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Die verschollene Presseschau – Teil 5

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Mir war klar, dass ich hier nur genau eine Chance hatte. Solange ich die Überraschung auf meiner Seite hatte, war noch nicht alles verloren. Ich lag so ruhig, wie es mir möglich war. Die Stimmen kamen näher und ich fühlte, wie vier Hände nach mir griffen. Ich ließ sie meinen „bewusstlosen“ Körper hochheben, in der Hoffnung, dass sie mir die Fesseln abnehmen würden.

Mit ein paar unsanften Bewegungen setzten sie mich auf einen Stuhl und nahmen mir den Sack vom Kopf. Ich konnte das erste Mal meine Augen einen winzigen Spalt breit öffnen und sah zwei meiner Angreifer aus dem Café vor mir stehen. Sie leerten zwei Fässer Bier in den Abfluss in der Ecke und ich brauchte nicht viel Phantasie, um mir vorzustellen, wer anstelle des Bieres in den Fässern landen sollte.

Von meiner Auftraggeberin und dem dritten meiner Café-Angreifer war weit und breit keine Spur – ich vermutete, dass sie meinen unbekannten Zellengenossen auf seinen Aufenthalt im Bierfass vorbereiteten. Wie falsch ich damit lag, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Dann ging auf einmal alles ganz schnell. Wie ich gehofft hatte, kniete sich einer der beiden hinter mich, um mir meine Fesseln abzunehmen. Sobald diese gelockert waren, sprang ich auf, trat dem hinter mir Knienden ins Gesicht und warf mich auf den überraschten Trenchcoat-Träger vor mir. Mit einer Kraft, die ich mir in meinem Alter selber nicht mehr zugetraut hatte, schlug ich ihn bewusstlos. Zitternd lag ich in der Ecke und brauchte ein paar Minuten, um mich zu sammeln.

Ich fesselte und knebelte die beiden und beförderte sie in einem weiteren Kraftakt in die beiden bereitstehenden Bierfässer. An der Grenze meiner Belastbarkeit angelangt, begann ich mich in dem Keller umzuschauen, der in den letzten 24 Stunden mein Verlies war. Es war still geworden und ich fragte mich, wo der Rest meiner Kerkermeister abgeblieben war.

Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Nebenraum und sah das Radio, das immer noch schlechte Musik vor sich hinspielte. Aber keine Menschenseele. Vor dem Tisch, auf dem das Radio stand, fand ich einen Stuhl, nicht unähnlich dem, auf dem ich mich bis eben befand. Neben dem Stuhl lagen die gleichen Kabelbinder, die mich so unwiderstehlich festgehalten hatten.

Hier muss mein unbekannter Leidensgenosse gefangen gewesen sein. Von ihm, wie von meinen übrigen Entführern, fehlte jedoch bis auf die Kabelbinder jede Spur. Sie mussten durch die offenstehende Tür am anderen Ende dieses Raumes entkommen sein, die ich erst jetzt bemerkte als ein kalter Windzug meinen geschundenen Körper erfrischte.

Ich trat an den Tisch mit dem Radio und schaltete die immer noch plärrende Musik aus. Auf dem Tisch fanden sich, neben ein paar Zeitungen, lose verstreute Notizen und eine DVD. In Gedanken versunken blätterte ich die Zeitungen durch.

Ich fand den zweiten Teil des Interviews mit dem Trainer – interessant aber kein Hinweis auf den Verbleib meiner Entführer. Und auch Daniel Haas meldete sich mal wieder zu Wort, was mich aber gerade auch nicht voran brachte.

Ich riss mich von den Überschriften der Tagespresse los und betrachtete die Notizen etwas näher. Darauf erkannte ich Bahnhofsnamen und Zug-Abfahrtszeiten. Jemand hatte zwei Tickets nach Nürnberg für den heutigen Tag gebucht. Auf einem der Tickets sah ich den Namen meiner Auftraggeberin und ein Blick auf die Zeitanzeige des nun verstummten Radios zeigte mir, dass die Abfahrtszeit in einer halben Stunde war.

Noch bevor ich überhaupt realisierte, was ich tat, schnappte ich mir die DVD vom Tisch und kramte die Notizen in meine Tasche. Ich hatte genug Zeit auf der Fahrt nach Nürnberg, um das alles durchzugehen und endlich Licht in diese Angelegenheit zu bringen. Und falls nicht, so würde ich in Nürnberg doch wenigstens die Dame zur Rede stellen können, die hinter dieser ganzen Geschichte steckte.

Auf einer der Notizen sah ich im Rausgehen noch eine Internetadresse, die neben dem Stichwort „Live-Stream heute Abend“ stand. Es versprach interessant zu werden.

… Finale folgt.

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