Blog State of the Union

Die Freiheit, die Rummenigge den Klubs bei 50+1 geben will, ist keine echte Freiheit

Union verliert das Testspiel in Kiel mit 2:3. Es liegt auf der Hand, hier von einer Enttäuschung zu schreiben. Denn schließlich stand bei Holstein Kiel mit Rafael Czichos nur ein Stammspieler in der Startelf, während Union beinahe in Bestbesetzung (Marc Torrejon musste in der Verteidigung passen) antrat. Und drei Gegentore sind wieder einmal zu viel. Auch wenn Trainer André Hofschneider darauf hinweist, dass der zweite Gegentreffer durch einen abgefälschten Schuss und der dritte durch einen Elfmeter zustande kam. Es muss ein sehr munteres Spiel ohne Härte gewesen sein, wenn ich nach dem Zusammenschnitt auf AFTV oder dem Holstein-Kiel-Podkast 1912.fm gehe.

Hier die Medienberichte vom Spiel:

Aber es gibt auch gute Nachrichten. Simon Hedlund konnte wie vereinbart eine Halbzeit spielen, und wenn jetzt im Fuß oder Knie keine Reaktionen auftreten, ist er eine Option für die Partie in Fürth am Sonntag (Bild). Dass er in der Offensive nicht nur durch seine Geschwindigkeit, sondern auch für seine Pässe wichtig sein kann, zeigte die Vorbereitung für das Tor von Philipp Hosiner zum zwischenzeitlichen 2:2. Darüber, dass es Angebote für den Schweden gab, schreibt der Kurier.

Wahrscheinlich sogar zum Startelf-Einsatz wird Marcel Hartel heute Abend beim EM-Quali-Spiel in Mitrovica gegen Kosovo kommen (ab 18.45 Uhr, live auf Sky Sport News). Seit fast 20 Jahren sind Bundeswehrsoldaten im Kosovo im Einsatz, weshalb solche Bilder wie das von U21-Trainer Stefan Kuntz mit deutschen Soldaten auch zur Normalität von Spielen im Kosovo gehören.

Und sonst so?

Heute soll die neugestaltete Union-Website an den Start gehen. Responsiv, ein Login für Fanshop, Mitgliederbereich und AFTV, auf Deutsch und auf Englisch und wahrscheinlich sogar in rot-weiß. Ich wünsche gutes Gelingen.

Ich habe mir gestern das gesamte Interview mit Karlheinz-Rummenigge durchgelesen und bleibe dabei, dass wir damit quasi die Gegenreaktion auf die 50+1-Abstimmung in der vergangenen Woche bei der DFL-Mitgliederversammlung sehen. Aus meiner Sicht wird man dem Bayern-Vorstands-Chef aber nicht gerecht, wenn man sich nur auf die knalligen Sätze stürzt.

Man muss erst einmal akzeptieren, dass Rummenigge eine völlig andere Position einnimmt und völlig andere Ziele für den FC Bayern verfolgt als so ziemlich alle Bundesligisten oder Zweitligisten. Ihn interessiert nur der Wettbewerb in der Spitze und in Europa. Damit sind für ihn auch nur die Bedürfnisse von Spitzenklubs (eine Handvoll in Deutschland und vielleicht doppelt so viele in Europa) relevant. Ihm ist egal, was in der Zweiten Liga passiert. Deshalb ist seine Position, dass jeder Verein selbst entscheiden soll, ob er sich an 50+1 hält oder nicht.  Das ist rhetorisch geschickt, weil es quasi die FDP unter den Vorschlägen ist. Dabei entspricht die genannte Freiwilligkeit in der Entscheidung aber gar nicht der Realität. Denn dann entscheidet der Markt.

Wenn sich einige Vereine nicht an 50+1 halten (so wie jetzt schon in der Bundesliga) verändern sich die Marktbedingungen für alle. Sei es durch mehr Kapital, das in den Spielermarkt fließt (wir müssen nur an die letzte Sommerpause denken, als die Preise für Ablösen und Gehälter durch den neuen TV-Vertrag quasi explodierten). Spieler werden damit für alle teurer. Oder die Vereine, die sich (einmalige) externe Geldspritzen durch Investoren holen, haben einen Wettbewerbsvorteil, weil sich ihre Finanzlage kurzfristig nicht entsprechend ihrem sportlichen Erfolg entwickelt. Da kann der FC Bayern aufgrund seiner über viele Jahre entwickelten Finanzkraft sicher standhaft bei 50+1 bleiben, aber fast alle anderen Vereine (auch Union) könnten das nicht. Nur weil alle die gleichen Rechte haben, besitzen noch lange nicht alle die gleichen Chancen.

FC-Bayern-Vorstands-Chef Karl-Heinz Rummenigge, Foto: Matze Koch

Aber nur diese streitbare Position von Rummenigge zu 50+1 ist nicht alles. Aus meiner Sicht hat er auch Punkte, über die nachzudenken sich lohnt. Wenn er beispielsweise den Wert von Spielern nicht mehr nur an sportlichen Kriterien festmacht:

“Ich stelle Veränderungen in unserer Gesellschaft fest und damit auch im Fußball: Mit Neymar kaufst du dir einen tollen Spieler, aber auch Medienaufmerksamkeit, eine Attraktion für das Sponsoring, Merchandising, für soziale Medien. Da werden heute riesige Vermarktungsgeschichten über die Spieler geknüpft.”

Oder wenn er über DFB und DFL sagt, dass sie politisch zu wenig gestalten:

“Was mir bei den Verbänden auffällt: Sie werden immer mehr zu Vermarktungs-Maschinen. Doch die Gewinnmaximierung ist nicht Kernaufgabe eines Verbandes. Ein Verband muss sich um den Sport und die Sportler kümmern, der Fußballverband also um den Fußball. Wir sprechen in Fußball-Deutschland viel zu viel über Finanzen, über TV-Vermarktung, Sponsoring und Merchandising – immer öfter auch bei der Nationalmannschaft. Und wir sprechen immer weniger über den Fußball. Das sehe ich auch bei der UEFA und der FIFA kritisch. Wir müssen uns wieder ehrlich fragen: Was ist für den Fußball gut? Und was ist für den Fußball nicht so gut?”

Ich halte die Beobachtungen für sehr treffend, auch wenn ich die Schlüsse, die Rummenigge daraus zieht, nicht teile. Aber was das Kräfteverhältnis betrifft, so hat vielleicht der FC Bayern das gleiche Stimmrecht wie der FC St. Pauli oder der 1. FC Union in der Deutschen Fußball-Liga. Aber das Gewicht ist ein ganz anderes.

“Es ist für mich das passiert, was ich seit einiger Zeit bei der DFL erlebe. Und das ist nicht die Qualität, die wir brauchen, um mit England, Spanien und Italien mitzuhalten. Das sind unsere größten Konkurrenten. Es ist kein Zufall, dass wir gerade von den Italienern in der UEFA-Fünfjahreswertung auf Platz 4 verdrängt wurden. Wenn es so weitergeht, dann sind 2019 vielleicht nur noch zwei deutsche Klubs in der Champions League. Das mag Andreas Rettig in seiner 2. Liga überhaupt nicht interessieren; aber die Bundesliga sollte sich eigentlich schon dafür interessieren.”

Und die Drohkulisse, die Rummenigge malt, halte ich angesichts des Hickhacks um die Verteilung der TV-Gelder im vergangenen Jahr für nicht komplett unrealistisch. Was würde eigentlich passieren, wenn sich Bundesliga und Zweite Liga separat vermarkten? Das kann sich jeder denken und das weiß auch der Bayern-Vorstand, wenn er sagt:

“Die DFL war immer dafür bekannt, dass sie es geschafft hat, den Solidaritätsgedanken sehr gut auszubalancieren. Die Bundesliga war hier immer sehr großzügig. Ob das in der Zukunft Bestand haben wird, weiß ich nicht.”

Auf dieses Interview, das sicher eine wohlgesetzte Duftmarke der Bayern-Position war, kann man dann so reagieren wie der FC St. Pauli auf Twitter. Aber man muss es aus meiner Sicht nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn man es komplett gelesen hat und sich seiner eigenen Position bewusst ist.

Falls ihr noch Zeit habt, einen längeren Text zu lesen, dann nehmt euch die für dieses Portrait von Patrick Ittrich, Bundesliga-Schiedsrichter aus Hamburg, das im Hamburger Abendblatt erschienen ist. Darin wird Ittrich nicht nur zum Ligaspiel nach Dortmund begleitet und wir sehen nicht nur den Alltag eines Schiedsrichters. Sondern wir sehen auch die Brüche Ittrichs Schiedsrichter-Biographie. Wir sehen, was Abstiege (ja Schiedsrichter steigen auch ab und auf) mit Referees machen. Und vor allem hat mich ein Punkt stark betroffen gemacht, weil ich ihn schlicht vergessen hatte:

2010 beginnt die Krise. Das erste Spiel in Osnabrück läuft noch perfekt, dann werden Ittrichs Benotungen schlechter. Er ist auf dem Platz zu emotional, manchmal schreit er Spieler an. Die Souveränität geht verloren. Die ganze Saison ist mäßig. Dann wird es brutal. Am 19. November 2011. Babak Rafati, in einer Spieler-Umfrage zum “schlechtesten Schiedsrichter der Bundesliga gekürt”, unternimmt unmittelbar vor dem Spiel Köln gegen Mainz einen Selbstmordversuch. Seine Assistenten finden ihn in seinem Hotelzimmer und leisten Erste Hilfe, bis der Notarzt eintrifft. Sie retten ihm das Leben. Einer der Assistenten ist Patrick Ittrich.

Und weil ich gerne mit einem guten Gefühl ende, hier ein Foto vom 11mm-Fußballfilmfestival, das gestern Abend zu Ende gegangen ist:

7 Kommentare zu “Die Freiheit, die Rummenigge den Klubs bei 50+1 geben will, ist keine echte Freiheit

  1. „Oder wenn er über DFB und DFL sagt, dass sie politisch zu wenig gestalten:“

    Ein Verband ist immer nur so politisch, wie seine Mitglieder es sind. Und auch der FC Bayern München ist Mitglied in dem Verband. In beiden sogar.

    Ich finde es gut, dass du tiefer auf die Aussagen eingehst. Sie sind meiner Meinung nach aber sehr viel heißer Dampf.

  2. Musiclover

    Der Webseiten-Relaunch scheint wohl nicht ganz reibungslos zu funktionieren. Eben ging der Countdown bis 10 Uhr, nun erneut 30 Minuten!? Oder soll da mehr Aufmerksamkeit geschaffen werden. ^^

    Zur Vermarktung: Wenn die Ligen getrennt vermarktet werden würden, dann würde nicht viel dagegen sprechen, die Anstoßzeiten der 2. Liga wieder nach hinten zu legen (15.30 Uhr!). Für den Stadionbesucher wäre das eine deutliche Verbesserung!

  3. @Misiclover: Ich vermute mal, wenn sich die 2.Liga selbst vermarkten müsste, müsste sie wesentlich mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse der verschieden Medien, welche 2.-Liga-Spiele übertragen, nehmen.
    Und ich vermute sehr stark, dass diese Interessen mit denen der Stadionbesucher nicht unbedingt deckungslgleich sein werden.
    2-Liga-Spiele werden dann, meiner Vermutung nach, als reine Lücken-Spiele gesehen werden, die dann durchgeführt/übertragen werden, wenn in der ersten Liga und in den europäischen Wettbewerben grad keiner spielen kann oder will.
    Wie wärs z.B. mit einer Austragung – und Übertragung exclusiv auf DAZN – an den Tagen, an denen die Premier League spielfrei hat…. ?

  4. Musiclover

    Den Termin für den Union-Homepage-Relaunch hätte man wohl besser auf den 1. April gelegt. :D

    Naja, typisch Union eben. ^^

  5. Musiclover

    @framlin,
    die D2FL könnte ja die Rechte an ganz andere Medien vergeben, die dann in Deutschland in direkte Konkurrenz zu SKY/DAZN usw. treten und das auch in der Primetime. Auf internationalen Märkten wird sich immer die interessanteste/stärkste Liga durchsetzen (vereinfacht ausgedrückt). Das wird auch in Zukunft die Premier League sein, auch wenn man das bei der DFL nicht gern hört. Für Partien wie TSG – Mainz und Augsburg – Wolfsburg gibt es kein internationales Interesse.

  6. micha774

    Und wenn die Liga halt nur 2 CL-Starter hat. Vielleicht sogar besser so. Wer geht denn zum Fußball um sogenannte „Stars“ zu sehen? Ich will keinen Neymar oder CR7 in der deutschen Liga sehen, weil dadurch der Sport noch teurer wird, also Merchandising und TV-Rechte um solche Spieler zu refinanzieren.

    Und was hat ein Siebter der Liga in Europa verloren? Dann lieber die Fairplaytabelle zurate ziehen.

    Und wer außer die Bayern reißt denn noch was in der CL?

  7. Interessanter Einblick in die Welt eines Schiedsrichters!
    Ich muss dennoch zugeben: Mr Leberwurst pfeift zurecht keine 2 Liga Spiele mehr und wurde zum Assistenten degradiert!

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