Blog State of the Union

Ein großes Spiel: Union besiegt nicht nur den HSV, sondern auch die Selbstzweifel

Egal in welche Augen ich gestern nach dem 2:0 gegen den Hamburger SV schaute, ich war mir sicher: Wir waren alle irgendwie druff. Wir waren Zeugen eines großen Spiels geworden, wie es nur selten passiert. Die letzten dieser großen mit Bedeutung aufgeladenen Partien im Stadion an der Alten Försterei dürften wohl das Klassenerhaltsspiel gegen Bochum am vorletzten Spieltag der vergangenen Saison mit dem entscheidenden 3:1 durch Steven Skrzybski in der letzten Minute oder der Sieg gegen Rasenballsport Leipzig im Herbst 2014 gewesen sein. Dabei war der große Gegner gestern nicht der Hamburger SV, der erstmals gegen Union im Stadion an der Alten Försterei spielte. Der größte Gegner gestern war Union für sich selbst.

Foto: Tobi/unveu.de

Das Hadern, die Angst, die Zögerlichkeit aus den vergangenen Spielen und dann das glückliche 1:1 in Fürth, das Urs Fischers Team aus den Aufstiegsplätzen fallen ließ. Die Mannschaft schien von etwas Unerklärlichem befallen zu sein. Etwas, das man nicht so einfach benennen konnte und erst recht nicht wegwischen. Was hilft in solchen Situationen? Sich Mut zusprechen. Die Mannschaft hatte sich laut ausgesprochen (manche würde sagen, die Spieler hätten sich gegenseitig angebrüllt), war von Freitag zu Samstag nach Kienbaum gefahren und hat dort gemeinsam gegrillt.

Die Sache mit dem Mut zusprechen übernahmen am Sonntag im Stadion die Fans. Ich kann mich nicht erinnern, wann zuletzt in einem Heimspiel schon so zeitig vor Anpfiff das ganze Stadion so laut gesungen hat, dass die Musik abgedreht wurde. Zu dem Zeitpunkt waren gerade mal die Union-Torhüter zum Aufwärmen auf dem Rasen. Dabei habe ich mir vorgestellt, wie Rafal Gikiewicz sein Energielevel durch diesen Gesang noch zusätzlich auflud.

Er, der in der Woche zuvor noch einmal eindrücklich geschildert hatte, was dieser Aufstieg bedeuten würde, wie die Namen der Spieler für immer mit diesem Erfolg verbunden sein würden. Und er war es, der von einem Finalspiel gegen den Hamburger SV sprach. Würde es verloren werden, so sei der Traum vom direkten Aufstieg ausgeträumt.

Ein typischer Zweikampf im Spiel: Suleiman Abdullahi im Duell mit Rick van Drongelen, Foto: Felix/union-berlin.com

Und so wie auf den Rängen eine Anspannung und Ernsthaftigkeit vor dem Spiel herrschte, die durch Gesang etwas verscheucht werden musste, so ging auch Urs Fischers Team das Spiel an. Ernsthaft. Wach in den Zweikämpfen. Aggressiv. Zwei Mal musste Rafal Gikiewicz in der ersten Halbzeit im eins gegen eins retten. Ansonsten ließ die Hintermannschaft so wenig zu, wie wir das in der Hinrunde gewöhnt waren.

Die Aufstellung mit einer Doppelspitze Suleiman Abdullahi und Sebastian Andersson überraschte. Noch mehr die Rautenformation dahinter mit Julian Ryerson auf rechts (der Kurier dazu), der ein fabelhaftes Spiel ablieferte, das ich mir so nicht einmal in meinen rot-weißesten Träumen ausgemalt hätte.

Kurz vor dem 1:0 fragte mich mein großes Kind nach einem Taschentuch, weil es in der Halbzeitpause beim Getränkeholen etwas Cola auf seine weißen Sneaker gekleckert hatte. „Wenn Union ein Tor schießt, wirst du so nass werden. So viele Taschentücher habe ich nicht dabei“, sagte ich lachend. Kurz danach wurden wir geduscht.

Gefühlt 200 Mal habe ich danach auf die Uhr geschaut. Nicht hinten rein drängen lassen, dachte ich. Bei der Lasogga-Einwechslung riefen wir lautstark nach Kerstin, um das böse Gefühl, ein Ex-Herthaner würde uns einen einschenken, vertreiben zu können. Wir sahen, wie nur wenige Millimeter fehlten, damit sich Michael Parensen mit einem Tor belohnt. Wie Ken Reichel eine Hereingabe hinter dem Hamburger Torhüter quer am Kasten vorbei schob, ohne dass jemand die Kugel über die Linie drückte. Und wir verstanden nicht, wie Douglas Santos nach seiner Tätlichkeit gegen Felix Kroos noch auf dem Platz bleiben durfte.

All dies im Kopf und die Minutenzahl vor den Augen war klar, was kommen musste. Ein HSV-Ausgleich aus heiterem Himmel. Nur mit dieser Vorahnung im Kopf lässt sich der verrückte Jubel nach dem 2:0 von Grischa Prömel verstehen. Ein wunderbarer Treffer noch dazu. Wie der Ball an den Innenpfosten klatscht. Die Sekunden danach: Ekstase pur. Ich habe mein kleines Kind auf dem Arm hochgehoben, damit er im Jubel nicht unter den nach vorne wiegenden Jubelmassen verschwindet. Es war wie ein Renaissancegemälde aus fliegenden Getränken, jubelnden Menschen, hochgereckten Fäusten und ungläubig freudigen Blicken. Gleichzeitig fiel direkt vor uns Grischa Prömel auf eine umgekippte Werbebande.

Grischa Prömel wird im Jubel auf eine umgekippte Werbebande gedrückt, Foto: Tobi/unveu.de

Und mittendrin nach einem gefühlten 100-Meter-Weltrekord ans andere Ende des Stadion: Rafal Gikiewicz. Der überaus ehrgeizige Keeper hatte es vorhergesagt. Es war ein Finale. Und dieses Tor zum 2:0 markierte den Sieg. Damit hat sich Union das nächste Finale gegen Darmstadt verdient.

Vielleicht hat Rafal Gikiewicz recht, als er nach dem Spiel bei AFTV sagte: „Wir haben unsere DNA gezeigt und große Cojones.“ Kampf und Leidenschaft, das waren heute die Zutaten. Und leise habe ich Urs Fischer im Ohr, der in der Pressekonferenz auch an das nötige Wettkampfglück angesichts der beiden HSV-Chancen aus der ersten Halbzeit erinnerte.

Die wichtigste Frage hingegen kann niemand von uns beantworten: War der Sieg gegen den HSV der große Befreiungsschlag im Aufstiegskampf? Das werden wir erst in 3 Wochen wissen. Aber was er zurückgegeben hat: Den Glauben! Ich habe von einigen gestern gehört, die sich spontan nach dem Spiel im Fanshop Karten für das Auswärtsspiel in Darmstadt gekauft haben. Und ganz ehrlich, ich wollte das auch tun. Dagegen sprach nur der Familienterminkalender.

Das sind die Spielberichte der Berliner Medien:

Fotos vom Spiel findet ihr hier:

Auf den anderen Plätzen

Die A-Junioren haben 0:3 gegen Magdeburg verloren (Spielbericht) und trotzdem den Klassenerhalt gesichert, weil die anderen Mannschaften im Abstiegskampf nicht gewonnen haben. Das Team bleibt also 10. der Junioren-Bundesliga.

Auch die B-Junioren haben verloren. 0:1 lautet das Endergebnis gegen den FC St. Pauli (Spielbericht). Fünf Punkte trennen die Unioner von einem Abstiegsplatz. Es sind für alle Teams noch 2 Spieltage. Union hat allerdings noch ein Nachholspiel gegen den HSV, also 3 Spiele zu absolvieren. Aktuell belegen sie den 7. Platz der Bundesliga.

Das 2. Frauenteam hat mit einem 6:1 gegen Viktoria II den 1. Platz in der Berlin-Liga gefestigt.

Siegerselfie des 2. Frauenteams nach dem 6:1 gegen Viktoria II, Foto via Hauptstadtarroganz

Und sonst so?

Die neuen Fahrradständer, die Union hat aufstellen lassen, wurden zum Spiel übrigens kräftig genutzt.

Großartig war gestern auch der Rafal-Gikiewicz-Fanklub, der den Keeper feierte (hier in der Insta-Story zu sehen). Nach dem Spiel war Gikiewicz schneller über den Zaun zu seinen Leuten geklettert als die Ordner „Huch“ sagen konnten. Ganz sicher hat er das nicht das erste Mal gemacht. Und je länger ich darüber nachdenke, glaube ich, dass der Torhüter sicher nicht nur verbal eine Fackel anzünden kann.

Netter Nebeneffekt des 2:0 über den HSV: Rafal Gikiewicz zieht an Hamburgs Keeper Julian Pollersbeck vorbei und steht mit 13 Zu-Null-Spielen an Nummer 1 in dieser für Torhüter wichtigen Rangliste

Kicker-Erscheinungstag ist Quattrex-Tag. Auch dieses Mal schreibt das Fußballmagazin über Ungereimtheiten, mit denen der Stuttgarter Präsident Wolfgang Dietrich klar machen wollte, dass er sich rechtzeitig zu seiner Amtsübernahme beim VfB von sämtlichen Geschäftsverbindungen getrennt habe, durch die er selbst wirtschaftlich vom Erfolg seiner Ligakonkurrenten wie Heidenheim oder Union profitiert habe.

15 Kommentare zu “Ein großes Spiel: Union besiegt nicht nur den HSV, sondern auch die Selbstzweifel

  1. silberhacke

    MEEEEEEGAAAAAAAAAA!
    EISERN!

  2. Robert W.

    Super geschrieben und beschrieben, Sebastian!

  3. Jan Grobi

    Taschentücher, ich brauche Taschentücher
    Aber nicht für meine Klamotten, fürd Jesicht.

  4. Eiserner

    Bestens geschrieben! EISERN!

  5. Dieses „State of the Union“ lese ich jetzt mindestens ein Mal im Jahr. Und denke dann: „Genau so war das damals. Ganz. Genau. So.“
    Danke!

  6. Gott, war dit schön! Hab noch immer ne Gänsehaut, wenn ich an die schallenden Gesänge denke. Danke, Union, und danke für diesen Text!! Eisern!

  7. Sportanwalt

    Danke, Sebastian! I feel you.

    Am Anfang der Saison habe ich meinem Nachbarn erzählt, dass ich eine Dauerkarte für die Heimspiele des 1. FC Union Berlins habe.

    Er schaute mich mit einem Blick an, den ich zuerst nicht deuten konnte und sagte: „Ich war auch mal Fußballfan, aber das hat mich auf Dauer zu viel Zeit, Nerven und Energie gekostet, irgendwann habe ich mich da raus gezogen.“

    Ich kann ihn gut verstehen und akzeptiere seine Entscheidung total, gleichzeitig bedauere, ja bemitleide ich ihn dafür, dass er so etwas EINMALIGES wie gestern nicht mehr miterleben wird.

    Das war Wahnsinn! Und okay, die 5 Spiele zuvor waren nicht einfach zu verstehen und zu „verarbeiten“ ;), aber was wir alleine in dieser Saison schon für Highlights hatten, die ich nie im Leben vergessen werde (Kroos Siegtor per Freistoß in der Schlussminute, Polter Comeback mit Fallrückziehertor, das häufig vergessene Hübi Kopfballtor in letzter Sekunde, Gikiwiecz Last Minute Kopfballtor, Hartel Fallrückziehertor) rechtfertigt einfach ALLES. :)

    Eisern Union!

    #TeamPfanneheiß
    #Aufstiegskampfmodus

  8. Natürlich hab ich mich gestern riesig gefreut über den Sieg. Aber was über alle Maßen eine Wohltat war, war auch die Art und Weise wie gespielt wurde. Fürth empfand ich einfach nur als katastrophal und dieses Spiel noch im Kopf habend, ging ich gestern auch ins Stadion. Ich war ohne große Hoffnungen. Aber dann wurde endlich wieder Fußball gespielt und auch Leidenschaft gezeigt. Was immer das ermöglichte, bitte für die nächsten drei (oder fünf?) Spiele bewahren.

  9. Eike Mitte

    Das hat Spaß gestern gemacht. Wenn nur ein kleiner Teil davon mitgenommen wird, dann werden wir auch noch die letzten drei Spieltage Spaß haben.

  10. Schléjèl

    Fiebrig, du hast doch den Füller heiß. Tolle Beschreibung eines unfassbaren Stadionerlebnis‘.

    Ich bin aus dem Exil gekommen, weil ich mir dieses Spiel nicht entgehen lassen konnte. Und meine Fresse, hat sich das gelohnt. Habe überlegt, mir Manni Abdullahis Gesicht über das eigene tätowieren zu lassen. Das wäre nach seiner Leistung gestern das Mindeste. Zum Erlebnis gehört natürlich auch, das die Hamburger hervorragende Fans mitgebracht haben. Zwei tolle Choreos, viel Gesang und zwei Bierduschen später bin ich im siebten Himmel. Danke an alle, die da waren, wir sehen uns in Darmstadt.

    Eisern!

  11. Schöne Grüße an alle Schwarzmaler und Pfanneneinroller, da pocht wahrscheinlich bei einigen das Herzlein noch iim Rythmus ihrer vorhergehenden Vereinsfarben. Wie toll einige ihrer Mannschaft beistanden in den letzten Wochen. Hier nochmal mein Beifall dafür ?. Eisern .

  12. Zum Glück steht die Pfanne in dieser Saison auf dem Induktionsherd :D

  13. kleinkeul

    100% zutreffend selbst die terminbedingte Einschränkung der Auswärtsfahrten. Hatte noch einmal Gänsehaut. Danke!

  14. procklinho

    Echt super geschrieben, solltest Blogger werden…? VG aus München

  15. Ich und mein Junge sind gestern mit dem Rad zum Stadion gefahren und bei der Fahrt hatte ich schon so ein überragendes Gefühl. Aus 16 Leuten an der Eberswalder Str. waren am Ende gefühlt um die 150 Leute zusammen und füllten die Straße an der Wuhlheide. Dazu wurde dem Rad so eine herrlich positive Stimmung verbreitetet!! Wahnsinn, auf dass wir alle 3 kommenden Spiele mit viel Spaß genießen können!

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