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Teve093 [extra] – Funktionäre auf Auswärtsfahrt

Plötzlich waren sie alle gleich beim Fankongress 2012 im ehemaligen Berliner Kino Kosmos. Fans, Funktionäre und die zahlreichen Journalisten. Kurz nach eins aßen die meisten eine Suppe. Entweder eine Tomatensuppe oder dem Veranstaltungsort entsprechend eine Berliner Erbsensuppe. Ein Erfolg war schon das offene Gespräch zwischen Funktionären und den Fans. Aber bei aller Freude über den gelungenen Dialog war keine Seite so blauäugig, die großen, scheinbar unüberbrückbaren Differenzen zu übersehen: Kontrolliertes Abbrennen von Pyro im Stadion, zersplitterte Spieltage mit unmöglichen Anstoßzeiten und die oft als willkürlich empfundenen bundesweiten Stadionverbote.


Bild: Sebastian Fiebrig

Gerade die Stadionverbote bieten eine viel emotionalere Diskussion als die festgefahrene Pyro-Debatte. Denn wer einmal bei einer Auswärtsfahrt von der Polizei zum Stadion begleitet wurde, weiß wie leicht dort die Situation an oft unscheinbaren Kleinigkeiten eskalieren kann. Dann das übliche: Personalienfeststellung einer großen Gruppe und Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen Landfriedensbruch etc. Es muss gar nicht zu einer Verurteilung kommen. Schon das Ermittlungsverfahren reicht für ein Stadionverbot.

Und genau diese Aushebelung der Unschuldsvermutung heizt die Stimmung bei jeglicher Diskussion um Stadionverbote an. Und so hatte der seit Oktober amtierende Sicherheitsbeauftragte des DFB, Hendrik Große Lefert, von Anfang an keinen leichten Stand in der Diskussion: „Wem gehört der Ball? Der Fußball zwischen gesellschaftlicher Verantwortung und Privatrecht: Stadionverbote: Präventivmaßnahme oder Ersatzstrafrecht?“ Ganz links außen saß er etwas verloren da. „Ein selbstgewähltes Schicksal“, gab er danach zu. Er hatte sich den Platz freiwillig ausgesucht. Vielleicht weil er nicht im Mittelpunkt stehen wollte. Doch dort stand er ohnehin. Jede Frage, jeder Vorwurf an den Verband richtete sich stellvertretend Hendrik Große Lefert.

Die Diskussion verlor sich etwas in juristischen Scharmützeln und rhetorisch nicht ungeschickt fragte der Sicherheitsbeauftragte das Podium: „Wo ist denn bei ihnen die Grenze? Sie wollen doch sicher auch nicht jeden im Stadion sehen?“ Der Kniff ist klar: Seid mit mir oder unterstützt Leute, die sich außerhalb des gesellschaftlichen Konsens bewegen.

Abgesehen davon machte Hendrik Große Lefert den Eindruck, als sei er die personifizierte friedliche Koexistenz. Geschenke hatte er zwar nicht im Gepäck, aber ein Scharfmacher ist er eben auch nicht. Im Nachgespräch machte er auch deutlich, wo seine Grenzen liegen: „Ich bin mit George Orwell und Ray Bradbury groß geworden. Für mich ist jedes Szenario eines Überwachungsstaates ein Horror-Szenario.“

Abgesehen davon, dass er bei Amtsantritt wohl eher keine blühenden Landschaften vorgefunden hatte, möchte er sich nicht an den großen Themen abarbeiten, die momentan wohl nicht zu stemmen sind. Er will in kleinen Schritten die Kommunikation am Spieltag vor Ort verbessern, um in Einsatzsituationen Eskalationen zu vermeiden. Und er nimmt sich Zeit für die AG Fandialog. Den Rest hebt sich Große Lefert vielleicht für später auf. Denn auch er weiß, dass nichts in Stein gemeißelt ist. Weder in die eine noch in die andere Richtung. Und er blickt gedanklich nach England: „Bei Taylor hat auch niemand gedacht, dass er sich mit diesem Konzept durchsetzt.“

On Air:

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Marco Noli (Fananwälte)
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Hendrik Große Lefert (DFB-Sicherheitsbeauftragter)
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Antje Hagel (Fanprojekt Offenbach)
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Jannis Busse (Ultras Hannover)
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Gerd Dembowski (Sozial-Wissenschaftler)
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André Waiß (Sicherheitsbeauftragter Energie Cottbus)
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Nicole Selmer (Journalistin)
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3 Kommentare zu “Teve093 [extra] – Funktionäre auf Auswärtsfahrt

  1. […] Textilvergehen: "Fankongress 2012: Funktionäre auf Auswärtsfahrt" […]

  2. […] auch: Fankongress Berlin 2012, “Fankongress 2012: Funktionäre auf Auswärtsfahrt“, “Fußballchaoten” setzen Untersuchungskommission ein, Dahin, wo es weh tut!, Das […]

  3. […] 2012: Kai Tippmann schreibt auf altravita.com ebenfalls über den Fankongress in Berlin. Auch Textilvergehen und die 11 Freunde […]

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