Blog State of the Union

Keiner wird es wagen …

„Ich will nach Hause! Mir ist kalt“, machte mir der Jungunioner unmissverständlich klar. Das war in der 35. Minute. Ich vermute, dass das vielen Eltern gestern so ging. Denn im Gegensatz zu meinem großen Teenager-Kind, das mit Sommerschuhen und geöffneter Jacke im Stadion stand, spüren die Kleinen im Stehen die Kälte sofort. Von der Mannschaft kam in der ersten Halbzeit allerdings auch wenig, was den Junior abgelenkt hätte. Also schnappte ich mir das Kind und stellte ihn für die Halbzeit an die Heizung, die im Toilettencontainer bollerte. Und die Darbietung von Urs Fischers Team in der zweiten Hälfte führte dazu, dass wir doch ohne Probleme das ganze Spiel sehen konnten.

Und ich hätte mich auch geärgert, das Elfmetergeschenk von Bochum nicht sehen zu können. Auch wenn der Tritt von Hoogland sicher nicht Polters Bein gegolten hat. Ich bewundere in solchen Momenten die Gelassenheit des Angreifers, der da am Elfmeterpunkt stand und sich von den zwei Bochumern, die ihm noch etwas zu sagen hatten, nicht aus der Ruhe bringen ließ. Tor und fertig. Was danach an Möglichkeiten liegen gelassen wurde, raubte mir echt die Nerven.

Denn Bochums Spielstärke durften wir in der ersten Hälfte schon viel zu viel bewundern. Union kam nicht in die zweiten Bälle und 5 bis 10 Sekunden, nachdem die Abwehr den Ball nach vorne gegeben hatte, war er schon wieder da. Ohne Abseits, Pfosten und ganz viel Rafal Gikiewicz hätte die Mannschaft sicher schon 0:2 oder 0:3 zur Halbzeit zurückgelegen. Und als kurz nach Robert Zuljs Tor zum 2:0 der Ball doch hinter Gikiewicz einschlug, dachte ich kurz „habe ich’s doch gewusst“. Es dauerte etwas, bis mir bewusst wurde, dass es Abseits war.

Ich weiß nicht, ob es Grischa Prömel war, der gefehlt hat. Das lässt sich hinterher immer sagen. Aber Union hat es Bochum insgesamt zu leicht gemacht, hinten heraus zu spielen, und die eigenen Bälle haben sie nicht festmachen können. Mir hat aber neben Rafal Gikiewicz besonders gefallen, wie sich Michael Parensen in der Innenverteidigung gemacht hat. Bochum hatte zwar ein bis zwei Mal versucht, auf der linken Seite die Geschwindigkeitsvorteile gegen Parensen und Ken Reichel auszuspielen, aber da kam immer noch eine Fußspitze dazwischen.

Robert Zulj nach seinem Treffer zum 2:0, Foto: union-berlin.com

Spielerisch finde ich, dass Sebastian Andersson (vielleicht durch seine Treffer) seit ein paar Partien spielt, als ob er einen Rucksack abgelegt hat. Und vor allem Andy Gogia hat wie aufgedreht die verrücktesten Sachen gemacht. Wie er mit unzähligen Übersteigern den Bochumer Verteidiger hypnotisiert hat wie ein Hütchespieler am Alexanderplatz, um dann den Ball in die kurze Ecke zu schießen, wo ihn Riemann gerade noch so herausfischte, war wunderbar anzusehen. Diese Spielfreude war toll und mit seinem öffnenden Pass beim Konter zum 2:0 dann auch noch erfolgreich.

Hier die Berichte der Berliner Medien zum Spiel:

Darin geht es häufig um den Aspekt, dass bisher alle Mannschaften, die ungeschlagen durch die Hinrunde gekommen waren, am Ende auch aufgestiegen sind. Da wird allerdings der Fakt mit den vielen Unentschieden bei Union ebenso beiseite gelassen wie die Anwesenheit von Köln (unfassbare 42 Tore in der Hinrunde, wovon allein Simon Terodde 20 erzielte) und dem HSV in der Liga.

Und hier Fotos von der Partie:

Ich war zum Spielende so drauf, dass ich das Lied von der Waldseite in vollem Inbrunst mitgesungen habe. Vor allem die Zeile: „Die erste Bundesliga ist für uns zum Greifen nah.“ Aber es gibt dazu eine offensichtliche Uneinigkeit im Stadion. Einerseits ist das manchen zu früh in der Saison (Stichwort: Noch xy Punkte bis Klassenerhalt) und andererseits kommt auf der Gegengeraden der hintere Teil nur so weggenuschelt an. Will heißen: So toll sich das im Pulk auf der Waldseite und auch noch bei uns an der alten Anzeigetafel anhört, so wenig mitreißend klingt es von weiterer Entfernung. Deshalb gab es auch dieses Mal einen anderen Gesang auf der Gegengerade, was ich insgesamt als Eindruck eher nicht so toll finde. Es ist nach so einem Sieg schon cooler, wenn das  gesamte Stadion mit einem Lied feiert.

Und was die auch in den Medien zitierten „Aufwachen“-Rufe betrifft: Ich fand nicht, dass die Mannschaft nicht bei der Sache war. Ganz im Gegenteil. Das Spiel war tatsächlich aus den oben genannten Gründen nicht gut, aber es war bei weitem nicht so teilnahmslos wie noch vor einem Jahr bei der Partie in Bochum. Ich würde es in solchen Situationen besser finden, wenn etwas Aufmunterendes gerufen wird. Aber das sind wohl sehr feine Nuancen, die alle etwas unterschiedlich wahrnehmen.

Twitter: @Siriussuiris

Und sonst so?

Sky bekommt die Sache mit Robert Zulj wohl nicht mehr auf die Reihe. Schon zum zweiten Mal zeigten sie diese Saison das Foto von Eroll Zejnullahu an seiner Stelle. Zulj oder Zejnullahu, Hauptsache Union.

Screenshot: Stefan Tornow via Facebook

Die Berliner Polizei identifiziert sich auch immer mehr mit ihren Einsätzen bei Union:

Foto: Union-Fanklub Ecke Nord

Und Rafal Gikiewicz hat sich ein Tattoo seines kleinen Kindes stechen lassen:

Instagram-Story: @rgikiewicz

Wie an jedem zweiten Sonntag gibt es auch heute eine Episode unseres Union-Geschichtspodcasts „Und niemals vergessen“. Dieses Mal geht es um die Krawalle am Alexanderplatz am 7. Oktober 1977, wie Union damit verknüpft wurde und Falschmeldungen.

16 Kommentare zu “Keiner wird es wagen …

  1. Unioner Uwe

    Nun ja, daß die Ultras jetzt voreilig den baldigen Saisonaufstieg feiern wollen, wir von der Gegengeraden uns einfach nur mit unserem Club identifizieren, heißt doch nicht, daß es Diskrepanzen in der Überzeugung und Lokalität zum Club gibt. Wir sehen uns nur noch nicht soweit, uns jetzt schon hochzujubeln. Schauen wir in der Mitte der Rückrunde, ob das Verhältnis Sieg und Unentschieden sich gebessert hat und wir nicht noch den einen oder Anderen Dämpfer hinnehmen mußten. In diesem Sinne Schulter an Schulter singen wir geeint Eisern Union u.n.v.E.U. ?

  2. silberhacke

    Ich würde die Aufwachen-Rufe nicht ausschließlich negativ beurteilen. Ich denke, dass die Angst, sich ein Tor einzufangen, die Rufe motiviert hat. Ich habe sie deshalb auch nicht als verletztend gegenüber der Mannschaft und ihrer Leistung empfunden. Wir waren gut in die Partie gestartet, aber mit einer längeren Passstaffette der Bochumer haben wir uns das Heft aus der Hand nehmen lassen. Es ging mit den Rufen viel mehr darum, direkt unterstützenden Einfluss zu nehmen, Kraft zu senden, Beistand und Zuversicht, als schnöde irgend einen Unmut zum Ausdruck zu bringen. Es wollte einfach niemand mit ansehen, wie Bochum bei uns in Führung geht. Und zu diesem Zeitpunkt haben wir einfach zu viele Bälle zu schnell verloren. Es greift zu kurz, wenn man den Leuten unterstellt, sie würden sich plump und nicht spielbezogen ausagieren. Das ist ein wesentlicher Unterschied zur Stimmung unter Hofschneider am Ende der letzten Saison. Immerhin bleibt einem eine handvoll alternativer Möglichkeiten, sich in solchen Situationen zu verhalten – Dagegenrufen, pauschaler Fangesang, Schweigen, Wurstholen oder Steak oder Bier oder Glühwein. Ich stehe in Block N. Dort wurde auch AUFWACHEN gerufen. Die Stimmung war niemals gegen das Team aufgeheizt, immer unterstützend. Für mich bekommt die Gesamtsituation auch keine Flecken, wenn auf der Gegengeraden mal was anderes gesungen wird als auf der Waldseite. Dann ist das eben so. That‘s life! Euphorisch waren am Ende wohl alle im Stadion gewesen. Wie sich das aus der Distanz anhört, kann einem eigentlich ziemlich egal sein. Wir sind ja kein Fan-Kollektiv mit Begeisterungsauftrag.
    Ach ja, Fischer. Mann, was muss das für ein großartiger Typ sein. Ich wäre neugierig, wieviele Zuschauer gestern in der Halbzeitpause gewechselt hätten. Nicht so Fischer. Und er hatte recht. Was ein geiler Typ! Ich bin so froh, dass wir den haben.
    EISERN

  3. Ich hatte den Eindruck, dass das Genuschel des Aufstieg-Liedes am Ende des Spieles, damit zu tun hat, dass der Text kaum auf der Gegengerade (zumindest ab Mittellinie) verstanden wird. Somit auch nicht mitgesungen werden kann. Und ja, ein wenig ist es sicher auch, dass es einigen Unioner*innen schlicht zu früh ist über Aufstieg zu sprechen oder zu singen.
    Ich kann @silberhacke nur zustimmen, die Aufwachen-Rufe richteten sich lediglich gegen die schwache Phase von Union. Trotzdem denke ich, dass wir künftig mit motivierenden Liedern/Rufen die Mannschaft unterstützen können.

  4. „Wie an jedem zweiten Sonntag gibt es auch heute eine Episode unseres Union-Geschichtspodcasts “Und niemals vergessen”.“

    In der Ankündigung schon ein wenig dick aufgetragen. Wah?! :)

    Es ist doch erst eure zweite Folge!

    Nichtsdestotrotz tolle Sache der Podcast! Hab mich heute vorerst mit den vielen Quellen zu dem spannenden Thema beschäftigt. Ein Lob für die Recherche und den Aufwand, den ihr da reinsteckt!

  5. Ich stand – Verzeihung, zwangssaß – auf der Haupttribüne auf Höhe der Mittellinie, ansonsten findet man mich ja durchweg an der alten Anzeigetafel auf der Waldseite, aber der neue Song ist tatsächlich kam zu verstehen, aber das liegt phonetisch gesehen einfach an den Lauten, die da vermehrt vorkommen. Das klingt für mich fast wie ein Trauermarsch. Zur inhaltlichen Diskussion, ob zu früh oder nicht, habe ich keine direkte Meinung.

  6. dersteinige

    Die Aufwachen.Rufe sind, auch wenn manche es anders sehen mögen, eher kontraproduktiv und die Hemmschwelle sollte nicht weiter absinken. Was ist der nächste Schritt? Spieler auspfeifen und UNION mit Füßen treten?

    Klar war die erste Hälfte nicht das goldene EI, aber so etwas kommt auch mal vor. Die Mannschaft schaft in dieser Session auch sich von selbst aufzurappeln und die Leistung ist eine ganz andere, der Ausgang ein ganz anderer, als es letztes Jahr war.

    Und vergesst bitte nicht unseren Ehrenkodex:

    „Pfeife nie die eigene Mannschaft aus.
    Gehe nie vor Abpfiff aus dem Stadion.
    Mache niemals einen aus dem Team zum Sündenbock.
    Heiserkeit ist der Muskelkater der Unioner.“

    Aus Aufwachen kann schnell auspfeifen und jemanden zum Sündenbock machen werden, da sollten Wir aufpassen. Wir sollten Unioner bleiben und auch mal etwas vertrauen in die Mannschaft stecken. Es gab ja auch einige Antworten auf die Aufwachen Rufe. Zu viel Erfolgsdruck kann nach hinten los gehen.

    Schönen Advent

  7. Ich fand sehr wohl das die Manschaft in der ersten Halbzeit nicht bei der Sache war. Das ging ab der 10 Minute los und wurde mit dem Spielverlauf immer schlimmer. Man bettelte förmlich darum in Rückstand zu geraten. Deshalb fand ich die Aufwachrufe zur richtigen Zeit und habe selbst mitgerufen. Ich stehe auch in Block N und viele vor und neben mir teilten das selbe Gefühl.Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch keine wirkliche Torchance und Bochum kam dem Führungstreffer immer näher. Für mich war das die schlechteste erste Halbzeit der Hinrunde in der alten Försterei. Und was die Fangesänge der Waldseite angeht, denke ich das viele überrascht waren . Auf der Gegengerade wurde gerade ein Lied gesungen und die Waldseite hat einfach ihr Aufstiegslied dazwischen gesungen. So wird ein Schuh daraus!!! Mir persönlich ist das zu früh für solche Gesänge. Aber das ist eben nur meine Meinung.

  8. Verstehe die Aufregung über das „Aufwachen“ überhaupt nicht.

    Habe zwar nicht mitgerufen, aber zu diesem Zeitpunkt war es angebracht (keine Zuordnung, kein Selbstvertrauen, kein in–die–Zweikämpfe gehen). Aufwachen wurde schon immer gerufen, ist nicht zu vergleichen mit Auspfeifen und muss deswegen jetzt auch nicht überdramatisiert werden.

    Zum Gesang der Waldseite: hört sich gut an, verstehe das als Hinweis an die Mannschaft nicht nachzulassen, aber ich werde niemals jemand sein der noch in der Hinrunde vom Aufstieg singt. Sorry aber nein, das mache ich erst im April oder Mai wenn es dann angebracht sein sollte.

  9. silberhacke

    Ich hoffe, es ist noch nicht zu spät, an Artikel 1 des Grundgesetzes zu erinnern.

  10. Ich finds jut dass die Jungschen auf der Waldseite diesen Optimismus versprühen…Ich sag nur 05.02.2011 auf dem Alex, unser Capo macht ne Ansage die darin gipfelte alles für den Sieg zu geben… Und jetzt mal Hand aufs Herz, wer hat in der damaligen Lage von Union nicht gedacht: „Ja nee, is klar… Unentschieden wäre richtig geil! “ können sich viele Alte mal ne Scheibe von abschneiden, mir inklusive ?

  11. Vielleicht würden einige Leute von der Gegengerade das „Aufstiegs“lied der Waldseite auch mitsingen, wenn sie den Text kennen würden. Kann den mal bitte hier jemand veröffentlichen. Danke.

  12. Seeehr jut!
    Danke.

  13. Anders als sein fussballferner älterer Bruder, ist mein jüngerer Spross ein harter Hund…ich stand mit ihm hinterm Zaun in der Waldseite und ich sang im Kinderchor…allesamt ziemlich Kälte resistent! Respekt an die (sehr) junge Garde! Ansonsten gute Zusammenfassung, trifft meine Eindrücke…den Song vom Aufstieg singe ich, wenn wir am 34sten Spieltag wenigstens den Reliplatz inne haben. Bis dahin verweigere ich…? und gleich noch ein persönliches Anliegen an die Capos: am Anfang der 2ten Halbzeit den Unionwalzer anstimmen…da wird mir Angst und Bange! Ansonsten: Parensen! Parensen! Hat mich sehr gefreut, dass er spielte! Eisern!

  14. […] 8. Dezember: Union bleibt die komplette Hinrunde in der Liga ungeschlagen […]

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