen Muttersprache begrüßen, der Bayer Franz Beckenbauer und der Thüringer Bernd Bransch“.

„Trotz katzenartiger Gewandtheit und instinktivem Bewegungsgefühls können Torhüter Muama Kazadi und Ilunga Mwepu das vierte Tor der Jugoslawen nicht verhindern“.

„28 plus 29 = 57. Um ein Foul lagen die Schotten am Ende vor den Brasilianern, […]

„Lachend gratuliert Dino Zoff seinem Bezwinger Sanon. 1141 Länderspielminuten blieb Italiens Torwart ungeschlagen. Ausgerechnet ein Stürmer des Fußballzaungastes Haiti beendete diese Serie. Immerhin sei er nun wieder ein ’normalsterblicher Torwart‘ meinte Zoff nach dem Treffen“.

„Unterhaltung mit weiblichen Personen war erlaubt: Franz Beckenbauer mit einer schwedischen Journalistin“.

„Affen und Elefanten besichtigten Haitis Spieler im Tierpark Hellabrunn“.

„Das Spiel ist aus, man tauscht die Trikots, ein Brauch, der sich auf allen Fußballfeldern der Welt eingebürgert hat. Nur die Funktionäre der FIFA sahen den Strip-tease ungern“.

Vielleicht sollte ich zum Punkt kommen:

„Keinen Staffelwechsel proben hier Ove Grahn und Hans-Georg Schwarzenbeck. Nachdem der Schwede kein anderes Mittel kannte, den Sololauf des Deutschen zu stoppen, griff er nach dessen Hose. Für diese Textilbremse gab’s zu Recht die gelbe Karte“.

Textilbremse

Stimmt, eine Bremse ist nicht unbedingt ein Vergehen. Aber wer hat schon seine Assoziationen im Griff?
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Lieber Südwest Verlag (bzw. Random House), liebe Bildrechteinhaber bei Imago: ich war’s. Ich hab das Bild aus dem Buch abfotografiert. Nicht die Leute vom Textilvergehen, ehrlich!

9 Kommentare zu “Schwarzenbecks Turnhose

  1. ich habe ein tip+tap-tshirt, übrigens :)

  2. das ist sehr schön, heinz ‚the gedächtnis‘ kamke.

  3. @steffi:
    Fröhlichkeit unterstelle ich Dir gerne :-)

    @mars:
    Um der Wahrheit die Ehre zu geben:
    Ich wollte nicht andeuten, ich hätte auch heute noch die Namen des [hier bitte das Adjektiv zu Zaire einsetzen] Torwarts und seines Verteidigers parat. Das Buch lag neben mir. ;-)

  4. Epischer Anlauf (incl. Schwelgerei) und charmante Auflösung:
    Ein klassischer heinzkamke, oder auch: „Schönet Ding.“

  5. also kindas, det macht ja richtig spass eure janzen jeschichten zu lesen, bin ick doch echt berührt, lassen war unsere lieben texilvergeher doch noch nen bisschen urlauben und machen am ende gleich mal mattis geschichtenbuch draus und werden noch bis zum winter fertig mit dem ding ;- ))))
    herzlichst und eisern weiter machen, liest sich allet besser hier als in den anderen blogs um unseren sport, der meester

  6. @keano:
    Oh, Du erkennst mich an meinen Werken? ;-)

    @andora:
    Geht runter wie Öl und bleibt doch im Hals stecken – die Textilvergeher noch länger missen als diese gefühlten 8 Wochen? Puh…

  7. […] Etwas weiter entfernt von der fußballerischen Tagesaktualität lag das, was ich den Urlaubern vom Textilvergehen ins Stammbuch Blog schreiben durfte. Dort ging es um Harry Valérien, Katsche Schwarzenbeck und natürlich Ove Grahn. […]

  8. @andora

    „…liest sich allet besser hier als in den anderen blogs um unseren sport…“

    …die Heimatblogs der Gastschreiber ausdrücklich ausgenommen, nicht wahr?

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